Jeanne Dielman

Romain Antony | 17.12.2024

Auf YouTube habe ich mir vor Jahren schon viele Ausschnitte aus dem Film angesehen, mit wenig Hoffnung, diesen spröden, besonderen, einzigartigen Film irgendwann in seiner 230minütgen Länge mal sehen zu können. Ich war sehr erfreut ihn dann im Arte-Programm zu entdecken. Freunde von uns fanden ihn interessant, aber zu lang und redundant und brachen ab. Gerade diese Länge, die Redundanz monotoner Alltagsabläufe: Kaffee kochen, Kartoffelnschälen, Mett durchkneten, Paket auspacken, Bett richten, essen, den Sohn befragen, als Gelegenheitsprostituierte eine Unterlage aufs Schlafzimmerbett legen für den Verkehr mit dem nächsten Freier, der Aufzug, der immer wieder von oben geholt wird, um in den vierten Stock hochzufahren, um nur einige Beispiele der redundanten, lange andauernden Einstellungen mit statischer Kamera zu erwähnen. In gedeckten, blassen Farben wird die Entwicklung einer alleinerziehenden Witwe und Hausfrau nuancenreich beschrieben, deren Lebensumfeld sich in fast zwanghaften Ritualisierungen des Haushaltsablaufs verdichtet und sinnentleert. Die spontane Ermordung eines Freiers, der über ihr einschläft und sich zum Weiterschlafen auf ihrem Bett einrichtet, als Übersprungshandlung einer unterdrückten, unkommunizierbaren Emotionalität zu verstehen, eine Art Befreiung, entlädt angestaute Spannungen, die auch durch penible, sich wiederholende Haushaltsaktivitäten nicht mehr kontrolliert werden konnten. Der Film ist eine psychologische, vielleicht psychiatrische Falldarstellung und eine Kritik an einer Frauenrolle, von der erwartet wird, dass sich die Kompetenzen, die Persönlichkeitsentwicklung, die Selbstentfaltung von Frauen in der Küche, in der Kindererziehung und in Liebesdiensten abzuspielen hat. Mich hat der Film sehr beeindruckt. Er wird von zahlreichen FilmkritikerInnen als einer der bedeutsamsten Filme der bisherigen Filmgeschichte angesehen, wohl auch durch seine Machart, die für die 70er Jahre neu und außergewöhnlich war (stationäre, dokumentarisch beobachtende Kamera, lange Einstellungen, hervorragende schauspielerische Interpretation von Delphine Seyrig, radikales Durchhalten des minimalistischen Konzepts, Alltag als filmischer Bedeutungsträger, von den Tätigkeiten ausgehende Faszination, die Spannung in Nuancen und Details, in Gleichartigkeit und leichten Verschiebungen erzeugt ....ein hervorragender Film für manche, für andere nicht) cf. auch den Filmbesprechungsblog unter: www.filmekommentieren.wordpress.com