Es ist ein schauspielerischer Kniff, der aus der Mode gekommen ist: ein Lachen, das sich in steigernder Dynamik in ein hysterisches Weinen verwandelt. Niemand verlangt dies noch, um die Virtuosität und das Talent von Darstellenden zu attestieren. Dennoch gibt es präzise den Seelenzustand zwischen Verzweiflung und Ausweglosigkeit wieder. Von daher darf Michelle Pfeiffer zu Beginn von „French Exit“ weinend lachen. Doch Regisseur Azazel Jacobs macht das einzig Richtige: Er wendet die Kamera ab, als sich dieser Augenblick anbahnt, und folgt lieber einem eleganten schwarzen Kater durch das luxuriöse Anwesen, was die Protagonistin Frances Price gerade im Begriff ist, zusammen mit all ihrem anderen Luxus zu verlieren.
Damit ist der Ton ist gesetzt, das Spiel kann beginnen. Und das heißt „French Exit“, was auf lakonische Weise einen Abgang bezeichnet, ohne „auf Wiedersehen“ zu sagen. Price ist darin eine Meisterin. Manche ihrer Freunde würden sagen, sie sei „impertinent“, und sind gerade deshalb ihre Freunde. Doch wer hat schon Freunde in den oberen Kreisen, in denen sich Price nicht erst seit der Heirat mit Frank bewegt? Doch Frank ist schon eine Weile tot. Das hat sie verschmerzt. Dumm ist nur das mit den Finanzen.
Auf nach Paris!
Ihr Anwalt rät der in Schönheit gealterten Mittsechzigerin, vor dem Eintreffen der Gläubiger alles zu versilbern und dann zu verschwinden. Ohne ihre einzige wirkliche Trösterin Joan (Susan Coyne) und deren ungenutztes Appartement in Paris hätte Price nicht gewusst, wohin mit sich und ihrer Designerhandtasche voll des letzten Bargelds. Zumal sie auch noch ihre Katze „Small Frank“ und ihren Sohn Malcolm (Lucas Hedges) mit im Gepäck hat.
Seit sie Malcolm in der Pubertät aus der Schule genommen hat, macht er kaum etwas anderes, als seiner Mutter zur Seite zu stehen. Es wäre ungerecht zu sagen, dass er sie über all die Jahre hinweg nachgeahmt hätte. Denn Malcolm gesteht sich im Gegensatz zu seiner Mutter Herz und Emphase zu. Doch auch Malcolm kann nicht aus seiner blassrötlichen Haut, als er seine noch nicht öffentlich gemachte Verlobung mit der verhuschten, aber so viel stärkeren Susan (Imogen Poots) zunächst aussetzt. Paris ist weit, und man weiß nie, was einem in der Fremde alles passiert.
Was Frances und Malcolm in der Stadt an der Seine erleben, ist für die Inszenierung nicht sonderlich wichtig, auch wenn das Drehbuch auf geschickte Weise immer mal wieder Spannung schürt. Da gibt es die mal als Hexe, mal als Zigeunerin bezeichnete Madeleine (Danielle Macdonald), die auf der Schiffspassage nach Paris als Kartenlegerin arbeitet und die für die Zukunft der Prices mehr als nur ein flüchtiger Zeitvertreib wird. Madame Reynard (Valerie Mahaffey), die reiche, aber einsame Nachbarin, könnte in ihrem bedingungslos offenen Selbstmitleid eine noch nicht zu fassende Bereicherung darstellen. Privatdetektiv Julius (Isaach de Bankolé) wird, erst einmal engagiert, zum Dauergast im Appartement der Prices. Und außerdem ist da ja auch noch der Kater „Small Frank“, der nicht nur dem Namen nach eine ganz besondere Stellung im Leben von Frances innehat.
Kein Film, eher ein Gemütszustand
„French Exit“ ist kein Thriller, selbst wenn es um den Tod geht. Auch sämtliche anderen Genres geben im Film nur kurze Stippvisiten. Selbst das „Drama“ würde sich Frances Price als Umschreibung für ihren Film gewordenen Abgang tunlichst verbitten. „French Exit“ ist kein Film, er ist ein Gemütszustand, der sich in einer Abfolge von eigentümlichen Tableaus filmisch Bahn bricht. Die Musik kennt als Tempobezeichnung das Adagio und das Andante. Mit „ruhig“ und „schreitend“ meint das nicht nur die Geschwindigkeit, sondern auch die Seele eines Stückes. Das, was „French Exit“ zeigt, ist das gesammelte Adagio und Andante der Familie Price, in aller gebotenen dezenten Skurrilität.
Wes Anderson hat früher eine vergleichbare Art von Film gemacht, bevor er sich entschloss, mit seinen Werken ins Varieté überzusiedeln. „French Exit“ ist ein Film, der das Leben spiegelt und gleichzeitig davon ganz weit weg ist; fantastisch und geerdet zugleich. Er lebt vom schwelgerischen Set-Design, von exzentrischen Kostümen und von Schauspielern, die mit größter Selbstverständlichkeit Sonderlinge geben. Lucas Hedges und Imogen Poots sind Nerds, ohne lächerlich zu sein, und verleihen der ihren Figuren innewohnenden Tragikomik eine bewundernswerte Würde. Valerie Mahaffey verleiht ihrer zutiefst anstrengenden Madame Reynard eine bemitleidenswerte Zerbrechlichkeit, dass man sie sofort als beste Freundin in den Arm nehmen möchte. Und Michelle Pfeiffer jongliert als Grande Dame herzlos und behutsam mit den Gefühlen aller anderen, als hätte sie im Alter die naive Unschuld ihrer grandiosen Madame de Tourvel aus Stephen Frears’ „Gefährliche Liebschaften“ mit der abgründigen Boshaftigkeit ihrer dortigen Gegenspielerin Marquise de Merteuil (Glenn Close) zum modernen „Lieblingsfeind“ vereint.
Die Kunst des Abgangs
Es ist wunderbar, diesem Treiben im gepflegten Andante zuzuschauen. Und wenn am Ende der Vorhang fällt, wird klar, dass ein wohl inszenierter „French Exit“ auch etwas Befreiendes haben kann.