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Imitation des Lebens: Douglas Sirk und das ironisierte Melodram

Thomas Brandlmeiers Monographie über den Regisseur, der mit seinen Melodramen Filmgeschichte schrieb

Veröffentlicht am
04. Mai 2022
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Der Filmwissenschaftler Thomas Brandlmeier hat aus seiner lebenslangen Beschäftigung mit dem Regisseur Douglas Sirk eine eingehende, sehr lesenswerte Monografie destilliert. Sämtliche Filme des Melodram-Spezialisten werden darin beleuchtet, wiederkehrende Motive offengelegt und Sirks Kunst der Ironie gefeiert, sodass hinter seinen künstlerischen Arrangements die Abgründe aufscheinen.


Ein gelber Sportwagen rast nachts an Ölfeldern vorbei, während die Vorspanntitel laufen. Schließlich torkelt der betrunkene Fahrer in eine herrschaftliche Villa hinein, ein Schuss – und ein Mann, vielleicht der alkoholisierte Fahrer, bricht draußen vor dem Portal zusammen. Herbstblätter wehen durch die Haustür ins Foyer, dann fegt der Wind in einen Tischkalender, und blättert zurück. „Die Verwendung der Rückblende erlaubt mir die Hoffnungslosigkeit von Anfang an zu zeigen, obwohl das Publikum das Ende nicht erfährt. Aber die Stimmung ist etabliert“, so zitiert Thomas Brandlmeier den über Written on the Wind (1956) sprechenden Regisseur Douglas Sirk. Zirkuläres Erzählen – „Sirk wirft seine Protagonisten immer wieder zurück auf ihren Ausgangspunkt“ (Brandlmeier) – und das „Unhappy Happy Ending“ arbeitet der Autor der Monografie „Douglas Sirk und das ironisierte Melodram“ neben vielen anderen Spezifika dieses einzigartigen Kinoerzählers heraus.

Im Film noir gehört der fatale Schluss zur DNA, weil aber das „Zynischste am Melodram […] das Happy Ending [ist]“, musste Sirk „aus der Not eine Tugend“ machen, „er entlässt seine Akteure nicht in den Himmel des Melodrams, sondern zeigt, dass sie ihren Widersprüchen weiterhin verhaftet bleiben. Er belässt ihnen damit aber auch ihre Menschlichkeit, so fragwürdig sie sein mag. Sirk spricht von ‚off-love-stories‘, das produktionstechnische Love-Interest wird unterlaufen“, schreibt Brandlmeier.

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50 Jahre Beschäftigung mit Sirk

Vor fast 50 Jahren hat der Filmwissenschaftler seinen ersten größeren Text über Sirk in der Film-Korrespondenz veröffentlicht. Nach diversen kürzeren Texten über den 1987 verstorbenen Theaterregisseur und Filmemacher, dessen Schaffen erst nach seinem Tod so richtig gefeiert wurde, hat Brandlmeier nun das 222-seitige Buch herausgebracht. Am umfangreichsten ist der Abschnitt „Film auf Film“, in dem der Autor alle, wirklich alle Filme des als Hans Detlef Sierck 1897 in Hamburg geborenen Regisseurs betrachtet und kommentiert. Eingeschlossen natürlich seine zentralen Melodramen der UFA-Zeit Schlussakkord (1936) und die beiden Zarah-Leander-Filme Zu neuen Ufern und La Habanera (beide 1937).

Zarah Leander und Karl Martell in „La Habanera“ (© IMAGO / United Archives)
Zarah Leander und Karl Martell in „La Habanera“ (© IMAGO / United Archives)

Nach 1933 war der Nazi-Gegner Sierck, dessen Ehefrau Jüdin war, vom Theater zum Film gewechselt, weil er dort zunächst noch freier arbeiten konnte. Er wollte früh emigrieren, bekam aber erst 1937 seinen Reisepass zurück, den man ihm aufgrund einer Denunziation zeitweilig entzogen hatte. Im selben Jahr setzten sich Sierck und seine Frau Hilde Jary über die Niederlande nach Frankreich ab, dann ging das Ehepaar in die USA. Durch Sirks Emigration und die erforderliche Anpassung an die Bedingungen in den USA veränderten sich die Geschichten, wobei das Familienmelodram eine Konstante in seinem Werk blieb. Die Figuren seiner deutschen Filme haben die Erwartungen, die die Gesellschaft an sie stellt, internalisiert. „Die Idee der Familie in ihrer makellosen Reinheit ist Sirks erster bedeutender Filmstoff“, schreibt Brandlmeier über Das Mädchen vom Moorhof (1935). „Dieses norddeutsche Bauerndrama ist in seiner Idealität geradezu unheimlich.“ In seinen Hollywoodfilmen, die sich der spezifisch amerikanischen Ausprägung von Familie – und ihren Abgründen – widmet, kommt es zur heftigen Konfrontation von Realität und Wunschdenken. Brandlmeier: „Wo in Sirks deutschen Filmen das Ideal der Wirklichkeit spottet, spottet in seinen amerikanischen Filmen die Wirklichkeit dem Ideal. Es ist dasselbe widersprüchliche Verhältnis, aber anders pointiert.“

Sich in Hollywood als Regisseur hochzuarbeiten, bedeutete für Sirk – sein deutscher Name wäre zu Kriegszeiten unangenehm aufgefallen, musste also amerikanisiert werden – sich in verschiedenen Genres zu bewähren. Aber schon in den 1940er-Jahren gelingen ihm Filme, die quer zu Genremustern gestrickt sind, wie die wunderbare Thrillerkomödie Lured (1947), für Brandlmeier ein Paradebeispiel für Sirks Freude daran, „Rollen schräg zum Typecasting“ zu besetzen: „Boris Karloff als tragische Figur, die Komikerin Lucille Ball als Tough Girl und der Onkeltyp Charles Coburn als Inspektor.“


