© Clive Oppenheimer (Werkfoto zu "Into the Inferno", 2016)

Die Ausstellung "Werner Herzog" in der Deutschen Kinemathek Berlin

Ein Besuch der Ausstellung „Werner Herzog“ in der Deutschen Kinemathek in Berlin, zu sehen bis 27. März 2023

Veröffentlicht am
29. September 2022
Diskussion

Die Deutsche Kinemathek feiert noch bis 27. März 2023 das Werk von Filmemacher Werner Herzog, der Anfang September 80 Jahre alt geworden ist. Die Ausstellung liefert nicht nur eine Einführung in das vielschichtige Werk des Regisseurs und macht Lust auf dessen Neu- oder Wiederentdeckung, sondern spart auch kritische Punkte nicht aus.


Zähne, Fingernägel, Muscheln, Schneckenhäuser, ein Büschel Stroh, eine Geige, ein spitzer Holzpflock, der mit Blut getränkt ist, mit Vampirblut, wie man annehmen muss: Hinter einem halbgeöffneten Vorhang lockt in der „Werner Herzog“-Ausstellung der Deutschen Kinemathek eine „Wunderkammer“. Welche Exponate darin „echt“ sind und welche nicht, welche wirklich an Filmsets von „Nosferatu“ bis „Fitzcarraldo“ verwendet wurden, bleibt in der Schwebe. Die Beschriftungen, die von Herzogs Szenenbildner Henning von Gierke stammen, sollen teilweise absichtlich falsch sein.


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Willkommen in der Zwischenwelt des Werner Herzog, der vor über einem Jahrzehnt eine aufsehenerregende Rede über seine „ekstatische Wahrheit“ gehalten hat, womit der Filmregisseur die über dem nüchtern Faktischen stehende höhere Wahrheit der Kunst meinte. Am 5. September ist Herzog 80 Jahre alt geworden, nun widmet ihm die Deutsche Kinemathek eine große Ausstellung, die sich aus dem umfangreichen Werner-Herzog-Archiv der Institution speist. Die Schau will dem breiten Publikum einerseits eine Einführung in das vielschichtige Werk des Regisseurs geben, der bisher rund 70 Spiel- und Dokumentarfilme geschaffen hat. Andererseits wird Herzog als „Medienphänomen“ in den Blick genommen – und damit der Künstler, der schon früh Grenzen überschritten hat, darunter so manche ethische Grenze.

Blick in die Ausstellung (© Marian Stefanowski / Deutsche Kinemathek)
Blick in die Ausstellung (© Marian Stefanowski / Deutsche Kinemathek)

Problemzonen werden nicht ausgespart

Ein ganzer Ausstellungssaal ist den „Stimmen“ zu und den Kontroversen um Werner Herzog gewidmet. Die von Rainer Rother, Kristina Jaspers und Georg Simbeni kuratierte Schau geht über die herzog’schen Problemzonen in sechs (!) Schaffensjahrzehnten nicht hinweg, so hat es den Anschein. Zahlreiche Dokumente um das surreale Filmdrama „Auch Zwerge haben klein angefangen“ (1970) eröffnen erneut die Diskussion um die Repräsentation von Menschen mit Behinderungen – Herzog arbeitete hier ausschließlich mit kleinwüchsigen Darstellerinnen und Darstellern zusammen.

Im Fall des ebenfalls behandelten Dokumentarfilms „Land des Schweigens und der Dunkelheit“ (1970/71) fällt allerdings eine tendenziöse Auswahl der Dokumente auf. Herzog hatte hier einen Dokumentarfilm über Taubblinde gedreht; die Ausstellungsdokumente widmen sich ausführlich der Protagonistin Fini Straubinger (1914-1981), die trotz ihrer Mehrfachbehinderung ein selbstbestimmtes Leben als Begleiterin ihrer „Schicksalskameraden“ (Straubinger) führen konnte. Der während des Drehs 22-jährige Taubblinde Vladimir Kokol, der den intellektuellen „Durchbruch“, die „geistige Geburt“ (Helen Keller), nicht schaffte und dessen Dahinvegetieren Herzog mit erschreckendem Voyeurismus filmte, wird weder in der Ausstellung noch im Katalog erwähnt. Es ist schade, dass sich die Ausstellung in ihrem kritischen Impetus nur halb ehrlich gibt.


