Auf der Suche nach einer gendergerechten Sprache scheinen die „Filmschaffenden“ ein goldener Ausweg zu sein. Doch in dieser Wortschöpfung verdichtet sich eine restaurative Tendenz, die Kunst und Kultur auf das Bestehende reduziert und ihr verstörendes Potenzial beseitigt. Am Tropf staatlicher Förderung droht der Anspruch, nicht verstanden zu werden, in Anpassung oder nationale Identitätspolitik aufgelöst zu werden.
Deutsche plagen sich mit Deutsch herum. Redlich bemüht, Sprache eher auf Brechen als Biegen gendergerecht anzupassen, meint uns der Begriff „Filmschaffende“ ein Problem zu nehmen und macht ein anderes. In bemerkenswerter Einmütigkeit von der Ministerialbürokratie bis hin zu jenen, die von ihr abhängig sind – daher wohl „Branche“ genannt –, hat man Filmemacher in einem neuen Berufsbild zum Teufel geschickt, dessen Qualifikationsprofil gerade gesellschaftlich ausbuchstabiert wird.
Der „Filmschaffende“ ist eine Wortschöpfung wiedererwachten Geistes, offenbar vom „Kulturschaffenden“ abgeleitet, den die Nazis vielleicht nicht erfunden, aber durchgesetzt und für die deutsche Sprache hinlänglich unbrauchbar gemacht haben, indem sie mit der „Reichskulturkammer“ eine „berufsständische Zusammenfassung und Gliederung der Kunstschaffenden im Großdeutschen Reich“ schufen, in der jeder „bei der Erzeugung, der Wiedergabe, der geistigen oder technischen Verarbeitung, der Erhaltung, dem Absatz oder der Vermittlung des Absatzes von Kulturgut mitwirkt“.
Die Nazis hatten allen Grund, aus Künstlern „Kulturschaffende“ zu machen. „Filmschaffende“ machen keine Kunst – als Autoren, frei denkende Menschen, kurz Filmemacher –, sie sind Beschäftigte eines Kulturbetriebs. Auch in der DDR wurde weiter von „Bau-, Buch-, Fernseh-, Film-, Geistes-, Kultur-, Kunst-, Theaterschaffenden“ gesprochen, weil ein jeder im Dienst des Staats, nicht der Sache selbst stehen sollte.
In der Struktur autoritärer Sprache
Der Autor W.E. Süskind erinnert in seinem Buch „Dagegen hab’ ich was“ an den tautologischen Charakter des Worts: „denn Kultur heißt wörtlich Pflegen, Schaffen, Urbarmachen, und ein Kulturschaffender ist demnach ein Schaffensschaffender oder, wenn ihr’s küchenlateinisch wollt, ein Kulturkultor.“ Und stellt im „Wörterbuch des Unmenschen“ eine Hypothese auf, warum uns dieser Mumpitz verfolgt: „Alles in allem hat der Unmensch im Wort „Kulturschaffende“ nach bestem Vermögen ausgedrückt, wie es sich mit der Kultur nach seiner Meinung verhält. Kultur ist wertvollstes Volksgut, so hat er auf der Schule gelernt. Sie befindet sich teils in Museen, teils wird sie laufend weiter hergestellt, und die sich damit abgeben, sind die Kulturschaffenden, das ist doch klipp und klar. Es ist ein gegenseitiges Objekt-Verhältnis, das sich in der Zusammensetzung Kultur-Schaffende ausdrückt: ein Karussellgaul ist ja auch ein Gaul, der einerseits das Karussell zieht und der andererseits ins Karussell eingespannt ist. Der Vergleich ist auch insofern schlüssig, als dem Unmenschen die Kultur ernstlich als ein fahrplanmäßig im Kreis fahrendes Ringelspiel gilt.“
Im Wort „Kulturschaffende“ brüllt der Blockwart den Künstler an. Was hier zur Ordnung ruft, will Integration, Homogenisierung: Keiner möge es mit der Kunst allzu ernst meinen und ins Ungewisse hinauswollen. Wer aus Künstlern „Kulturschaffende“ und aus Filmemachern „Filmschaffende“ macht, um dem generischen Maskulinum nicht auf den Leim des biologischen Geschlechts zu gehen, bewegt sich bereits in der Struktur autoritärer Sprache, ist freiwillig untertan, Mitläufer.
Die „Gemeinschaft aller Kunst- und Kulturschaffenden“ ist in diesem Land sprachlich Programm geblieben, das sich Kunst so ganz frei doch nicht vorstellen kann. Die kulturpolitische Gegenreformation ist in vollem Gange. Solcher Geist errichtet gerade neue Altstädte und Stadtschlösser. Man habe das Gefühl, schreibt Ralf Blau in der Januarausgabe der Zeitschrift „Cinema“, selten Schauplatz tiefgehender Einsichten, „dass ‚Papas Kino‘, aus dem in der Rückschau längst Opas Kino geworden ist, gar nicht tot ist. Es ist vermutlich nur in eine Art Dornröschenschlaf gefallen – und wurde längst wiederbelebt. Diesen Eindruck gewinnt man jedenfalls, wenn man sich die deutschen Komödien der letzten Monate anschaut.“ Da gibt’s Beispiele mehr als Ausnahmen.
