Unlängst im Kino gesehen: Er wartet. Es ist ein großer Tag, man will mit dem Ballon hoch hinaus. Sie kommt in letzter Minute. Aufgetakelt wie für einen Zirkusauftritt, im Handgepäck ihr Schoßhündchen. Das mit dem Hund ist nicht abgemacht. Doch die Zeit drängt, eine Wetterfront naht. Der Ballon hebt ab. In der Luft dann gibt es Zoff, schließlich wirft sie den Vierbeiner über Bord. „Das kann sie jetzt aber doch nicht tun!“, schießt es mir augenblicklich durch den Kopf. Die kurze Sekunde der Empörung genügt, um „The Aeronauts“ auf meine Liste von Filmen zu setzen, in denen Hunden auf makabre Weise Leid widerfährt.
Diese Liste ist
lang. Sie nahm ihren Anfang, als mit „Besser geht‘s nicht“ und „Twin Town“ zwei Filme ins Kino kamen, in denen es des Menschen treustem
tierischem Freund an den Kragen geht, und wird seither immer wieder durch Filme
ergänzt, in denen Hunde mehr oder minder kreativ dran glauben müssen: Sie werden
geworfen, geschubst, verstoßen, angeschossen, erschossen, überfahren,
vergiftet, gejagt, verfolgt, ausgesetzt, auf dem Müll entsorgt, in die Luft
gesprengt, ertränkt, eingefroren und nicht selten zu Tode geliebt.
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Als Referenz gilt – in Gesprächen unter Freunden – „Ein Fisch namens Wanda“ (1988), in dem eine Diebesbande eine Augenzeugin außer Gefecht setzt, indem sie deren drei Yorkshire-Terrier beseitigt. Den ersten Hund erwischt eine von den Dieben losgeschickte Dogge. Der zweite wird auf dem Fußgängerstreifen überfahren. Der dritte – und diese Szene ist derart verblüffend, dass sie sich nachhaltig in der Erinnerung brennt – findet sein Ende unter einem Betonklotz, der durch einen Schuss aus der Halterung gelöst, von einem Baukran fällt.
Wenn es Wauzi erwischt, sieht Herrchen rot
Durch den
Hund dessen Meister (und dem Publikum) ans Herz: So lautet eines der
erzählerischen Prinzipien. Es findet sich öfters in Fehde- und Rache-Filmen,
wie der „John Wick“-Reihe, in der der Rachefeldzug des
Titelhelden durch den Tod eines Welpen ausgelöst wird. Es tauchen in jeder
Folge weitere, Wick ans Herz gewachsene Hunde auf, die – um ihn auf Trab und
die Erzählung am Leben zu halten – abgemurkst werden. Ebenfalls via Hunde
funktioniert die Story in dem im Fahrtwasser von „Trainspotting“
entstandenen „Twin Town“, in welchem sich die bösbubigen
Zwillinge Jeremy und Julian nicht nur mit den Gemeindeobrigkeiten, sondern auch
dem Lokalmafioso der „pretty shitty city“ Swansea anlegen.
Bis vor wenigen Wochen geisterte im Zusammenhang mit „Twin Town“ das Bild eines schwarzen Pudels durch meinen Kopf, der mitsamt seiner Hütte in die Luft gesprengt und anschließend seinem Besitzer auf einem roten Samtkissen zurückgebracht wird. Wie sich bei neuerlicher Sichtung herausstellte, ist der Pudel weiß, sein Herrchen ein Frauchen, und auf einem pinkfarbenen Kissen wird diesem nicht der ganze Hund, sondern bloß sein abgerissener Kopf präsentiert; in der explodierenden Hütte sitzt ein anderer Hund.
So narrt die Erinnerung. Dennoch sind es diese kurzen Momente verblüffter Empörung und/oder sarkastischer Erheiterung, die sich nachhaltig in die Erinnerung einschreiben. Wer würde sich an „Besser geht’s nicht“ erinnern, wenn Jack Nicholson darin nicht den störenden Nachbarshund kurzerhand in den Müllschacht werfen würde? Und wer wird von „Die Känguru-Chroniken“, den ein Freund jüngst als „diesen Film, in dem ein Känguru einen Hund durch einen Park kickt“ apostrophierte, mehr als eben diese belustigend-schräge Szene in Erinnerung behalten?
„No animals were harmed“
„No animals
were harmed“ steht für gewöhnlich im Abspann solcher Filme. Das
(ungeschriebene) Gesetz, dass Tiere und damit Hunde in (Mainstream-)Filmen –
sofern sie nicht dezidiert als böse gezeichnet werden – als unschuldig gelten
und ihnen kein Leid geschehen darf, gilt auch für Dreharbeiten. Findet sich in
einem Film eine „heikle“ Szene, wird von Seiten der Produktion postwendend
erklärt, dass dem Tier beim Dreh kein Leid geschah. So erfährt man, dass bei „The Aeronauts“ nicht nur mit einem echten Hund, sondern auch mit einem
Plüschhund-Double gearbeitet wurde. Und beim Dreh von „Besser geht’s nicht“ wurde das Hündchen in besagtem Entsorgungsschacht von einem Crewmitglied
aufgefangen.
