Seit mehr als 30 Jahren befindet sich Afghanistan im Kriegszustand, was zu einer dauerhaften Präsenz in den Medien führt, ohne dass der Alltag der leidenden Zivilbevölkerung darin vorkommt. Die Dokumentation von Helga Reidemeister will diese Leerstelle mit einer fragmentarischen Hommage an den Lebenswillen der Afghanen füllen. Doch die Momentaufnahmen aus Kabul und dem ländlichen Süden des Landes fügen sich trotz bewegender Bilder und viel Empathie nicht schlüssig zusammen, weil der Dokumentarfilm keine Hintergründe liefert und seine Protagonisten nicht zu Wort kommen lässt.
- Ab 14.
SPLITTER Afghanistan - Wie kann ich Frieden denken?
Dokumentarfilm | Deutschland 2013 | 76 Minuten
Regie: Helga Reidemeister
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Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 2013
- Regie
- Helga Reidemeister
- Buch
- Helga Reidemeister · Lars Barthel
- Kamera
- Lars Barthel
- Musik
- Katia Tchemberdji
- Schnitt
- Dörte Völz
- Länge
- 76 Minuten
- Kinostart
- 22.01.2015
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14.
- Genre
- Dokumentarfilm
Diskussion
Seitdem die Sowjets 1979 in Afghanistan einmarschierten, befindet sich das Land nahezu ununterbrochen im Kriegszustand. Und auch davor war die Region nicht eben von stabilen Friedenszeiten geprägt. In den letzten Jahren bildete das Land am Hindukusch nicht zuletzt durch den Einsatz deutscher Truppen geradezu ein Dauerthema in der öffentlichen Berichterstattung, doch von dem Alltag und dem Leiden der Bevölkerung erfuhr man wenig.
Die Dokumentaristin Helga Reidemeister versucht diese Leerstelle zumindest ein Stück weit zu füllen. Ihr Film beginnt mit Bildern von einheimischen Archäologen, die in einem Museum in Kabul damit beschäftigt sind, Bruchstücke von Skulpturen zu sortieren, die von den Taliban zerstört wurden. Doch kaum ist das Interesse für diese Sisyphus-Arbeit geweckt, verlässt die Kamera den Ort und sucht ihn für den Rest des Films auch nicht wieder aufsuchen. Stattdessen sieht man in einem Dorf zwei Männer im handgreiflichen Streit, bei dem es offenbar um eine Frau geht. So erläutert es zumindest der Off-Kommentar. Weiter heißt es da: „Wir staunen, wie offen hier Gefühle gezeigt werden. Unsere Anwesenheit stört nicht.“ Selbst wenn man dies glauben sollte, bleibt beim Zuschauen ein voyeuristischer Beigeschmack. Alsdann sucht der Film eine Schweizer Hilfsorganisation auf, in der Kriegsversehrten Fahrräder zur Verfügung gestellt werden, damit sie als Kuriere arbeiten können. Unwillkürlich fragt man sich allerdings, warum ausgerechnet Männer mit Beinprothesen diese Aufgabe bewältigen sollen und ob Fahrradkuriere in Afghanistan wirklich gebraucht werden. Doch die Regisseurin stellt auch hier keine Fragen und gibt erst recht keine Antworten.
Wenig später erreicht die Dokumentation ihren Hauptschauplatz: das Orthopädische Zentrum in Kabul, wo sich der italienische Arzt Alberto Cairo schon seit 1990 mit großem Enthusiasmus um große und kleine Kriegsopfer kümmert. Die Kamera begleitet ihn bei seiner Arbeit und fängt bewegende Bilder von Patienten ein, die trotz aller Pein ihren Lebensmut nicht verloren haben. Unter ihnen ist auch der kleine Sher Achmad, der ab der Mitte des Films zum Hauptprotagonisten avanciert. Sein Onkel, der ihn in die Klinik begleitet, da der Vater des Jungen in Dubai arbeitet, lädt das Filmteam in sein Dorf im Süden des Landes ein. Dort wird den Deutschen vom Mullah aber deutlich gemacht, dass sie nicht willkommen sind. Also tritt man die Rückreise an, filmt unterwegs noch ein paar deutsche Truppen im Schnee und ist schließlich wieder in Kabul.
Nach „Texas Kabul“ und „Mein Herz sieht die Welt schwarz“ ist „SPLITTER Afghanistan“ der dritte Filme, den Reidemeister in Afghanistan gedreht hat. Eine fragmentarische Hommage an den (Über-)Lebenswillen der Menschen, die mit zahlreichen bewegenden Bildern aufwartet, aber zugleich einigermaßen ratlos zurück lässt. Dabei irritiert nicht nur, dass von den Hintergründen der kriegerischen Auseinandersetzungen mit keinem Wort die Rede ist, sondern vor allem der Umstand, dass der Film seine Protagonisten nicht zu Wort kommen lässt, ihnen keine Stimme gibt. Alles, was man über und von den auftretenden Menschen erfährt, wird lediglich über einen oft betulichen Off-Kommentar vermittelt.
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