Drama | Deutschland 2024 | 120 Minuten

Regie: Frauke Lodders

Die Geschwister Hannah und Timotheus wachsen in einer streng religiösen Familie auf. Beide leben ihren Glauben mit Leidenschaft. So hat die junge Teenagerin ein Keuschheitsgelübte abgelegt, das körperliche Intimität vor der Eheschließung ausschließt. Als Hannah sich in den neuen Nachbarsjungen verliebt, werden die Dinge allerdings komplizierter. Auch Timotheus entwickelt Gefühle für jemanden - und zwar für seinen besten Freund Jonas. Geplagt von seinem Glauben, kämpft er gegen die ,unreinen' Gedanken der Homosexualität an. Die Werte der Familie kollidieren immer stärker mit den Gefühlen und Sehnsüchten der Kinder. - Ab 14.
Zur Filmkritik Im Kino sehen

Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2024
Produktionsfirma
Kinescope Film
Regie
Frauke Lodders
Buch
Frauke Lodders
Kamera
Johannes Louis
Musik
André Feldhaus
Schnitt
Elias Engelhardt
Darsteller
Flora Li Thiemann (Hannah) · Serafin Mishiev (Timo) · Michelangelo Fortuzzi (Max) · Mark Waschke (David) · Bettina Zimmermann (Esther)
Länge
120 Minuten
Kinostart
30.01.2025
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Drama
Externe Links
IMDb | TMDB

Drama um zwei religiös engagierte Geschwister aus einer evangelikalen Freikirche, die in der Pubertät in existenzielle Nöte geraten, weil ihre Gefühle nicht mehr zu ihren strengen Regeln passen.

Aktualisiert am
22.01.2025 - 14:27:33
Diskussion

Für die kleine Ruth war es nur ein Spiel. Sie habe, so erzählt sie freudig ihren Eltern und drei Geschwistern, in der Kita geheiratet. „Wen denn?“, will ihr Vater schmunzelnd wissen. „Sabrina!“, sagt das Mädchen – und kassiert dafür eine schallende Ohrfeige und einen missbilligenden Blick der Mutter. Das Mädchen muss aufs Zimmer. Gott hat Mann und Frau füreinander bestimmt. Alles andere ist Sünde. Was in der Bibel steht, ist für Ruths Vater Gesetz.

Jesus-Halskette & „Blessed“-Hoodie

Entsprechend läuft es in Sachen Bibeltreue bestens in dieser Familie, die in einem roten Schwedenhaus lebt und auf den ersten Blick nicht als Mitglied einer streng evangelikalen, freikirchlichen Glaubensgemeinschaft zu erkennen ist. Jung und modern wirken sie. Man muss schon genau hinsehen: die Jesus-Halskette, die am Hals der 17-jährigen Hannah (Flora Li Thiemann) baumelt, das eingestickte Wort „blessed“ auf dem Hoodie, den ihr Bruder trägt. Die beiden sind der Stolz ihrer Eltern: Hannah, die bald ihr Keuschheitsgelübde ablegen wird, unterweist in ihrer Gemeinde Mädchen, wie sie Seele und Körper reinhalten. Sex vor der Ehe, gar Selbstbefriedigung sind tabu. Beseelt von ihrem Glauben, tanzt Hannah mit Gleichaltrigen zu christlicher Rockmusik bei sogenannten Celebrations.

Ihr Bruder Timo (Serafin Mishiev), der als einziger Sohn für seinen Vater „etwas ganz Besonderes“ ist, bereitet sich auf seine Taufe vor und schreibt dafür an seinem Glaubensbekenntnis. Doch das fällt dem 15-Jährigen schwerer als erwartet. Denn lebt er wirklich so, wie es seine Eltern, die Gemeinde und Jesus Christus von ihm erwarten? Ist er frei von Sünde? Oder ist er „Abschaum“, wie er einmal auf ein Blatt kritzelt, weil ihm sein Kumpel Jonas mehr bedeutet, als er eigentlich dürfte?

Diese beiden titelgebenden „Gotteskinder“ stehen im Mittelpunkt des Spielfilms von Frauke Lodders. Ein Jahr lang hat die Regisseurin nach eigenen Angaben für Drehbuch und Film recherchiert und an Veranstaltungen und Angeboten evangelikaler Freikirchen teilgenommen, denen in Deutschland etwa 1,5 Millionen Menschen angehören. Mit den jugendlichen Hauptfiguren Hannah und Timo taucht sie in die Welt christlicher Fundamentalisten ein. Die Geschwister sind in eine evangelikale Familie hineingeboren. Sie kennen nichts anderes, finden im Glauben und ihrer Gemeinde Stabilität und Geborgenheit und wollen, wie Timo einmal sagt, ein Leben mit Jesus im Mittelpunkt. „Woher weiß man oder soll sich entscheiden, was richtig oder was falsch ist?“, fragt Hannah in einem ihrer Workshops. Die Antwort auf diese Frage heißt immer: Gott.

