Natürlich ist er nicht nur der König der Löwen: majestätisch thront Mufasa über allen Tieren der afrikanischen Steppe. Sie zollen ihm Tribut, die Zebras und Giraffen, die Gnus und die Warzenschweine, denn ein freudiges Ereignis ist zu feiern, und so schaut man gebannt nach oben. Dort, auf dem Felsplateau, hält der Löwe stolz seinen kleinen Erben in den Armen: Simba heißt der niedliche Knirps, dessen Heranwachsen man nunmehr verfolgen darf. Eine Initiationsgeschichte wird das Disney-Studio diesmal erzählen, wobei Simbas Weg zur Reife beschwerlich und gefahrvoll ist. Mufasas finsterer Bruder Scar, ein rechter "Prinz John" (dem im Original Jeremy Irons Stimme und Konterfei geliehen hat), hat es auf den Thron abgesehen und wird zum Königsmörder. Gemeinsam mit seinen Schergen, den hämischen Hyänen, hat er den kleinen Simba zu den Gnu-Herden gelockt, die ihn aufgeschreckt totzutrampeln drohen. In letzter Minute kommt ihm sein Vater zu Hilfe, der dabei jedoch von Scar eine Klippe hinabgestoßen wird. Scar ist es auch, der Simba einredet, er sei schuld am Tod seines Vaters, worauf der junge Thronfolger die Flucht ins Exil ergreift. Im Busch untergetaucht, schließt Simba Freundschaft mit dem tolpatschigen, doch gutmütigen Warzenschwein Pumbaa und dem lustigen Äffchen Timon. Das ungleiche Paar nimmt sich Simbas an und lehrt ihn nur zu gern die Dschungel-Philosophie "Hakuna Matata", was soviel bedeutet wie "Don't worry, be happy". "Probier's mal mit Gemütlichkeit", hieß es damals im "Dschungelbuch"
(fd 15 898), aber man erinnert sich, welche geheimnisvolle Kraft es war, die Mowgli, das Menschenkind, schließlich doch noch für den Ernst des Lebens gewann. Und auch Simba wird nicht mehr derselbe sein, wenn er erst die Liebe entdeckt und Nala wiederbegegnet ist, dem Löwenmädchen aus seiner Kindheit. Sie spürt ihn im Exil auf und führt ihm drastisch vor Augen, wie sehr das Land unter Scars Regentschaft zu leiden hat. Ein Schamane schließlich überzeugt ihn vollends vom blauen Blut der Verantwortung in seinen Adern. So rettet er schließlich, im mutigen Kampf gegen Scars Hyänen und mit Unterstützung seiner Freunde das Königreich."Der König der Löwen" ist ein gutes Geschäft, und das nicht nur für das Disney-Studio, das schon sagenhafte 250 Millionen Dollar eingenommen hat. Auch der Zuschauer könnte sein Eintrittsgeld kaum besser anlegen: kein Tag in "Euro Disney", keine teure Musical-Show bietet bessere Unterhaltung als dieser imposante und kurzweilige, gleichermaßen amüsante wie anrührende Zeichentrickfilm. Es ist das beste Entertainment, das man für Geld kaufen kann, jeder wird das bestätigen - außer vielleicht die Allerjüngsten, wie meist bei Disney. Und doch verbreitet dieser "Löwenkönig" eine gewisse Melancholie in den Augen derer, denen der klassische Zeichentrickfilm am Herzen liegt und ein wenig mehr ist als bloße Unterhaltung. Man braucht bloß einmal den vielbeschworenen, doch computer-animierten Sternenhimmel mit seinem handgemalten Vorbild in "Pinocchio" (fd 1123) zu vergleichen, um zu erahnen, was man eben nicht für Geld kaufen kann. So sehr das Studio gegenwärtig bemüht ist, an die Klassiker seiner großen Zeit anzuknüpfen, so sehr entfernt es sich von ihnen. So ist die Handlung des Films eine wohldosierte Mixtur aus den Zutaten der beiden populärsten Disney-Filme "Bambi" (fd 1016) und "Das Dschungelbuch". Wenn am Anfang der neugeborene Simba gefeiert wird, ist das die monumentale Neueinstudierung jener intimen Geburtsszene, mit der "Bambi" begonnen hat. Ganze Bewegungsphasen wurden aus den alten Zeichnungen adaptiert, ohne daß sich Eleganz und Trefflichkeit übertragen hätten.Die Kunst der Disney-Animation bestand darin, eine Welt aus dem Nichts zu erschaffen, die zwar die Wirklichkeit mitunter karikierte, doch stets mit dem Abstand des künstlerischen Auges. Heute imitiert der Zeichentrickfilm vorrangig den Realfilm - als hätte er das nötig! Robin Williams, der dem Lampengeist "Aladdin" zuletzt seine Stimme geliehen hatte, war der erste, der dies bemerkte. Wie in der alten Geschichte Peter Schlemiehl nicht nur seinen Schatten an den Teufel verkauft hatte, bemächtigte sich das Disney-Studio nicht nur der Stimme des Schauspielers, sondern seiner gesamten Physiognomie. Der Schritt zum synthetischen Kino, das auch verstorbene Leinwandgrößen wiederauferstehen läßt, ist nicht mehr weit.Natürlich besteht auch ein intellektuelles Vergnügen darin, (in der Originalfassung) im Löwen Scar den großen Jeremy Irons, in der hämischen Hyäne Whoopie Goldberg auszumachen, doch wird dies, wie Williams es formulierte, Disneys neuere Filme schnell altem lassen. Früher hatte man bewußt auf unbekannte Stimmen und Modelle zurückgegriffen und so originäre, klassische Charaktere geschaffen. Dramatischer noch als die Ausrichtung der Figuren auf reale Vorbilder verändert die Computer-Animation der Hintergründe das Bild des Zeichentrickfilms, der sich so endgültig von den klassischen Künsten entfernt. die er einst um das Element der Bewegung bereichert hatte. Auch ein letztes Charakteristikum des großen Disney-Trickfilms ist im "König der Löwen" ein wenig zu kurz gekommen: War bisher jede Handlung psychologisch nachvollziehbar, oft bis zur Überdeutlichkeit motiviert, bleibt nun viel zu wenig Zeit, um den Sinneswandel Simbas zu verstehen, seine Abkehr vom "Hippie-Leben" des "Hakuna Matata", das dem Zuschauer doch gerade erst als unbeschwerte Naturphilosophie nahegebracht worden war. Ohnehin wirkt die vereinfachende "Eine-Welt"-Stimmung des Films unglaubwürdig, da man etwa die pseudo-afrikanische Musik von Hans Zimmer komponieren ließ. So ist dieser 32. lange Disney-Trickfilm ein Vergnügen aus zweiter Hand - technisch brillant, mitreißend inszeniert, künstlerisch jedoch von geringerem Interesse als die meisten Filme des berühmten Studios.