Als Randnotiz sei hier erwähnt, dass, als ich vor Jahren bei einem kommunalen Kino anfragte, ob ich eine Reihe makabrer Hundefilme vorstellen dürfte, mein Ansinnen abgelehnt wurde mit der Begründung, man wolle sich nicht mit Tierschützern anlegen.
Wenn es um Hunde geht, geht es immer auch um Menschen
Meine Hundefilme-Passion ist im Laufe der Jahre gewachsen. Ich habe Essays über Evil Dogs, Space-Dogs und Straßenköter in Stummfilmen gelesen. Habe „Das Fenster zum Hof“ nochmals geschaut, um zu beobachten, wie ein im Hintergrund täglich aus einem oberen Stockwerk in einem Körbchen in den Hof heruntergelassener Hund plötzlich tot aufgefunden wird. Habe mir den Kopf zerbrochen über das in „Men in Black“ im Mops Frank steckende Alien. Und ich habe mich in der Kategorisierung von Hundefilmen versucht: Filme, in denen sich im Charakter des Hundes derjenige ihrer Besitzer spiegelt. Filme, in denen Hunde stellvertretend für Menschen agieren. In denen sich Geschichte von Hund und Mensch schicksalhaft bedingen. Oder solche über Menschen, die Hunde besitzen. Eher selten gibt es Filme um Hunde an sich, ungeachtet ihrer Beziehung zum Menschen. Was daran liegen dürfte, dass Hunde (auch streunende oder verwilderte) auf Menschen – und Kameraleute – immer reagieren und sich kaum jemand die Mühe gibt, sie mit versteckter Kamera zu filmen. Eine (löbliche) Ausnahme bildet der zumindest teilweise aus Augenhöhe der Hunde gefilmte Dokumentarfilm „Space Dogs“.
Auf meiner Shortlist der besten Dog Movies steht auch „Amores Perros“, in dem sich die Geschichten eines Kampfhundes, eines Schoßhündchens, einiger Straßenköter und deren „Besitzer“ durch einen Autounfall schicksalhaft verknüpfen. Unvergesslich ist vor allem das Winseln des ewig unterm Bodenparkett feststeckenden Schoßhundes. Auf dieser Liste stehen auch Matteo Garrones „Dogman“, in dem der einen Hundesalon betreibende Titelheld irgendwann einen tiefgefrorenen Chihuahua wiederbelebt, und Todd Solondz’„Wiener-Dog“, in dem ein Dackel zigmal den Besitzer wechselt, eine Bonbon-Vergiftung erleidet, entführt und verlassen wird, bevor er auf einer Landstraße schnöde totgefahren wird.
Nicht vergessen werden dürfen auch „Underdog“, in dem ein Vater den Mischlingshund seiner Tochter auf die Straße setzt, bloß weil der Staat die Hundesteuer erhöht, und „Isle of Dogs“, in dem der übermächtige Bürgermeister einer japanischen Stadt in Anbetracht einer grassierenden Seuche sämtliche Hunde auf eine als Mülldeponie dienende Insel deportieren lässt. Als kurzes PS sei – weil in seiner makabren Köstlichkeit kaum zu übertreffen – noch Tim Burtons als Hommage an die alten Frankenstein-Filme entstandener Kurzfilm „Frankenweenie“ von 1984 erwähnt, in dem ein Primarschüler durch die Wiederbelebungsversuche an seinem totgefahrenen Hund die gesamte Nachbarschaft in geisterhaften Schrecken versetzt. Diese Liste ließe sich endlos weiterschreiben.
Bloß „The Aeronauts“ muss davon wieder gestrichen werden. Denn der aus dem Ballon geworfene Hund trägt versteckt einen Fallschirm, der ihn ganz sanft zur Erde gleiten lässt.
Die erwähnten Filme auf DVD/BD:
„The Aeronauts“, Tom Harper, 2019
„Ein Fisch namens Wanda“, Charles Crichton, 1988
„Twin Town“, Kevin Allen, 1997
„Besser geht’s nicht“, James L. Brooks, 1997
John Wick (Filmreihe), Chad Stahelski, ab 2014
„Die Känguru-Chroniken“, Dani Levy, 2020
„Fenster zum Hof“, Alfred Hitchcock, 1954
„Men in Black“, Barry Sonnenfeld, 1997
„Space Dogs“, Elsa Kremser, Levin Peter, 2019
„Dogman“, Matteo Garrone, 2018
„Underdog“, Kornél Mundruczó, 2014
„Wiener-Dog“, Todd Solondz, 2016
„Isle of Dogs“, Wes Anderson, 2018
„Frankenweenie“, Tim Burton, 1984