Dokumentarfilm über drei türkischstämmige Männer, die vor zwei Jahrzehnten in der Rhein-Main-Region zu einer Jugendbande gehörten und auf die schiefe Bahn gerieten. Heute ziehen sie eine bittere Bilanz und bereuen ihre kriminellen Taten. Doch ihre Einsicht kommt zu spät, um ihr verkorkstes Leben entscheidend zu ändern. Trotz dramaturgischer Schwächen steuert die retrospektive Langzeitbeobachtung wichtige Denkanstöße zur aktuellen Migrationsdebatte bei.
- Ab 14.
TOKAT - das Leben schlägt zurück
Dokumentarfilm | Deutschland/Türkei 2016 | 76 Minuten
Regie: Cornelia Schendel
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Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland/Türkei
- Produktionsjahr
- 2016
- Produktionsfirma
- Schendel Stevens Filme
- Regie
- Cornelia Schendel · Andrea Stevens
- Buch
- Andrea Stevens · Cornelia Schendel
- Kamera
- Cornelia Schendel
- Musik
- Lars Eichstädt
- Schnitt
- Annette Kurzbach
- Länge
- 76 Minuten
- Kinostart
- 13.09.2018
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14.
- Genre
- Dokumentarfilm
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Retrospektive Langzeitbeobachtung von drei türkischstämmigen Männern, die mit Reue und Bitterkeit auf ihre Verbrechen als Mitglieder einer Jugendbande in den 1990er-Jahren zurückblicken.
Diskussion
Das türkische Wort „Tokat“ bedeutet Backpfeife, wurde in den 1990er-Jahren unter Jugendlichen in Deutschland aber vor allem fürs „Abrippen“/ „Abziehen“ verwendet. Damals kam es häufig vor, dass Mitglieder von Jugendbanden wie „Turkish Powerboys“, „Lamina“ oder „Club 77“ in Frankfurt am Main anderen Jugendlichen teure Markenjacken, Schuhe oder Walkmans entwendeten. Etliche nahmen Drogen, wurden Dealer, zettelten Schlägereien und Messerstechereien bis hin zum Totschlag an und landeten am Ende im Gefängnis. Zwei Jahrzehnte später fragten sich zwei Filmemacherinnen aus der Region, was wohl aus den harten Jungs von damals geworden ist. Diese Idee hatten Andrea Stevens und Cornelia Schendel schon 2011. Doch es dauerte fünf Jahre, bis sie die Aufnahmen in Frankfurt und der Türkei realisieren und ihr Low-Budget-Projekt über Crowdfunding finanzieren konnten.
Das Regie-Duo konzentriert sich dabei auf Porträts von drei Ex-Bandenmitgliedern, deren familiäre Wurzeln in dem osttürkischen Dorf Bayat nahe der Grenze zu Armenien liegen. Dazu kombinieren sie aktuelle Interviews mit alten Fotos, Videoclips und TV-Aufnahmen. Auffällig ist, dass sich die Lebenswege der drei Männer um die 40 gravierend unterscheiden. Als einziger lebt Kerem noch in Frankfurt, in der gleichen kleinen Wohnung wie damals, obwohl er sich heute darin nicht mehr sicher fühlt. In Folge seines langjährigen Drogenkonsums und elf langen Jahren im Knast ist Kerem schwer krank. Als Frührentner nimmt er hin und wieder Gelegenheitsjobs an. Wenn er zur Behandlung ins Krankenhaus muss, begleitet ihn seine Frau. Dass er in jungen Jahren im Affekt einen US-Amerikaner erstochen hat, lässt ihn noch heute nicht los.
Am besten scheint es seinem Kumpel Dönmez zu gehen. Obwohl in Frankfurt geboren, ließ er sich vor Jahren in die Türkei abschieben. In der Stadt Igdir hat er eine Arbeitsstelle in einer Apfelsaftfabrik gefunden, ist verheiratet und hat einen elfjährigen Sohn. Lange wollte er nach Deutschland zurück, wo seine Brüder mit ihren Familien leben, doch nun sieht er seine Zukunft in der Türkei. „Wenn du arbeitest und Geld verdienst, dann ist überall Deutschland“, sagt er.
Am schlechtesten hat es Hakan getroffen. Auch er wurde in die Türkei abgeschoben. Da er dort aber den Wehrdienst verweigerte, wurde ihm der Pass entzogen. Als Staatenloser besitzt er keine grundlegenden Bürgerrechte mehr. Er schlägt sich am Fuß des Berges Ararat als schlechtbezahlter Feldarbeiter durch und haust im desolaten Haus seines verstorbenen Vaters. Er träumt davon, gleich nebenan ein Haus zu bauen, doch dafür fehlt ihm das Geld. Und ohne Haus findet er mit 40 Jahren kaum noch eine Frau. Resigniert gibt er zu Protokoll: „Meine Zeit ist schon vorbei.“
Der Dokumentarfilm, der auf Off-Kommentare verzichtet und gelegentlich Angaben zu den Handlungsorten einblendet, ist konventionell, aber auch etwas brav. Die Episoden um die drei Männer werden alternierend und ohne große Überraschungen aneinandergereiht, wobei die Chronologie der Ereignisse manchmal unklar bleibt. Da dramaturgische Zuspitzungen weitgehend fehlen, plätschert die Erzählung eher beiläufig dahin. Etwas Spannung kommt erst in die Chronik, als Kerem seine beiden Ex-Kollegen in der Türkei besucht, und die Männer ins Gespräch über ihre gemeinsame Vergangenheit kommen. Bemerkenswert ist dabei, dass alle drei die Verantwortung für ihre Lebenswege nicht bei anderen oder der Gesellschaft abladen, sondern bei sich sehen.
Trotz der Laufzeit von nur 78 Minuten schleichen sich einige Redundanzen ein: Etwas zu oft beteuern die Protagonisten, wie sehr sie ihre jugendlichen Fehltritte bereuen und dass die inzwischen verstorbenen Väter mit ihren Warnungen vor den Folgen eines kriminellen Lebenswandels Recht hatten. Anstelle dessen hätten man an anderer Stelle gerne mehr erfahren, etwa wie die Ehefrauen von Kerem und Dönmez heute zur Vergangenheit ihrer Gatten stehen. Mit ihrer nüchternen Bestandsaufnahme liefern die Autorinnen angesichts der aktuellen Migrationsdebatte viele Denkanstöße, wie man Migranten bei der Integration früher und effektiver helfen und so unnötige Fehler vermeiden kann.
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