Daher werden aus Künstlern „Kulturschaffende“ und aus Filmemachern „Filmschaffende“, aus einem Filmland eine „Filmnation“, aus Kunstwerken „Kulturgut“. Kultur wird an alles drangekleistert, was schwierig ist. Den Waschbeutel hat man im „Kulturbeutel“, Handwerk in der „Kulturtechnik“ und Intimität zur „Intimkultur“ entsorgt. Karl Kraus notierte resigniert in „Hier wird Deutsch gespuckt“, wie Beherrschte Sprache beherrschen wollen: Das „heutige Deutsch ist eben keine Sprache, sondern ein Betrieb, der erst wie das ganze Etablissement ‚in der Einrichtung begriffen‘ ist, dem Bedürfnisse der Kundschaft angepasst werden muss und sich deshalb so wenig selbstverständlich vorkommt, dass jeder Tag eine Überraschung bringen kann“.
Das Verständnis von „Kulturgut“ ist national geblieben, auch nach 1945, denn es wurde entweder „kriegsbedingt verlagert“ oder muss gegen Einfluss oder gar Ansprüche von außen, vor Restitution geschützt werden. „Für mich ist der Film zuallererst ein Kulturgut“, sagt die Kulturstaatsministerin. Hätte sie Kunst gesagt, wäre es wahrscheinlich um das Filmförderungsgesetz geschehen gewesen, denn wäre Film in diesem Land als Kunst angesehen, erwartet und gefördert, gäbe es vielleicht aufregendere Filme und auch eine Perspektive für das und nicht nur Liebe zum Kino als einer kulturellen Praxis, die der Gesellschaft auch dann noch erhalten bliebe, wenn die Geschäfte damit längst gemacht sind.
New Deal & alte Kulturkämpfe
Was am „Regisseur“ problematisch wurde, Willkür und Exzess des Subjekts, die grobe Verletzung subjektiven Rechts, soll der „Filmschaffende“ in gesellschaftlichen Konsens verwandeln. In verwalteter Kultur erscheint ein Künstler oder Filmemacher längst als bedauernswerte Kreatur, die auf den rechten Weg einer Welt zu bringen ist, die Gerechtigkeit zwar selbst nicht einlöst, aber dort durchsetzen will, wo sie nicht hingehört.
Das enthüllt den ideologischen Kern der Wiederkehr des „Kulturschaffenden“, der „geschult“ wurde, wie es der Jargon der Nazis wollte. Man liest und hört erstaunt, wie Film- und Kulturförderungen Künstlern und Kulturinstitutionen „helfen“ wollen, „diverser“ oder „gerechter“ zu werden, als habe Kunst von Politik und Verwaltung zu lernen und nicht umgekehrt. Das verleiht Kulturförderung eine neue, bislang ungeahnte Macht, uns darüber zu belehren, was wir noch zu lernen haben, welche Art von Kunst verlangt ist und wie diese herzustellen sei. „Kulturschaffende“ unterziehen sich ihrem eigenen Change Management. Bessere Kunst entsteht daraus wohl kaum. Im Grunde will man sich bestätigt sehen. Den einzigen Job, den die Verfassung Kulturförderern aber verbindlich aufträgt, ist Förderung und Sicherung der Kunstfreiheit. Rechten Denkens einigermaßen unverdächtig, versucht man Kunst auf den Mittelweg der gesellschaftlichen „Relevanz“ zu bringen. Das höchste der Gefühle, das man sich bei Kunst noch denken kann, ist die politisch angesagte Haltung, ein „Zeichen zu setzen“, damit sich in dieser Welt wirklich nichts ändert.
Nico Hofmann, der als Produzent von „Hindenburg“, „Nicht alle waren Mörder“ oder „Rommel“ fürs Geschichtsbild deutsche Täter zu Opfern ihrer Opfer macht – während man in diesem Land die Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit immer den anderen überließ, Alain Resnais, ClaudeLanzmann, Marcel Ophüls oder der US-amerikanischen Serie „Holocaust“ –, hat nun auch die Diversität entdeckt: „Um alle Aktivitäten zu bündeln und fokussiert voranzutreiben, wurde ein interner Diversity-Circle gegründet, bestehend aus Patinnen und Paten zu den vier Fokusthemen Gender, LGBTIQ, People of Color sowie Menschen mit Beeinträchtigungen. Die UFA will in ihren Programmen künftig Diversität als Normalität zeigen. Es wurden in diesem Zusammenhang gemeinsam mit Angehörigen der im deutschen Fernsehen unterrepräsentierten Gruppen Leitfäden entwickelt, die in Form eines Fragenkatalogs allen Kreativen dabei helfen sollen, ihre Projekte, Narrative und Charakterzeichnungen hinsichtlich Stereotypen kritisch zu hinterfragen“, berichtet „Blickpunkt:Film“. Das ist prima. Dagegen kann man nichts einwenden, denn so immunisiert sich der Status quo gegen Veränderung. Und dass es in der Gesellschaft so weitergeht, skandalisiert Kunst, nicht der „Kulturschaffende“, dem Erbaulichkeit und Unterhaltung als Erfolgsmaßstäbe genügen.
