The Gravedigger's Wife

Drama | Finnland/Deutschland/Frankreich/Somalia/Katar 2021 | 80 Minuten

Regie: Khadar Ayderus Ahmed

Ein Totengräber aus Dschibuti-Stadt kann seine Familie gerade mal so ernähren, während seine nierenkranke Frau auf ein Spenderorgan wartet und der Sohn in schlechte Gesellschaft zu geraten droht. Als sich die Hoffnung auf eine Spenderniere zu erfüllen scheint, aber Geld für die OP gebraucht wird, macht sich der Mann auf den Weg zu seinen Eltern, die ihn vor Jahren verstoßen haben. Das am Horn von Afrika spielende Sozialdrama malt warmherzig das Leben einer armen Kleinfamilie in einem Slum aus, ohne das Elend auszuschlachten. Zwar weist das Drehbuch auch einige logische Lücken auf, doch bestechen die realistische Milieuschilderung und die Mischung aus landesspezifischen und universellen Episoden. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
GULED & NASRA
Produktionsland
Finnland/Deutschland/Frankreich/Somalia/Katar
Produktionsjahr
2021
Produktionsfirma
Bufo/Twenty Twenty Vision/Pyramide Prod./ZDF - Das kleine Fernsehspiel/arte
Regie
Khadar Ayderus Ahmed
Buch
Khadar Ayderus Ahmed
Kamera
Arttu Peltomaa
Musik
Andre Matthias
Schnitt
Sebastian Thümler
Darsteller
Omar Abdi (Guled) · Yasmin Warsame (Nasra) · Kadar Abdoul-Aziz Ibrahim (Mahad) · Samaleh Ali Obsieh (Ali) · Hamdi Ahmed Omar (Hassan)
Länge
80 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Drama
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IMDb | TMDB

Sozialdrama um einen Totengräber in Dschibuti-Stadt am Horn von Afrika, der verzweifelt versucht, Geld für eine lebensrettende OP seiner nierenkranken Frau aufzutreiben, und dafür in sein Heimatdorf zurückkehren muss.

Diskussion

Guled und seine Arbeitskollegen arbeiten als Totengräber. Mit einem einfachen Spaten schaufeln sie rechteckige Löcher in den harten, geröllartigen Boden, in dem bald jemand bestattet wird. Der Job ist hart, eintönig und schlecht bezahlt. Für Guled, der in einem Slum in Dschibuti-Stadt lebt, reicht das Geld für sich und seine Kleinfamilie kaum zum Leben. Manchmal, wenn es keine Toten zum Begraben gibt, verrichtet Guled andere Jobs als Tagelöhner, indem er für wohlhabende Städterinnen Gepäck schleppt. Sein 12-jähriger Sohn Mahad respektiere ihn nicht, weil er arm ist, mutmaßt der Vater, und macht sich Vorwürfe. Mahad schwänzt die Schule, hängt mit seinen Freunden ab und macht, was er will.

Eine unvorstellbare Summe

Am meisten Sorgen macht dem 45-jährigen Guled jedoch der Gesundheitszustand seiner Frau Nasra. Die lebenslustige und -weise Frau, die sich nicht so schnell unterkriegen lässt, hat ein schweres Nierenleiden. Als die von der Ärztin verschriebenen Antibiotika nicht anschlagen, wird ihre Krankheit lebensgefährlich. Damit sie gerettet werden kann, benötigt sie nicht nur eine Spenderniere, sondern auch eine OP, und diese kostet 5000 Dollar – eine unvorstellbare Summe für Guled. Er beschließt, sich in sein Heimatdorf aufzumachen, um dort von seiner Familie sein Erbe einzuklagen. Das Problem an dem Vorhaben: Er liegt mit seiner Familie im Clinch, seit er vor mehr zwei Jahrzehnten gemeinsam mit Nasra aus dem Dorf geflüchtet ist, um sie vor einer Zwangsheirat mit einem alten fremden Mann zu bewahren …

Die familiären Verwicklungen Guleds rollt „The Gravedigger’s Wife“ erst allmählich auf. Zunächst macht Nasra nur Anspielungen auf ihre angeblich „furchtbare“ Schwiegermutter. Doch später im Film hat das Publikum selbst Gelegenheit, sich eine Meinung über diese Figur zu bilden. Seine originelle Narration offenbart der Film auch bei der Geschichte des Kennenlernens von Guled und Nasra. Sie wird in einer Parallelmontage erzählt: Zum einen schildert sie Nasra ihrem Sohn, zum anderen Guled an einem Lagerfeuer anderen Wanderern, als er auf dem Weg in sein Dorf ist.

