Dieser Tage hat der genial-unberechenbare und mittlerweile hochbetagte Lee „Scratch“ Perry mit dem Album „Rainford“ ein neues, ziemlich starkes Stück Musik veröffentlicht. Fast könnte man glauben, dass ausgerechnet der größte Exzentriker all die Großen des „Roots Reggae“ der 1970er-Jahre überlebt hat. Doch es gibt eine Handvoll „Soul Survivors“, die ebenfalls Teil der Goldenen Ära des Reggae waren und auch heute noch oder wieder musikalisch aktiv sind. Im März 2017 erschien das Album „The Soul of Jamaica“ der rund 20-köpfigen Musiker-Initiative „Inna de Yard“, das ein Konzept des französischen „Makasound“-Labels revitalisierte. Mehrere Generationen von Reggae-Musikern spielen handgemachte Musik und nehmen dafür nicht im Tonstudio auf, sondern unter freiem Himmel. Eben „inna de Yard“, im Hof, im Garten, auf der Veranda.
Der Regisseur Peter Webber, selbst Reggae-Fan der zweiten Welle der „Punky Reggae Party“, hat die Arbeit an „The Soul of Jamaica“ mit der Kamera dokumentiert. Er war auch dabei, als die Songs in Paris vor einem begeisterten Publikum live aufgeführt wurden. Die Protagonisten: Ken Boothe, der 1974 einen Riesenhit mit „Everything I Own“ landete und als „Mr. Rocksteady“ firmiert. Cedric Myton, der mit der Band „The Congos“ einige der allerschönsten Reggae-Songs einspielte. Kiddus I, der Mitglied der „Sons of Negus“ war, als Darsteller an dem legendären Film „Rockers“ mitwirkte, sich stets politisch engagierte und auch schon bei den ersten Veröffentlichungen des Inna-de-Yard-Projekts im Jahr 2005 mit dabei war. Plus: Winston McAnuff, der seit den 1970er-Jahren eine mehr als wechselvolle Karriere hatte und erst durch „Makasound“ wiederentdeckt wurde.
Der Sound des Roots Reggae
Die Dramaturgie des Films ist recht schematisch: Die Musiker werden mit ihrem „Signatur-Song“ vorgestellt, der für das Album auf Jamaika eingespielt wird. Anschließend werden die jeweiligen Interpreten etwas intensiver porträtiert und interviewt. Dann geht es nach Paris, wo der Song noch einmal live aufgeführt wird.
Es ist von Vorteil, wenn man sich für „Inna De Yard“ etwas eingehender mit der Geschichte Jamaikas in den 1970er-Jahren, der Gewalt in der karibischen Gesellschaft, dem Rastafarismus und dem „Roots Reggae“ beschäftigt, weil dadurch manche Anspielungen und Anekdoten verständlich werden. Als die große Zeit des „Roots Reggae“ Mitte der 1980er-Jahre vorüber war und von „Dancehall“ abgelöst wurde, verloren sich viele Musikerkarrieren in Obskurität.
Auch davon erzählt der Film, der bestechend viel Gespür für Details besitzt. So wird zwar die Schönheit der jamaikanischen Landschaft eingefangen, die Armut aber nicht unterschlagen. Gezeigt werden aber auch die Freude am gemeinsamen Musizieren, der unter den Musikern herrschende Respekt und deren tiefe Spiritualität, die immer ein wenig an der Grenze zur Kauzigkeit balanciert. Am Rande erfährt man von der Segregation der Rastafari und von der alltäglichen Gewalt auf der Insel, die auch innerhalb der Familien der Protagonisten manches Opfer gefordert hat. Anderes bleibt vage; etwa die Frage, ob Cedric Myton heute sehr kontemplativ lebt oder einfach nur bitterarm ist.
An der Grenze zur Kauzigkeit
Und im Gegensatz zum ersten Album gewährt der Film (und auch das zum Kinostart erschienene zweite Album von „Inna de Yard“) den Sängerinnen wie Judy Mowatt und der selbstbewussten jungen Jah9 eine Plattform, die sie zu nutzen wissen. So dokumentiert das Inna-de-Yard-Projekt nicht nur die Wechselfälle verschiedene Biografien, sondern liefert auch den seelenvollen Soundtrack dazu; der Erfolg des Films trägt hoffentlich auch dazu bei, so manchen Lebensabend ökonomisch besser zu betten. Und etwas Nachhilfe in Sachen Reggae hat überdies auch noch nie geschadet.