Der New Deal behauptet, alte Kulturkämpfe zu überwinden. Niemand will am eigenen Ast sägen. Während früher den konservativsten Kräften die Rolle der Kulturwächter zukam, die „anstößiger“ Kunst allenfalls Verbote androhen konnten, wird „Kulturschaffenden“ heute ein neues Rollenverständnis auferlegt, Kunst nur noch zu dulden, wenn sie keine Gewalt zeigt, nach aktuellen, nicht immer ganz einsichtigen Maßstäben „divers“ zustande kommt und sich präsentiert und vor allem niemandes Gefühle verletzt. Die Verletzung der Gefühle, die einmal dem religiösen Empfinden vorbehalten war, wird zum allgemeinen Gemütszustand einer Gesellschaft, zum Befindlichkeitsmodus tribalisierter „Affektgemeinschaften“ (Hanno Rauterberg), denen Kunst gegen den Strich geht, ohne dass es begrifflich gefasst oder gar begründet werden müsste. Zuständigkeit genügt.
Identitätspolitik sorgt für eine gespenstisch puritanische Einigkeit zwischen neuen progressiven und nationalistisch-chauvinistischen Kräften, wie sie in Brasilien, Polen, Russland oder Ungarn gerade die politische Mehrheit bilden. Sie bildet den Rahmen, das Framing des Kulturbetriebs heute. Aus einem politischen Kampf um soziale Emanzipation (gleiche Bezahlung, gleiche Rechte usw.) aller wurde ein Kampf aller, um die Verteilung knapper Ressourcen, ein Kampf unter Geschiedenen. Dabei wäre Universalismus das Ziel, das uns die Verfassung vorgibt, Zugang zu Ressourcen, Bildung und Kunst also, den Hilmar Hoffmann einmal in der Formel „Kultur für alle“ fasste. Mit der Aussicht auf Gendersterne kann man niemanden über den Verlust des Himmels der Emanzipation hinwegtrösten.
Verstörung als Verdachtsmoment
Wo „Kulturschaffende“ wirken, die erzogen wurden, müssen Kunst und Film „vermittelt“, also auch noch jene erzogen werden, für die Kunst und Film die Einladung zum Denken darstellen sollten. Was schwierig ist, muss reflexartig erklärt werden. Kunst aber wird nicht durch Normierung vermittelt, sondern durch Zugang, hat einen Anspruch darauf, nicht verstanden zu werden, etwas anderes zu verstehen, als man in ihr versteht. Kunst- und Filmvermittlung sind Ausdruck einer Krise der Kunst und des Films selbst, den Zustand einer Gesellschaft notfalls in verstörender Weise zu vermitteln.
So entsteht eine Kultur wie auf Bestellung der Kultursendungen, die über sie berichten und in denen ungelöste gesellschaftliche Konflikte, verstörende Affekte, die durch Kunst ausgelöst werden könnten, tabu sind. Normierung ist die neue Progression. „Kulturschaffende“ passen Kunst ambivalenzfrei in die Verhältnisse ein. Der Preis ist Anpassung, Verstörung das Verdachtsmoment. Im „Kulturschaffenden“ unterwirft sich Kunst aus freien Stücken.
Der Autor Lars Henrik Gass ist Leiter der Internationalen Kurzfilmtage
Oberhausen, Mitherausgeber der Bände „Provokation der Wirklichkeit. Das Oberhausener Manifest und die Folgen“ (2012) und „after
youtube. Gespräche, Portraits, Texte zum Musikvideo nach dem Internet“ (2018) sowie Autor der Bücher „Das ortlose Kino. Über Marguerite Duras“
(2001), „Film und Kunst nach dem Kino“ (2012/2017, auf Englisch 2019) und „Filmgeschichte
als Kinogeschichte. Eine kleine Theorie des Kinos“ (2019).
Texte auf filmdienst.de:
Manifest ist vor dem Manifest: Über die Debatten um die deutsche Filmkultur
Aus die Maus. Fernsehen als Museum
Die Nacht der lebenden Toten. Wie in Wiesbaden Filmkultur den Rhein runter geht