Drama | Großbritannien 1994 | 109 Minuten

Regie: Antonia Bird

Ein emotional packender und um differenzierte Behandlung bemühter Film über einen jungen Priester in einer englischen Arbeitstadt, der mit seiner Homosexualität in Konflikt gerät und durch seine Unfähigkeit, in eine ihm in der Beichte anvertraute inzestuöse Beziehung einzugreifen. Der von einem vielschichtig angelegten Drehbuch getragene Film verbindet eine realistische Milieuschilderung mit dramatisch zugespitzten Höhepunkten, behält dabei eine notwendige Offenheit, die Anstöße bietet, nicht nur zur Diskussion der Rolle des Priesters, sondern auch von allgemein christlichen Themen wie die Suche nach Gott, Sakramente, Schuld, Versöhnung.
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Filmdaten

Originaltitel
THE PRIEST
Produktionsland
Großbritannien
Produktionsjahr
1994
Produktionsfirma
BBC
Regie
Antonia Bird
Buch
Jimmy McGovern
Kamera
Fred Tammes
Musik
Andy Roberts
Schnitt
Sue Spivey
Darsteller
Linus Roache (Greg Pilkington) · Tom Wilkinson (Matthew Thomas) · Cathy Tyson (Maria Kerrigan) · Robert Carlyle (Graham) · Lesley Sharp (Mrs. Unsworth)
Länge
109 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Genre
Drama
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Diskussion
Der Auftakt ist wie ein Paukenschlag: Mit dem Kreuz als Rammbock stürmt ein verbitterter alter Pfarrer auf die vergitterten Fenster am Haus des Bischofs zu. Der Angriff auf die kirchliche Hierarchie hat durchaus programmatischen Charakter, doch die Geschichte entwickelt sich im weiteren Verlauf bedeutend differenzierter, als es der anfängliche "Sturmlauf" vermuten läßt. Ein neuer Kaplan tritt an die Stelle des verbitterten alten Pfarrers der Eingangsszene: ein attraktiver junger Mann namens Greg Pilkington. Er kommt in die Gemeinde von Pfarrer Matthew Thomas, der ein ganz und gar unkonventioneller Priester ist. Mehrere Jahre hat er in Südamerika gelebt und sich von dort eine Haushälterin mitgebracht. Daß er mit ihr mehr teilt als nur die Wohnung, ist offensichtlich und findet Gregs Mißbilligung. Mit wenig Erfolg bemüht sich Greg um Kontakt zur Gemeinde, sucht einen anderen Weg als Matthew, der den kämpferischen Einsatz für die Armen und gegen die Reichen predigt. Als Greg bei einer Beerdigung mit der Trauergesellschaft zusammen ist, erlebt er eine Emotionalität, die ihm seine eigene Leere bewußt macht. Als er danach heimkehrt, legt er sein Collar ab und zieht sich die Lederjacke an, um in einer Homosexuellen-Bar Kontakt zu finden. Er begegnet Graham und verbringt mit ihm die Nacht. Schuldgefühle plagen ihn danach, aber er versucht, sie durch die Arbeit zu betäuben. Dann steht eines Tages Graham auf der Straße vor ihm und kommt sogar zu ihm in die Kirche. Greg ist bei seinem Anblick wie gelähmt und verweigert ihm die Kommunion. Aber es kommt für ihn noch schlimmer: in der Beichte erfährt er von der jungen Lisa Unsworth, daß ihr Vater sie sexuell mißbraucht. Da Lisa Greg keine Erlaubnis erteilt, mit ihrer Mutter darüber zu reden, sucht Greg verzweifelt nach Möglichkeiten, den Vater zu stoppen. Als dieser das merkt, erscheint er im Beichtstuhl und bekennt sich offen zu seinen inzestuösen Gelüsten. Greg, der mit seiner Sexualität selbst nicht im reinen ist, wagt nichts zu unternehmen. Seine Verzweiflung wächst, er fleht zu Gott, und wie es scheint, wird sein Gebet erhört, denn Lisas Mutter ertappt den Vater und bricht mit ihm. Ihr ganzer Haß richtet sich gegen Greg, der sie nicht eher gewarnt hat. Greg sucht wieder Zuflucht bei Graham. Als er eines Tages mit ihm zusammen ist, werden die beiden von der Polizei verhaftet. Die Presse greift den Fall des homosexuellen Priesters sofort auf. Man verbannt Greg in eine Landpfarrei, aber Matthew holt ihn in die Gemeinde zurück. Im Sonntagsgottesdienst, den er gemeinsam mit Greg feiert, entsteht eine heftige Diskussion, und ein Teil der Gemeinde verläßt unter Protest die Kirche. Greg bittet die Menschen um Verzeihung, aber niemand will sich von ihm die Hostie geben lassen. Nur Lisa tritt auf ihn zu, und weinend umarmen sie sich.

