War of Art
Dokumentarfilm | Norwegen/Deutschland 2019 | 106 Minuten
Regie: Tommy Gulliksen
Filmdaten
- Originaltitel
- WAR OF ART
- Produktionsland
- Norwegen/Deutschland
- Produktionsjahr
- 2019
- Produktionsfirma
- Norsk Fjernsyn
- Regie
- Tommy Gulliksen
- Buch
- Tommy Gulliksen
- Kamera
- Sven-Erling Brusletto
- Musik
- Kjetil Røst Nilsen · Frank Zerban · Nik Novak · Takumi Motokawa
- Schnitt
- Uwe Klimmeck
- Länge
- 106 Minuten
- Kinostart
- 06.06.2019
- Fsk
- ab 0; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 16.
- Genre
- Dokumentarfilm
- Externe Links
- IMDb | TMDB | JustWatch
Doku über den Versuch einer westlichen Künstlergruppe, in Pjöngjang mit nordkoreanischen Kunstschaffenden in Gespräch zu kommen.
Was soll man mit Nordkorea und seinem Regime anfangen? Soll man es weiterhin mit Sanktionen überziehen, isolieren und mit aggressiver Cowboysprache Ultimaten setzen, obwohl all dies kaum innenpolitische oder regimekritische Wirkungen gezeitigt hat? Oder sollte man, wie es der norwegische Filmemacher Morten Traavik vorschlägt, mit der nordkoreanischen Bevölkerung – soweit möglich – in Kommunikation zu treten versuchen?
Als Traavik 2015 ein Konzert der slowenischen Rockband „Laibach“ in Nordkorea organisierte und die Konzertreise in seinem Film „Liberation Day“ dokumentierte, konnte man das Ganze noch für eine pfiffig-subversive Idee aus dem Laibach-Fundus halten. Die Band, die seit Jahrzehnten mit den ästhetischen Codes des Totalitarismus spielt, begibt sich gewissermaßen auf eine „Coming Home“-Tour in eine Diktatur, die dadurch (auch) zum ästhetischen Effekt, zum Teil einer Performance wird. Ziemlich clever, aber eher für ein westliches Publikum gedacht.
Eine Reise in eine andere Welt
Traaviks nächstes Projekt, das in „War of Art“ dokumentiert wird, war die „DMZ Academy“: eine Begegnung von Künstlerinnen und Künstlern zweier unterschiedlicher Kulturen, die im besten Fall zu einem Austausch, viel wahrscheinlicher aber zu einem „Clash of Cultures“ führt. Die Auswahl der zehn nach Pjöngjang eingeladenen Kunstschaffenden ist speziell: etwa ein Soundscape-Artist aus Deutschland, ein französischer Graphik-Artist, der seine Kunst auf Eigenblut und menschlichem Knochenmehl gründet, ein abstrakt-serieller Maler aus Norwegen, ein Fotograf aus China und eine höchst erfolgreiche Kuratorin und Multimedia-Artistin aus Schottland. Die Künstler zählen gewiss nicht zum „Mainstream“ des internationalen Kunstbetriebs, was im Laufe des Films noch bedeutsam wird.
Es hat in den vergangenen Jahren ein paar Dokumentationen über Nordkorea gegeben („Im Strahl der Sonne“, „Meine Brüder und Schwestern im Norden“), weshalb bestimmte Blicke aus Hotelfenstern auf Plätze oder der offene Umgang mit der vorherrschenden Inszenierung von Realität durchaus bekannt erscheinen. Trotzdem erscheint „War of Art“ als ein Quantensprung in der Darstellung von Nordkorea. Traavik setzt etwas sardonisch auf die Strategie „Rage within the Machine“; er will provozieren, aber auch provoziert werden. Beides erweist sich aber als deutlich schwieriger als vielleicht gedacht. In Pjöngjang angekommen, werden die Künstler in einem Hotel untergebracht und bekommen eine Gruppe von zumeist sehr freundlichen Nordkoreanern an die Seite, die betreuen, übersetzen, organisieren und überwachen sollen. Unbegleitete Bewegungen in der Stadt sind nicht erlaubt. Als sich einer der Künstler einmal von der Gruppe entfernt, wird er sogleich zurückgepfiffen und gemaßregelt, wobei in einem seltsamen Anflug von Humor auch gleich von Folter die Rede ist. Überhaupt kommt der Humor in „War of Art“ nicht zu kurz.
