Rojo - Wenn alle schweigen, ist keiner unschuldig

Drama | Argentinien/Brasilien/Frankreich/Niederlande/Deutschland 2018 | 109 Minuten

Regie: Benjamin Naishtat

Ein Jahr vor dem Putsch des argentinischen Militärs begeht ein angesehener Rechtsanwalt in einem Provinzstädtchen in Notwehr ein Verbrechen. Als ein undurchsichtiger Ermittler in die Stadt kommt, gerät der Jurist zunehmend unter Druck. Entlang des gespenstischen Duells der beiden Gegenspieler entfaltet der Film ein kafkaeskes Fresko einer verrohten Mittelschicht, aus deren implodierender Mitte die Diktatur erwuchs. Das kollektive Schweigen und die latente Atmosphäre der Gewalt eröffnen einen ganz neuen Zugang zu den psychologischen Ursachen von Diktatur und Massenmord. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
ROJO
Produktionsland
Argentinien/Brasilien/Frankreich/Niederlande/Deutschland
Produktionsjahr
2018
Produktionsfirma
Pucara Cine/Sutor Kolonko/Viking Film/Desvia Filmes/Ecce Films
Regie
Benjamin Naishtat
Buch
Benjamin Naishtat
Kamera
Pedro Sotero
Musik
Vincent van Warmerdam
Schnitt
Andrés Quaranta
Darsteller
Darío Grandinetti (Claudio) · Andrea Frigerio (Susana) · Alfredo Castro (Detektiv Sinclair) · Laura Grandinetti (Paula) · Diego Cremonesi (Dieguito)
Länge
109 Minuten
Kinostart
15.10.2020
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama | Historienfilm
Externe Links
IMDb | TMDB

Drama um einen angesehenen Rechtsanwalt in der argentinischen Provinz, der ein Jahr vor dem Militärputsch in Notwehr ein Verbrechen begeht. Als ein undurchsichtiger Ermittler in die Stadt kommt, gerät der Anwalt unter Druck.

Diskussion

„Ihr seid Nazis, Verrückte!“, brüllt der unscheinbare Mann mit dem Schnurrbart und rempelt die Tische im Restaurant an, dass die Teller klirren. Der Film „Rojo“ führt zurück ins Jahr 1975, in die argentinische Provinz kurz vor dem Militärputsch. Im ganzen Land nimmt die politische Gewalt zu, doch in der kleinen Provinzstadt ist es noch so ruhig wie immer. Auch das Restaurant wird fast nur von Einheimischen frequentiert. Claudio Morán (Darío Grandinetti), ein angesehener Rechtsanwalt, ist hier gerne zu Gast. Doch an diesem Tag betritt ein Fremder den Speisesaal und verlangt von Morán, seinen Tisch zu räumen. Um des Friedens willen steht der Anwalt tatsächlich auf, wendet sich dann aber mit lauter Stimme an den nervösen Fremden und bezichtigt ihn vor aller Ohren einer schlechten Kinderstube.

Im Speisesaal ist es totenstill. Dann beginnt der Fremde zu toben und alle Anwesenden zu beschimpfen. Er beginnt zu randalieren und das Lokal zu verwüsten. Die Besucher stürzen sich auf den brüllenden Gast und werfen ihn aus dem Lokal. Danach scheint alles vergessen. Doch später, als Claudio mit seiner Frau und seiner Tochter im Auto auf dem Weg nach Hause ist, versperrt der seltsame Fremde ihnen plötzlich den Weg. Er zerschlägt die Scheibe, zwingt sie zum Aussteigen und hat plötzlich eine Pistole in der Hand. Da beginnt für Morán ein Weg ohne Wiederkehr.

Ein langwieriges, nahezu lautloses Duell

Bedrohlich werden die Umstände für ihn, als ein Mann namens Diego vermisst wird und ein geheimnisvoller Ermittler (Alfredo Castro) in die Stadt kommt, der mit der Suche nach dem Vermissten beginnt. Das ist der Auftakt für ein langwieriges und nahezu lautloses Duell zwischen Rechtsanwalt und Ermittler.

Regisseur Benjamín Naishtat erschafft schon in der Einleitungsszene eine Atmosphäre von unterschwelliger Gewalt und Korruption, die jederzeit explodieren kann und die den Film durchgängig bis zum Ende grundiert. Vom ersten Zusammenstoß des cholerischen jungen Mannes mit dem Anwalt und seiner Frau bis zur Ankunft des geheimnisvollen Ermittlers handelt der Film mit kafkaesker Spannung und lakonischem Humor von der Verrohung der Mittelschicht. Es gibt viele Filme über die argentinische Militärdiktatur, es gibt aber fast keine Filme, die sich mit der schweigenden Mehrheit, der stillen Komplizenschaft und dem Schlangenei auseinandersetzen, aus dem der Faschismus kriecht. Ohne explizit auf die argentinische Diktatur einzugehen, vermittelt „Rojo“ eine bedrohliche Sphäre von Gewalt und kollektivem Schweigen und entwirft einen ganz neuen Zugang zu den psychologischen Ursachen von Diktatur und Massenmord.

Eine gelungene Auseinandersetzung

Rojo bedeutet rot. Es ist ein politisches Reizwort und eine aufregende Farbe; tiefrot ist das Blut und das Licht, wenn man die Sonne durch eine Schutzbrille betrachtet. Die Landschaft ist die Protagonistin des Films; die Kamera von Pedro Sotero gibt das brillant wieder, die wüstenartige Weite ebenso wie das Mienenspiel der Protagonisten. Meist sind die Farben gedämpft; Grau- und Brauntöne herrschen vor, das tiefe Rot kommt erst mit der Sonnenfinsternis ins Bild. Ausstattung und Kostüm fangen fern von pedantischer Historisierung die 1970er-Jahre ein und fügen sich in die ebenso bedrohliche wie skurrile Grundstimmung ein. 

„Rojo“ lebt von den Landschaftsbildern, aber auch von den großartigen Hauptdarstellern: Dario Grandinetti, den man als poetischen Galan aus den Filmen des argentinischen Regisseurs Eliseo Subiela kennt, und als sein Gegenspieler Alfredo Castro, der elegante Bösewicht in den Filmen des chilenischen Regisseurs Pablo Larraín.

„Rojo - Wenn alle schweigen, ist keiner unschuldig“ ist Cine noir mit Westernstimmung und groteskem Humor; eine höchst gelungene Auseinandersetzung mit dem dunkelsten Kapitel der argentinischen Geschichte.

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