Ein Monster, eine Schauspielerin und eine Entführung nach Nordkorea: Das sind die Zutaten für den Comic „Mme Choi & die Monster“. Was nach einem Fantasy-Abenteuer klingt, besitzt allerdings ein reales Vorbild. Die Berliner Comic-Künstlerin Sheree Domingo und der Autor Patrick Spät haben aus der Geschichte von Choi Eun-hee und Shin Sang-ok, die von dem späteren nordkoreanischen Machthaber Kim Jong-il verschleppt wurden, ein kurzweiliges Abenteuer über Menschen und Gesellschaften im Umbruch gemacht.
Es erscheint wie eine etwas zu abenteuerlich geratene Geschichte, in der die überbordende Liebe zum Spionage-Genre mit cinephilem Enthusiasmus gekreuzt wird, ohne dabei die Glaubwürdigkeit des Ganzen im Auge zu behalten. Nur ist in diesem Fall die Geschichte gar nicht erfunden. Der Comic „Mme Choi & die Monster“ erzählt von der südkoreanischen Schauspielerin Choi Eun-hee und dem Regisseur Shin Sang-ok, die 1978 spurlos verschwanden.
Wie es dazu kam, erfährt man auf den von Sheree Domingo (Zeichnung) und Patrick Spät (Szenario) mit grobem Strich gezeichneten 170 Seiten. Sowohl Choi Eun-hee als auch Shin Sang-ok wurden 1926 in dem damals von Japan regierten Korea geboren. Die Schauspielerin Choi Eun-hee drehte mit 21 Jahren ihren ersten Spielfilm und heiratete im selben Jahr einen doppelt so alten Kameramann, von dem sie sich 1954 aber wegen seiner Alkoholsucht und seiner Gewalttätigkeit wieder trennte.
Das Glück ist nicht vollkommen
Eine
Teilung erfuhr das Land bereits 1948. Wie Deutschland wurde auch Korea nach dem
Zweiten Weltkrieg durch die Besatzungsmächte geteilt, obwohl es gar keine
Kriegsmacht war, sondern selber Opfer der Kriegsmacht Japan. Zudem gab es nun
zwei Anwärter auf die Herrschaft. Nach ersten Wahlen im Jahr 1948 folgte von
1950 bis 1953 der erste Stellvertreterkrieg des Kalten Krieges, der mit der
Teilung endete. Nordkorea ist bis heute die wohl strikteste und von der
Außenwelt am meisten abgeschirmte Diktatur der Welt, aber auch Südkorea wurde
bis in die 1980er-Jahre hinein von Militärdiktaturen regiert.
Und so ist das Glück von Choi Eun-hee und Shin Sang-ok, in Südkorea zu leben und zu arbeiten, auch nicht ganz vollkommen. Zwar wurde Choi Eun-hee, die bis zum Ende des 20. Jahrhunderts in rund 90 Filmen spielte, schon bald ein Star. In den 1960er-Jahren galt sie als die bekannteste Schauspielerin Asiens. Und auch Shin Sang-ok, den sie 1953 kennenlernte und ein Jahr später heiratete, entwickelte sich vom unbekannten Filmemacher zum „Prinz des koreanischen Kinos“.
Zusammen realisierten sie mit ihrer gemeinsamen Produktionsfirma „Shin Films“ in den 1950er- und 1960er-Jahren rund 60 Filme, die durchaus progressive Themen wie die Stellung der Frau in der Gesellschaft aufgriffen und auch moralisch mit einem der ersten Filmküsse in einem koreanischen Film polarisierten. Sie eckten damit aber zunehmend mit dem Regime an, das 1974 das Kriegsrecht ausrief. 1975 wurde ihnen die Filmlizenz entzogen. 1976 trennte sich das Traumpaar des koreanischen Kinos, weil Shin Sang-ok eine Affäre mit einer jüngeren Schauspielerin hatte. Choi Eun-hee kümmerte sich um die beiden Adoptivkinder, als sie ein Angebot aus Hongkong erhielt. Dann verschwand sie spurlos. Zwei Monate später war auch Shin Sang-ok wie vom Erdboden verschluckt.
Wer steckte hinter der Entführung?
Die Idee, dass hinter dem Verschwinden der beiden ein wahrer Cineast stecken könnte, erscheint wie aus einem bösen Psychothriller um einen wahnsinnigen Filmfan, der seine Idole entführt, um sie für sich allein zu haben. Doch genau das ist der Hintergrund dieser verrückten Geschichte. Der Filmfan ist niemand Geringeres als der nordkoreanische Diktator in spe – Kim Jong-il, Sohn des damaligen Diktators Kim Il-sung und Vater des aktuellen Diktators Kim Jong-un. Er liebte das westliche Kino und besaß eine in aller Welt zusammengeraubte Sammlung von etwa 15.000 Filmen. Die schlechte Qualität der nordkoreanischen Kinoproduktionen ließ ihn allerdings verzweifeln. Deshalb entführte er das südkoreanische Filmpaar in der Hoffnung, so bessere Filme für sein Land zu bekommen.
Nach
fünf Jahren Gefangenschaft unter schweren Bedingungen – Shin Sang-ok wurde
sogar gefoltert – trafen Choi Eun-hee und Shin Sang-ok 1983 erstmals zusammen.
Sie fügten sich dem Druck und drehten in drei Jahren mehr als zehn Filme für Kim
Jong-il. In öffentlichen Statements bekunden sie, dass sie freiwillig nach Nordkorea
gekommen seien. Auch verliebten sie sich erneut ineinander.
Bevor sie 1986 auf einem Filmfestival in Wien fliehen konnten, realisierten sie mit „Pulgasari“ den bekanntesten Film ihrer nordkoreanischen Produktionen. Der beruhte auf der folkloristischen Sage des metallfressenden Monsters Bulgasari. Das japanische Filmstudio Tōhō zeichnet für die Spezialeffekte verantwortlich und entlieh dafür auch den Godzilla-Darsteller Kenpachiro Satsuma nach Nordkorea.
Monster allerorten
Die unglaubliche Geschichte der beiden Protagonisten wurde 2016 bereits in dem Dokumentarfilm „The Lovers and the Despot“ erzählt. Nun haben sich Sheree Domingo und Patrick Spät an eine Comic-Biografie gewagt und erzählen in „Mme Choi & die Monster“ die Geschichte mit kräftig-dynamischem Strich vor allem aus der Sicht von Choi Eun-hee, die sich ihr Leben lang gegen dominante Männer und Regierungen wehren muss. Parallel eingeflochten ist die Volkssage um das Monster „Bulgasari“ (oder deren Verfilmung „Pulgasari“), in der korrespondierend zu Chois Biografie eine Frau die wahre Heldin ist. Monster gibt es in Mme Chois Geschichte aber eindeutig mehr als nur das metallfressende aus der koreanischen Sage.
Literaturhinweis
Mme Choi & die Monster. Von Sheree Dominog (Zeichnung) und Patrick Spät (Szenario). Verlag Edition Moderne, Zürich 2022. 176 S. 24,00 EUR. Bezug: In jeder Buchhandlung oder hier.