Der Melodramen-Regisseur als Schöpfer-Gott

Mit All I Desire(1953) und vor allem Magnificent Obsession (1954), ein Riesenerfolg und so etwas wie ein Schlüsselfilm für Sirks Spätzeit in Hollywood, kehrte er zum Melodram zurück. Der letztgenannte Film, in dem Rock Hudson einen selbstsüchtigen Playboy spielt, der Jane Wymans Unfall und damit ihre Erblindung verursacht, doch die Frau, die er liebt, in einer schwindelerregenden Volte später als medizinische Koryphäe am Hirn operiert und wahrscheinlich heilt, hat es (nicht nur) Brandlmeier besonders angetan. „Sirk macht aus dem hölzernen Rock Hudson in ‚Magnificent Obsession‘ einen melodramatischen Ödipus von Nietzscheanischem Ausmaß“, schreibt er, und: „Hier gelingt eine geistesgeschichtlich ziemlich verrückte Konstruktion. Sirk verbindet Nietzsche mit der Idee von Ostern!“ Mithilfe eines väterlichen Freundes, des von Otto Kruger gespielten Malers, der Hudson den Glauben nahebringt und Sirk nicht zufällig ziemlich ähnlich sieht, etabliert der Regisseur sein eigenes Alter Ego, einen ironisch gemeinten Demiurgen und Strippenzieher. „Der Melodramen-Regisseur als Schöpfergott, der nach Bedarf das Licht an- oder ausknipst, so, wie es Otto Kruger in einer Schlüsselszene tatsächlich tut […]. Otto Kruger verzapft einen solchen Stuss, dass man glaubt zu sehen, wie Sirk grinst.“

Rock Hudson und Jane Wyman in „Magnificent Obsession“ (© IMAGO / Prod. DB)
Rock Hudson und Jane Wyman in „Magnificent Obsession“ (© IMAGO / Prod. DB)

All That Heaven Allows – wieder mit Hudson und Wyman –, There’s Always Tomorrow – mit dem Noir-Paar aus Billy Wilders Double Indemnity: Barbara Stanwyck und Fred MacMurray –, Written on the Wind, der sonst (aber von Brandlmeier keineswegs) unterschätzte Interlude, The Tarnished Angels, A Time to Love and a Time to Die – was für eine Reihe von Meisterwerken! Dann hatte Sirk die Nase voll. Imitation of Life (1959) war sein letzter Hollywoodfilm (dem nur noch drei Übungsfilme mit Studenten an der Filmhochschule in München sowie Theaterinszenierungen folgten). Mit der Beerdigungsszene in „Imitation of Life“, einer Studie über Rassismus in den USA, übertrifft Sirk seine früheren Unhappy Happy Endings noch einmal, wenn sich die Überlebenden auf der pompösen Trauerfeier für die Afroamerikanerin Annie die Hände reichen. Brandlmeier: „Alle Vier finden sich am Schluss zusammen in diesem Farbfilm, der zum Schwarz-Weiß-Film wird, zum Schattentheater und zur Spiegelung. Im Schlussbild füllen Glasdiamanten das ganze Bild. Der Spiegel ist zerbrochen in hundert Splitter. Die Imitation des Lebens hat ein Ende. Aber selbst der zerbrochene Spiegel verbreitet noch falschen Glanz.“


Ein Meister der Wiederkehr

Schatten und Spiegel, Masken, Fenster, Treppen, Blindheit und Verblendung – solchen Sirk-Motiven widmet sich das Kapitel „Praxis. Das Glück der Bürger“ im Einzelnen. Und nicht nur die Motive, auch Schlüsselszenen und bestimmte Gedanken werden im Verlauf des Buchs ostinatohaft wiederholt, aber auch variiert. Kein Manko, eher eine Übertragung der Sirk’schen Methode der kreisenden Wiederholung: Er „ist ein Meister der Wiederkehr“, so Brandlmeier.

Vor allem aber ist ihm Sirk ein Meister der Ironie. „In diesem Buch ist sie der Angelpunkt, von dem aus sich das Werk Douglas Sirks entfaltet. Das klassische Melodram ist bierernst und kennt keine Ironie. Das Bühnenmelodram des 19. Jahrhunderts kannte allenfalls die Parodie in Form eines komischen Begleitprogramms, ein bisschen wie das Satyrspiel in der Aufführungspraxis der griechischen Tragödie. Aber mit Ironie macht sich ein subversives Element im Melodram selbst bemerkbar, überwindet seinen affirmativen Charakter und verkehrt es in ein Instrument der Kritik.“ Thomas Brandlmeiers „Douglas Sirk und das ironisierte Melodram“ ist ein hinreißendes Buch, das die Wahrnehmung für Sirks intellektuelle Tiefe, für die Abgründe unter den künstlichen Arrangements schärft. Man bekommt große Lust auf ein Wiedersehen mit seinen schönen, bösen und klugen Filmen.

„Written on the Wind“ (© IMAGO / Prod. DB)
„Written on the Wind“ (© IMAGO / Prod. DB)



Bibliographischer Hinweis:

Thomas Brandlmeier: „Douglas Sirk und das ironisierte Melodram“. edition text+kritik, München 2022. 222 Seiten, zahlreiche Abb. 20 Euro. Bezug: in jeder Buchhandlung oder hier.

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