Was auch immer die Erwartung Traaviks gewesen sein mag, so ist auf einer ersten Ebene ein umfassendes und äußerst frustrierendes Scheitern zu registrieren, weil zwar die Konfrontation mitunter glückt, aber die Kommunikation in der Regel nicht funktioniert. Auf einer zweiten Ebene allerdings scheint „War of Art“ tatsächlich die Tür nach Nordkorea einen Spalt breit öffnen zu können.
Aufs Handwerk konzentriert
Die Gäste dürfen sich an einer bestens inszenierten Oberfläche abarbeiten, doch jeder Versuch, authentisch zu kommunizieren, wird freundlich, aber bestimmt unterbunden. Statt irgendeiner Form von persönlicher Begegnung gibt es bestenfalls die durchaus stolze Präsentation bestens ausgebildeter Künstlerinnen und Künstler, die in der Regel handwerklich perfekte Kopien zu fertigen verstehen, sich dabei aber nicht von Ideen oder Konzepten leiten lassen.
Es ist aber nicht so, dass die Nordkoreaner die ihnen präsentierte „freie“ Kunst staunend oder voller Bewunderung rezipieren. Im Gegenteil! Die Nordkoreaner sind nicht sprachlos, sondern haben durchaus eine Meinung dazu. Diese folgt einer Kunstauffassung, bei der die Kunst nicht „autonom“ gedacht, sondern utilitaristisch in die Pflicht genommen wird. In Nordkorea dient die Kunst der Vermittlung der Staatsideologie, und die Geschichte der modernen Kunst endet vor den kubistischen Experimenten von Picasso und Braque.
So stoßen die avancierten Westler unvermittelt auf eine Gegenrede, die die Tendenz zur Abstraktion in Frage stellt. Wenn der Soundscape-Artist mit prozessierten Sounds arbeitet, die dem menschlichen Hörvermögen nicht zugänglich sind, und er von inneren akustischen Landschaften schwärmt, muss er sich fragen lassen, ob er denn etwa ein Bild von Bakterien auch als Kunst gelten lassen würde? Überhaupt: „Haben Sie nicht auch etwas, das mit dem Leben der Menschen zu tun hat?“ Derart fundamental in Frage gestellt, reagieren die Künstlerinnen und Künstler hilflos bis resigniert: „Oje, hier sollen die Künstler wieder Kunst machen!“ Am besten eine Kunst, die dann vom großen Führer Kim Jong-un gelobt wird.
„Ist das Kunst oder kann es weg?“
So spürbar die Kluft zwischen der hochreflektierten und potentiell autonomen Konzeptkunst der Gäste und dem ganz anders gepolten Schaffen der nordkoreanischen Künstler auch ist, so erinnert manche „Diskussion“ auch an hierzulande durchaus populäre und durchaus bornierte Sichtweisen: „Ist das Kunst oder kann das weg?“ Für das „weg“ sind die Asiaten zu höflich, im Gegensatz zum aktuellen US-Präsidenten, der hier mehrfach aus dem Off zu hören ist.
Sehr interessant ist dann allerdings das Gespräch, das sich zwischen dem chinesischen Fotografen und einem der „Begleiter“ ergibt. Zu beobachten ist, wohin eine intelligente Gesprächsführung gelangen könnte, wenn es um Homosexualität, materielle Wünsche und Träume geht. Seine Träume, so der Nordkoreaner, weisen nicht ins Materielle; er träume davon, ein Mensch zu werden, an den sich die nächste Generation noch erinnert. Wenn man so will, heißt das ja, dass jemand, der sich durchaus als ein Individuum versteht, eine Spur hinterließe.
Vom Atomtest überrascht
Als die Reisegruppe dann von einem nordkoreanischen Atomtest überrascht wird, zeigt sich schnell, dass die staatliche Propaganda im Verbund mit den permanenten US-Drohgebärden eine Art künstlicher „Gemeinschaft“ kreiert haben, die nicht zu unterschätzen ist. Teil einer Nuklearmacht zu sein, scheint mehr Sicherheit zu bieten als eine Öffnung zum Ausland.
Das Fazit des Films fällt zwiespältig aus: Wurde man als Zuschauer Zeuge des Anfangs von „etwas“? Oder gilt: „Der Wunsch nach einer Art kontrollierter Interaktion mit der Außenwelt ist echt. Aber interagieren bedeutet, beeinflusst zu werden. Das geht nicht. Tief drinnen verstehen sie das.“ Das letzte Wort hat dann Donald Trump, der in seinem Treffen mit Kim Jong-un ein Zeichen für „eine unglaubliche Zukunft“ erkennen will. Dazu passt dann die aktuelle Nachricht, dass die Organisatoren des zweiten Treffens der beiden Staatsmänner in Hanoi den Misserfolg dieser „Begegnung“ wohl nicht überlebt haben.