Erwachsenwerden im evangelikalen Milieu

Und so erscheint es folgerichtig, dass Frauke Lodders ihre Auseinandersetzung mit dem bibeltreuen Christentum als Coming-of-Age-Film anlegt, in dem es genretypisch und wortwörtlich genau darum geht: um das Erwachsenwerden, um erste handfeste Konflikte mit dem Elternhaus und vor allem um die Frage, wer man eigentlich ist. Doch wo es für Zweifel keinen Raum gibt, ist der Konflikt vorprogrammiert.

Der Zweifel, aber auch die Angst bahnen sich bei Timo und Hannah ihren Weg über die Gefühlsebene. Timo verliebt sich in Jonas. Hannah lernt ihren neuen Mitschüler Max (Michelangelo Fortuzzi) kennen und kann sich seinem aufmüpfigen Charme nicht entziehen, obwohl er mit Glauben und Religion nichts am Hut hat. Nach dem Tod seines Vaters ist er mit seiner trauernden Mutter von Frankfurt in den kleinen Ort gezogen, der sich als Hochburg christlicher Fundamentalisten erweist. Bei David, einem Bekannten aus früheren Tagen, sucht die Witwe Rat und Trost, auch weil sie ständig mit ihrem rebellischen Sohn aneinandergerät.

Es gelingt „Gotteskinder“, eine Glaubenswelt zu vermitteln, die einerseits von Jesusliebe und Geborgenheit geprägt ist, zugleich aber von Sünde, Schuld und Sühne bestimmt wird. Die seelische Pein, die Timo und Hannah zerreißt, ist spür- und nachvollziehbar. Ihr Handlungsraum wird immer enger, der Druck immer größer. Ihr soziales Umfeld ist eine evangelikale Blase, in der alles gut ist, solange man nicht ausschert. Auch wenn es für Außenstehende schwer vorstellbar ist, läuft Indoktrination jeglicher Couleur wohl genau so ab. Es gibt kein wirkliches Korrektiv in der Welt von Hannah und Timo; selbst ihre christliche Privatschule ist ganz auf Linie.

Wenig Raum für Fragen und Zweifel

Und so bürdet die Regisseurin der Figur Max die Aufgabe auf, im Film fast ganz allein für die weltliche Außenwelt zu stehen. Er ist es, der Hannah zu einem verbotenen ersten Kinobesuch verleitet, ihren Glauben hinterfragt und sie schließlich auch „in Versuchung führt“.

Damit und auch mit dem Setting macht es sich der Film aber ein wenig zu einfach; eine ganze Nachbarschaft fest in der Hand radikaler Christen? Man möchte eigentlich gerne wissen, wie diese Menschen, allen voran Hannah und Timo, diese Zeit, das Land und die Gesellschaft, in der sie leben, wahrnehmen. Irgendetwas davon muss doch zu ihnen durchdringen! Zudem versteht man nicht ganz, was den Halb-Punk Max zu Hannah hinzieht, auch wenn sie etwas Spitzbübisches an sich hat und ihm mit großer, zugleich missionarisch motivierter Offenheit begegnet. Den erwachsenen Figuren hätte überdies mehr Tiefe gutgetan. Wie haben sie zu ihrem Glauben gefunden? Haben sie nie Zweifel oder Fragen? Von Timos Vater erfährt man, dass er nach einem wilden Leben bekehrt wurde. Nun füllt er eisern die Rolle des Patriarchen aus. Aber was treibt Max’ Mutter, Trauer hin oder her, sich völlig kritiklos auf diese Glaubensgemeinschaft einzulassen und ihren eigenen Sohn zu hintergehen? Das wirkt schon arg plotgetrieben.

Leben in einer Parallelgesellschaft

Dennoch bleibt „Gotteskinder“ nach dem Abspann haften, da einen das Schicksal der beiden Jugendlichen nicht unberührt lässt. Der Film führt in eine abgeschirmte Parallelgesellschaft hinein und erzählt davon, was passiert, wenn der Glauben das Leben nicht leichter macht, sondern es bedrückt oder gar zerstört.

Kommentar verfassen

Kommentieren