In der ersten Reihe ist ein Zuschauer eingeschlafen. Woody Harrelson sieht nicht zufrieden aus, als er sich mit seinem Ensemble verbeugt und von der Bühne irgendwo im Londoner West End abtritt – langweilen ist schließlich das Letzte, was man als Schauspieler will! Hinter den Kulissen hadert er mit seinem Versuch, sich mit einem ernsten Drama abzuplagen, obwohl das Publikum doch viel lieber Komödien möge. Später im Film bestätigt eine Zufallsbegegnung diese Einschätzung: Er zahle doch nicht, um sich eine Depression zu holen, sagt der Mann, als Harrelson ihn fragt, ob er ihn im West End auf der Bühne gesehen habe.
Also: Besser was zum Lachen? Mit seiner Darstellung von sich selbst als Star auf dem absteigenden Ast, der mit seinen Versuchen im Charakterfach nicht gut ankommt und an den sich die Leute, denen er im Laufe einer chaotischen Nacht in London begegnet, vor allem aus 1990er-Komödien wie „Kingpin“ und „Money Train“ zu erinnern scheinen, stellt Harrelson natürlich augenzwinkernd sein eigenes Licht gehörig unter den Scheffel. Tatsächlich hat sich der Texaner nach seinem Comedy-Durchbruch in der Serie „Cheers“ in den 1990ern ja zügig als wandlungsfähiger Mime quer durch die Genres von Komödien über den Thriller „Natural Born Killers“ bis hin zum Biopic „Larry Flynt“ profiliert, das ihm seine erste „Oscar“-Nominierung eintrug. Und von einem Karrieretief in den letzten Jahren kann absolut nicht die Rede sein, eher von einem Harrelson-Höhenflug als Charakterdarsteller sowohl in Blockbustern („Solo: A Star Wars Story“, „Planet der Affen: Survival“, „Die Tribute von Panem“) als auch in Arthouse-Filmen (etwa „Three Billboards Ouside Ebbing, Missouri“ oder „Schloss aus Glas“).
Größenwahnsinniger Kraftakt
Einen verstärkten Appetit auf gepflegten Unsinn hatte realiter wohl nicht zuletzt Harrelson selbst, als er 2017 sein Regie-Debüt „Lost in London“ in Szene setzte. Nicht nur durch das Intro, in dem diverse Crewmitglieder und prominente Kollegen wie Ted Danson oder Jennifer Lawrence sich kopfschüttelnd über Harrelsons größenwahnsinnigen Kraftakt äußern, seinen Film als „One-Shot-Movie“ – also in einer Einstellung durchgedreht – zu inszenieren und live in die Kinos zu streamen, hat etwas von einem Hollywood-Insider-Witz.
Die Handlung von „Lost in London“ selbst ist dann wenig mehr als eine Steilvorlage für weitere Insider-Witze und eine gepfefferte Ladung fröhlich-derben Klaumauks wie einst in „Kingpin“-Tagen: Nach seinem Theaterauftritt im Londoner Westend gerät Harrelson in einem Restaurant mit seiner Frau aneinander, weil diese aus den britischen Klatschblättern Wind von einem flotten Vierer mit drei Grazien bekommt, auf den sich ihr Göttergatte eingelassen hat. Eine Trennung steht im Raum, und Harrelson darf das gemeinsame Hotelzimmer frühestens wieder um Mitternacht betreten, damit seine Frau in Ruhe darüber nachdenken kann, ob sie ihm noch eine Chance gibt.
In der Zwischenzeit lässt sich der Mime, zutiefst deprimiert über das mögliche Ehe-Aus, von einem angeblichen iranischen Prinzen und seiner Entourage in einen Club abschleppen. Der Beginn einer zunehmend eskalierenden Nacht, in deren Verlauf Harrelson mit Türstehern, Kollege Owen Wilson, einem bettelnden Rollstuhlfahrer, einem Taxifahrer und schließlich der Londoner Polizei verbal und handfest aneinandergerät und es immer unwahrscheinlicher wird, dass er es jemals zurück in sein Hotel schafft.
Wortgefechte sind pointierter als die Körperkomik
Pointierte Wortgefechte – wenn sich Harrelson mit Owen Wilson über die Filme von Wes Anderson zankt oder später im Polizeiwagen bei „U2“-Frontman Bono durchklingelt, um damit einen irisch-stämmigen Cop gnädig zu stimmen – wechseln sich dabei ab mit leider weniger pointierter Körperkomik (etwa wenn Harrelsons Kinder im Restaurant den Gästen unterm Tisch die Schnürsenkel zusammenbinden und damit eine Sturz-Kavalkade auslösen oder Harrelson eine weibliche Club-Bekanntschaft vollreihert, während diese ihm mit Gerede von Chakren und Atemfluss zu Leibe rückt).
Insgesamt legt der Film eine schlingernde Notlandung irgendwo zwischen „Birdman“, „Victoria“ und „Hangover“ hin: Für eine Auseinandersetzung mit einem zugleich übergroßen und fragilen Schauspieler-Ego à la „Birdman“ bleibt er schlicht zu kindisch, für eine Nonsense-Komödie zu selbstreferenziell auf Harrelson bezogen. Und obwohl „Lost in London“ als „One-Shot-Movie“ inszeniert ist, Kameramann Nigel Willoughby durchaus gute Arbeit macht und das Geschehen durch seine geschmeidig-schweifende Kamerabewegungen immer wieder dynamisiert, entfaltet der Film nie die mitreißende Energie von „Victoria“, weil er schlicht zu statisch konzipiert ist – letztlich geht es eher ums Versumpfen, als dass das Driften durch die britische Metropole zur eigenständigen Attraktion würde. Der Woody im Film ärgert seinen Kollegen Owen Wilson eifersüchtig damit, an dessen „bestem Freund“ Wes Anderson herumzukriteln, weil dieser in seinen Filmen immer „zu viel will“. Bei „Lost in London“ wird man den Eindruck nicht los, dass Harrelson nicht so richtig wusste, was er eigentlich will. Aber immerhin: ein bisschen Spaß für eingefleischte Fans ist durchaus drin.