In einem Milieu, in dem sich sonst britische Regisseure wie Ken Loach oder Mike Leigh zu Hause fühlen, hat die englische Regisseurin Antonia Bird, die sich durch Fernsehfilme einen Namen gemacht hat, ihren ersten Kinofilm angesiedelt. Was vom Stoff her ein skandalträchtiges Kinomelodram über einen homosexuellen Priester hätte werden können, erweist sich als ernsthafter Unterhaltungsfilm mit Anspruch, mit Blick für das Milieu und Humor inszeniert, wenn auch mitunter mit dem Hang zur dramatischen Überzeichnung. Das Thema der Rolle des Priesters wird an fünf Figuren abgehandelt: Greg scheint der ideale Priester zu sein, jung, gutaussehend, fest im Glauben, beseelt von der Gewißheit seiner Berufung, aber das Idealbild bekommt Risse, als sich zeigt, daß er seine homosexuelle Neigung nicht unterdrücken kann; Matthew ist der Typ des politisch engagierten Priesters, der aus der Schule der Theologie der Befreiung kommt; dazu treten als Nebenfiguren der entlassene verbitterte Pfarrer, der nie Probleme mit dem Zölibat hatte, aber bekennt, er sei nicht stolz darauf und er beneide Greg um seine Berufung, die er nie verspürt hat, der zynische Bischof und der knochenharte alte Landpfarrer, der den schuldig gewordenen Greg mit Verachtung straft und mit ihm nur Lateinisch redet. Wie die Auftaktszene mit dem Kreuz als Rammbock, sind zentrale Szenen dramatisch auf die Spitze getrieben: mitunter überzogen wie die Erscheinung von Lisas Vater, der im Beichtstuhl wie der Leibhaftige erscheint, manchmal fragwürdig wie die Szene im Gottesdienst, als Greg bei der Elevation der Hostie seinen Liebhaber entdeckt, aber auch überzeugend gelungen wie die emotional bewegende Schlußszene. deren Wirkung man sich kaum entziehen kann. Sicherlich hätte die Geschichte auch mit etwas mehr Nüchternheit ihre Wirkung nicht verfehlt, aber man muß der Regisseurin und dem Autor zugestehen, daß die dramatischen Zuspitzungen nie reiner Selbstzweck sind. Was als Blasphemie erscheinen könnte, wenn die Wandlung zusammengeschnitten wird mit Szenen der sexuellen Begegnung von Greg und Graham, bringt Gregs Konflikt auf den Punkt: hinter dem Leib Christi wird der Leib seines Geliebten sichtbar. Oder ein anderes Beispiel: die auf den ersten Blick überzogen wirkende "Gethsemane"-Szene, als Greg sich fordernd und flehend an den gekreuzigten Christus wendet, während scheinbar wie ein Wunder als Erhörung seines Gebetes die inzestuöse Beziehung von der Mutter entdeckt wird, läßt sich als direkte Umsetzung von Gregs subjektivem überhitztem Gemütszustand deuten, denn bei nüchterner Betrachtung erkennt man - worauf die Regisseurin hingewiesen hat -, daß das "Wunder" von Greg selbst verursacht worden ist, weil er eine Versammlung im Pfarrhaus vorzeitig abgebrochen hat, so daß die Mutter früher als erwartet heimkehrte. Die überraschendste Wendung der Geschichte ist zweifellos die Szene, in der Greg sein Collar ablegt, aber die Thematik der Sexualität ist auch hier vorbereitet, nicht nur durch Matthews unorthodoxe Beziehung zu seiner Haushälterin, sondern auch durch andere kleine Details. Als Greg erscheint, wird er von den Putzfrauen zunächst einmal als gutaussehender Mann wahrgenommen. Als Greg später mit seinem Trainer Jogging betreibt, Kraftübungen macht und mit ihm nackt unter der Dusche steht, weicht die Darstellung schon von gängigen Priesterbildern im Film ab. Die überzeugenden Darsteller untermauern die Glaubwürdigkeit, wenn sie von der Geschichte kaum abgesichert ist. So würde man die "Liebe auf den ersten Blick" zwischen Greg und Graham, die aus dem kurzen Abenteuer einer Nacht entsteht, leicht als Griff in die Klischeekiste abtun, aber Graham kommt über die Leinwand glaubwürdig rüber, auch wenn der Zuschauer fast nichts über ihn weiß.

Der Film ist sorgfältig aufgebaut, aber er geht nie glatt auf, hinterläßt immer Reibungsflächen und bleibt auch am Ende offen. Bei aller Bemühung um Differenziertheit, ist eine gewisse Einseitigkeit in bezug auf die zentrale Zölibatsproblematik nicht zu übersehen. Entweder verstoßen die Priester gegen ihr Gelübde, ohne Gewissensbisse wie Matthew oder mit schweren Schuldkonflikten wie Greg, oder sie werden wie der entlassene Pfarrer, der Bischof oder der Landpfarrer verbittert, verknöchert, zynisch, unmenschlich. Daß der Film ernsthaft ist, steht außer Frage, das erleichtert jedoch nicht die Diskussion. Sicher kann man nicht abstreiten, daß der Film Konflikte darstellt, die einen realen Hintergrund haben, aber angesichts der zwangsläufig aufkommenden Frage, wie verbreitet Konflikte von Priestern mit dem Zölibat tatsächlich sind, ist man auf Spekulationen angewiesen. Glücklicherweise hängt der Film nicht allein an dieser Frage. Die Stellungnahme, die die katholischen Mitglieder der Ökumenischen Jury in Berlin abgaben (vgl. fd 5/95) betonte jedoch zu Recht, daß der Film nicht nur Aussagen zum Zölibat mache, sondern viele positive christliche Themen und Werte enthalte wie "die Suche nach Gott, die Verbundenheit mit der Glaubensgemeinschaft, das Gebet, die Eucharistie, Solidarität, Vergebung, Versöhnung". So bietet er genügend Stoff zur Diskussion - nicht nur für Priester.
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