Auf den ersten Blick scheinen der isoliert aufgewachsene 16-jährige Sebastian (Asa Butterfield) und der gleichaltrige Jared (Alex Wolff) nicht viel gemein zu haben. Während Sebastian mit seiner Großmutter das „House of Tomorrow“ bewohnt, ein futuristisches Kuppelgebäude in den Wäldern Minnesotas, ist Jared der rebellisch auftretende Sohn eines evangelisch-lutherischen Gemeindemitarbeiters. Der Junge mit dem unvorteilhaften Do-it-yourself-Haarschnitt lernt den mit der grün gefärbten Punkfrisur kennen, als Jared mit einer von seinem Vater begleiteten Kirchengruppe das spektakuläre, von dem (realen) Architekten Buckminster „Bucky“ Fuller erdachte Haus besucht. Während der nerdige Sebastian, der zuhause unterrichtet wird, brav nach den strengen Vorgaben seiner Oma Josephine lebt, scheint Jareds zentraler Lebensinhalt darin zu bestehen, mit rotzigen Sprüchen und offensiv zur Schau gestellten Abgeklärtheit sein Umfeld zu schockieren, allen voran seinen Vater. Dem Jungen wurde gerade ein Spenderherz eingepflanzt; weshalb der weitgehend beschäftigungslose Vater seine ungeteilte Aufmerksamkeit dem gesundheitlichen Zustand seines Sohnes widmet.
Punk-Erleuchtung durch die „Germs“
Auf den zweiten Blick gibt es natürlich sehr viel mehr Gemeinsamkeiten. Beide Jungen sind auf ihre Weise Außenseiter und auf der Flucht vor ihren überbehütenden Familien; Sebastian weiß das bloß noch nicht, wird es aber durch die Freundschaft mit Jared erkennen. Ebenso wie seine Liebe zum Punkrock, die in einer toll inszenierten, ganz auf Sebastians Gesicht konzentrierten Szene entflammt, als sein neuer Kumpel ihn die „Germs“ hören lässt.
Bis dato waren Walgesänge und klassische Konzerte das Einzige, was Sebastian zum Thema Musik einfiel. Eine gemeinsame Punk-Band und ein erster Gig sind fortan das Ziel der beiden Teenager. Um üben zu können, muss Sebastian sich regelrecht davonstehlen. Denn so fortschrittlich und freigeistig die Lebensphilosophie des großen Vorbilds „Bucky“ erscheint, so rigide, fast schon totalitär setzt dessen einstige Schülerin Josephine diese um. Sebastian soll das Erbe ihres Mentors und ihr eigenes Lebenswerk weitertragen, sich mit Haut und Haar Buckys Thesen und Erfindungen verschreiben – genauso, wie sie es selbst tut.
Pointiert besetzt, glänzend gespielt
Ellen Burstyn, die den Debütfilm von Peter Livolsi auch mitproduziert hat, spielt eindringlich diese alte Frau, die über die Fixierung auf ihr Idol den Bezug zur Welt und ihrem Enkel verloren hat. Ein interessantes Gegengewicht zu Josephines zunehmend ideologisch-verbohrtem Auftreten bildet ihr hippieskes Äußeres, die Wallegewänder und das zumeist offen getragene schlohweiße Haar. Ohnehin sind die Schauspieler das große Pfund dieses Coming-of-Age-Films, dessen Drehbuch nach dem gleichnamigen Roman von Peter Bognanni ebenfalls von Livolsi stammt.
Asa Butterfield mimt den sozial unerfahrenen Sebastian mit staunendem, durchlässigem Blick aus wasserblauen Augen, die einen tiefen Einblick in sein Inneres gewähren. Mit zunehmender Befreiung aus dem Klammergriff der Großmutter und der Entdeckung des eigenen Lebens entwickelt der intelligente junge Mann ein selbstbewussteres Auftreten, was der britische Darsteller feinnervig spielt. Alex Wolff als Jared bildet dazu ein tolles Pendant; die beiden harmonieren sehr gut als zentrales Paar dieser „Bromance“.
Auch die weiteren Schauspieler überzeugen, vor allem Nick Offerman als fürsorglich-übergriffiger Vater Alan, der die feinen Nuancen zwischen berechtigter Sorge um sein Kind und die Instrumentalisierung der Krankheit als Beschäftigungstherapie für sich selbst spürbar werden lässt. Auch seine Figur des etwas hilflosen, um Teilhabe bemühten Spießers wird durch Kostüm und Maske dezent und stimmig miterzählt, mit weiten Dad-Jeans, kurzärmligen Hemden und stets umgeschnallter Bauchtasche.
Gut zwischen Drama und Komödie austariert
„Der schrille Klang der Freiheit“ (im „The House of Tomorrow“) erzählt sensibel, detailreich und voller Leidenschaft einen zwischen Drama und Komödie austarierten Plot vom Erwachsenwerden, von schwierigen Familienverhältnissen und von der Kraft der Punk-Musik. Dass der Film gelegentlich im dramaturgisch-erzählerischen Gefüge holpert (wo etwa kommt der Schlagzeuger der neuer Band plötzlich her?), fällt kaum ins Gewicht. Story und Figuren sind zu gelungen, und auch die anderen Gewerke wie Kostüm, Maske, Kamera und der mit Punkrock-Ikonen gespickte Soundtrack überzeugen.
Dazu kommt die äußerst spannende Begegnung mit dem im Film sowohl geistig als auch in Archivaufnahmen sehr präsenten Buckminster Fuller (1895-1983). Der vielseitige Intellektuelle sprach nicht nur frappierend früh von Nachhaltigkeit, von „Weniger ist mehr!“ und einem schonenden Umgang mit den Ressourcen, sondern lebte diese Prinzipien auch und setzte sie unter anderem als Architekt um. Dass Josephine diesen Mann, der seiner Zeit enorm weit voraus war, verehrt, kann man durchaus verstehen. Dass aber ihr Enkel Sebastian eigenen „Götter“ – die Stranglers, Black Flag oder die Stiff Little Fingers – neben „Bucky“ stellen will, ist Thema dieses schönen Debütfilms.