Zwischen Lavaströmen und Tropfsteinhöhlen

Differenzierter und weniger hagiografisch gefärbt fällt die Auseinandersetzung mit Herzog, dem Weltreisenden aus. Impliziert dessen Neugier auf indigene Kulturen einen kolonialen Blick? Zwei verschiedene Dokumentationen von Les Blank und (der jüngst verstorbenen) Nina Gladitz über die Dreharbeiten von „Fitzcarraldo“ in Peru – inklusive dem berüchtigten Reenactment des Schiffstransports über einen Isthmus im Amazonasbecken – kommen zu divergierenden Urteilen.

Werkfoto zu "Fitzcarraldo", 1982 (© Werner Herzog Film / Deutsche Kinemathek)
Werkfoto zu "Fitzcarraldo", 1982 (© Werner Herzog Film / Deutsche Kinemathek)

Eine Fülle repräsentativer Ausschnitte aus den Filmen machen Lust auf eine Neuentdeckung des Archipels Werner Herzog. In einer von Georg Simbeni und Nils Warnecke konzipierten 3-Kanal-Videoinstallation werden Clips aus 13 Herzog-Filmen, von „Fata Morgana“ (1971) bis zu „Into the Inferno“ (2016), als Montagefilm kompiliert. In dem aus Lavaströmen, waberndem Nebel, klirrendem Eis und Tropfsteinhöhlen gefügten Triptychon wird manifest, dass Herzog sich für Gattungsgrenzen und -regeln herzlich wenig interessiert – und wie abgöttisch dieser Ausnahmekünstler die Natur liebt und sich ihren Kräften immer wieder ausgeliefert hat.

Fleischgewordene Widersprüchlichkeit

Ach ja, und dann war ein gewisser Klaus Kinski ein nicht unerheblicher Karrierefaktor für Werner Herzog. Einen passenderen Titel als „Mein liebster Feind“ hätte der Regisseur für seinen Dokumentarfilm (1999) über den Schauspieler und Psychopathen kaum finden können. Kinski spielte nicht nur die Größenwahnsinnigen – in „Aguirre, der Zorn Gottes“ (1972), „Fitzcarraldo“ (1982) und „Cobra Verde“ (1987, das Originalkostüm des Banditen und Sklavenhändlers ist in Berlin ausgestellt) –, der Mann war tatsächlich gemeingefährlich. Weil er nichtsdestotrotz ein großer Schauspieler war, verkörpert Kinski die fleischgewordene Widersprüchlichkeit des Herzog-Kinos, in dem sich echte Grausamkeit, bisweilen rücksichtslose Ausbeutung der Mitwirkenden und berückende Poesie seltsam verbinden. „Ekstatische Wahrheit“ ist eben das Schlüsselwort in der „Wernerwelt“ (wie Nicole Kidman es in Thomas von Steinaeckers Filmporträt Werner Herzog – Radical Dreamer formuliert, das im Oktober anläuft).

Die Grenzen zwischen reinen Erfindungen und echten Notlagen verfließen häufig – in den Dokumentar- wie in den Spielfilmen. Und deshalb ist es vielleicht auch unerheblich, ob die in der Wunderkammer gezeigte „Skizze Schiffschleppen“ aus der Zeit des „Fitzcarraldo“-Drehs wirklich von Klaus Kinski stammt. Denn einen in der Drehpause friedlich den Aquarellpinsel schwingenden „K.K.“ (gemäß der Beschriftung Henning von Gierkes) kann man sich ebenso bildhaft vorstellen wie den mit einer geladenen Pistole fuchtelnden Schreihals. In diesem Herzogtum ist alles möglich!


Die Ausstellung "Werner Herzog" läuft in der Deutschen Kinemathekl vom 25.8.2022 bis 27.3.2023. Weitere Infos finden Sie hier.

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