Teufelskreis der Armut

In Dialogen offenbart sich auch, was die Beschreibung des kargen Lebens im Slum nicht leisten kann: Sowohl Nasra als auch Guled sind Analphabeten, sodass selbst ein unmotivierter Schüler wie Mahad den beiden in Sachen Bildung weit überlegen ist. So erzählt der Film unaufgeregt von dem Teufelskreis der Armut, in dem die Kleinfamilie gefangen ist. Ohne Bildung keine besseren Jobs, aber Bildung ist für Guled aus Zeit- und Geldmangel nicht erreichbar.

Dabei tappt das Drama jedoch nicht in die Falle des Voyeurismus. Die Armut wird weder beschönigt noch ausgeschlachtet. Regisseur Khadar Ayderus Ahmed, der aus Somalia stammt und als 16-jähriger Flüchtling nach Finnland kam, zeigt das ärmliche Leben der Kleinfamilie im Slum durch alltägliche Verrichtungen im Haushalt. Aber auch für den Zusammenhalt und die Fürsorge der Nachbarn untereinander findet er überzeugende Bilder. Außerdem schildert er den Wandel des Sohnes Mahad. Um die Mutter zu unterstützen, bessert dieser mit kleinen Jobs wie dem Waschen von Autowindschutzscheiben die Familienkasse auf. Abends kocht der angehende Teenager für seine geschwächte Mutter.

Zudem führt das mit Geldern aus Finnland, Frankreich und Deutschland finanzierte Regiedebüt vor, wie sich das Paar trotz materieller und gesundheitlicher Sorgen seinen Lebensmut bewahrt und auch Momente von Unbeschwertheit erlebt: So schmuggelt sich Nasra mit ihrem Mann auf eine Hochzeit, indem sie vorgibt, dem Brautpaar, das sie nicht kennt, eine Ziege als Geschenk mitzubringen, die sie zuvor von einem weiteren Unbekannten ausgeliehen hatte. Dann feiern beide ausgelassen auf dem Fest – bis Nasra vor Erschöpfung wieder zusammenbricht.

Widerstand gegen überholte Bräuche

Dennoch weist das Drehbuch einige erzählerische und logische Lücken auf. Konflikte scheinen sich entweder von selbst aufzulösen oder sie werden nicht weiter erläutert, und so stehen die Zuschauer zuweilen vor Rätseln. Wenn etwa Guled ohne Wasser und Schuhe bei sengender Hitze durch die Wüste wandert, wirkt  das nicht sehr glaubwürdig – als Einheimischer müsste er die klimatischen Bedingungen kennen. Auch einige sehr heftige Reaktionen seiner Sippe werden nicht ausreichend erklärt und wirken deshalb vereinfachend. Dennoch entsteht für nicht Eingeweihte ein Einblick in das gesellschaftliche und soziale Gefüge eines Landes, von dem die meisten in Europa nur wenig wissen. Der Regisseur zeigt landesspezifische Sitten und Lebensweisen auf und skizziert auch das Stadt-Land-Gefälle in Dschibuti sowie den Widerstand einiger seiner Bewohner gegen als überholt empfundene Bräuche.

Andere Episoden sind wiederum so anrührend wie universell: Ein junger Totengräber traut sich nicht, eine junge Frau anzusprechen, die ihm gefällt. Guled hilft ihm dabei und bekommt zum Dank dafür ein Geschenk des Jüngeren, das ihm zwar nur wenig weiterhilft, aber für kurze Zeit sein Herz erwärmt.

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