Der Sohn der armen Familie Kim ergaunert sich durch einen glücklichen Zufall einen Job als Privatlehrer bei einer reichen Familie. Die Parks wirken wie das Idealbild eines vierköpfigen, gut ausgebildeten, neureichen Haushalts der modernen urbanen Elite: Vater Park ist Geschäftsführer in einer IT-Firma, eine Art Workaholic, seine Frau ist gutaussehend und ausschließlich mit dem Wohlergehen der Kinder, mit Diäten und Modefragen beschäftigt. Die Kinder sind ein pubertierendes Mädchen im High-School-Alter und ein Sohn auf der Grundschule.
Wie ein trauriger Spiegel dieser Verhältnisse wirkt dagegen die ebenfalls vierköpfige Familie Kim. Eine arme, schlecht ernährte und wenig gepflegte und – das wird im Film mehrfach thematisiert – stinkende Familie aus der koreanischen Unterklasse.
Wer ist hier der Schmarotzer?
Mit der unverhofften Anstellung des Sohnes beginnt eine Hochstapler-Geschichte: Familie Kim schleicht sich in die Oberklassen-Familie hinein, manipuliert sie durch Tricks und infiltriert sie systematisch. Insofern ist „Parasite“ ein klassischer „Home Invasion“-Film, bei dem eine Familie von Fremden in ihrem Haus bedrängt wird. Die armen Kims sind dabei die Eindringlinge, die „Parasiten“ am Leib der bürgerlichen Familie.
Doch der koreanische Regisseur Bong Joon-ho wäre nicht ein virtuoser Meister des Doppelsinnigen und Mehrdeutigen, wenn er dieses Thema nicht auch gegen sich selbst wenden würde. Denn schnell ist klar, dass auch die Vertreter der reichen Oberklasse aus der Perspektive des Films auf ihre Art Parasiten am Leib der Gesellschaft sind, Schmarotzer, die auf Kosten aller anderen leben.
Die doppelte Dialektik Arm gegen Reich, Oben gegen Unten ist dabei aber weit weniger eindeutig, als es zunächst den Anschein hat. Denn bereits die Parasiten-Metapher hat es als solche in sich: Der französische Kulturphilosoph Michel Serres schrieb ein ganzes Buch („Le Parasite“, 1980), um zu zeigen, dass allein „das Parasitäre“, die Vermischungen und das gegenseitige Verzehren das Überleben sichert.
Doch die Vorstellung, dass das mitmenschliche Urvertrauen grundlegend erschüttert wird, wenn Menschen ins Innerste, Intimste – das Heim, die Familie – eindringen, die verborgenen Schwächen durchschauen und diese gnadenlos ausnutzen, spielt nicht nur mit den Ängsten und Besorgnissen des Bürgertums. „Parasite“ zeigt, was mit Menschen geschieht, wenn sie nur noch auf sich achten und darauf, ihre Komfortzone zu verteidigen. Die Sicherheitswabe der Wohlhabenden wird durch die arme Familie, die nichts hat und darum alles wagen kann, von Anfang an in Frage gestellt und schließlich zerstört.
Freundlich ist nur, wer es sich leisten kann
„Parasite“ ist eine Komödie, die durchgängig „over the top“ inszeniert ist. Der Film mokiert sich über US-Hörigkeit und US-Faszination der koreanischen Neureichen, die selbst noch das Spielzeug ihrer Kinder in den USA bestellen. Ein Running gag sind die US-amerikanischen Namen, die sich die Koreaner geben. Der Film mokiert sich außerdem über den Hype, der um Diplome gemacht wird, um Visitenkarten und die Art, wie sie gedruckt sind und sich anfühlen. Eine moderne Form von Magie: Dass in der Qualität einer solchen Visitenkarte etwas zum Ausdruck kommt, das mit dem Mensch zu tun hat, den die Karte ausweist.
Die Reichen sind hier durchweg freundlich; aber sie sind es nur, weil sie es sich leisten können. In den guten Manieren steckt auch eine Unverbindlichkeit und darin wiederum eine Abwehrhaltung: „Wäre ich reich, dann wäre ich auch freundlich“, sagt der Sohn der armen Familie einmal.
Gleichzeitig ist „Parasite“ eine in komödiantische Form gekleidete Farce. Bong Joon-ho meint das, was er zeigt, durchaus universal (darauf deuten schon die koreanischen Allerweltsnamen Kim und Park hin) und als Spiegel der ganzen Gesellschaft. Die hat ihr Maß verloren. Gier und Materialismus bestimmen das Verhalten. Vieles wird in „Parasite“ zunächst wortwörtlich genommen: Die Unterklasse wohnt im unteren Teil der Stadt in einem Kellergeschoss, die Oberklasse auf dem Hügel über der Metropole Seoul in einem lichten, transparenten Haus. Auch wenn dieses – und das wird noch einen Rolle spielen – ebenfalls einen Keller hat.
Der Kollaps eines Gesellschaftsmodells
Eines Tages fällt ein heftiger Regen vom Himmel, der sich zur wahren Flut auswächst und gewaltige Wassermassen mit sich bringt. Während sich die Parks freuen, dass der Regen den Dreck aus der Luft filtert, kämpfen die Armen ums nackte Überleben. Irgendwann steht den Bewohnern der Unterstadt das Wasser regelrecht bis zum Hals.
Die Wendungen, die die Handlung nimmt, werden zunehmend abstruser. Wie in anderen Filmen von Bong Joon-ho, etwa in „Snowpiercer“ oder „Okja“, schraubt sich alles zu einem furiosen Finale hinauf. Denn auch wenn Bong Joon-ho fast immer von Familien oder Wahlverwandtschaften, also intimen Netzwerken, erzählt und dabei stets auch die koreanische Gesellschaft im Blick hat, sind seine Filme nicht zuletzt Genrefilme oder hybride Vermischungen verschiedener Genres.
Dabei geht der Film zugleich aber über die herkömmlichen Formen von Gesellschaftskritik hinaus: Es geht um eine Kritik des Westens an sich. In „Parasite“ wird das westliche Lebens-, Arbeits- und Konsummodell, das theoretisch für alle Gesellschaften auf der ganzen Welt gelten soll, in Frage gestellt. Nicht etwa nur, weil allgemeine Glücksversprechen nicht erfüllt werden, sondern weil der Westen dieses Modell selbst schon lange in Frage stellt, da der westliche Universalismus in der Praxis überaus partikular und oft genau das ist, was man ihm seit langem vorwirft: eine Maske von Eigeninteressen - parasitär.