Am Anfang: eine Deckenlampe. Eine dieser typischen Rasterleuchten, wie man sie in Behörden, Büros oder Arztpraxen findet, und deren Licht von einer Art Gitter gestreut wird. Diese Lampe ist zunächst das einzige Motiv des Films, schöben sich nicht gelegentlich medizinische Utensilien und Menschen ins Blickfeld.
Benjamin hatte einen Unfall. Nachts ist er mit Freunden in ein Freibad eingedrungen und kopfüber in ein Becken mit zu wenig Wasser gesprungen. Seitdem liegt er schwer verletzt im Krankenhaus, mit gebrochenen Wirbeln, unfähig sich zu bewegen. 245 Kästchen zählt er im Rastergitter der Leuchte über seinem Bett. Die Kamera ist starr, so wie Benjamins Körper.
Nicht nur die ersten Einstellungen sind in diesem Debütfilm streng subjektiv, sondern auch die Geschichte. Der französische Poetry-Slammer und Musiker Grand Corps Malade verfilmt mit „Lieber leben“ seinen autobiografischen Roman „Patients“, was auf Deutsch „Patienten“, aber auch „geduldig“ heißen kann, je nachdem, wie man es deuten mag. Grand Corps Malade verarbeitet darin seine Erfahrungen in einer Rehabilitationsklinik, wo er als knapp 20-Jähriger monatelang gegen eine Querschnittslähmung ankämpfte. Aus dieser Zeit rühren sein Künstlername, „Großer kranker Körper“, sowie als ständiger Begleiter ein Gehstock.
Um das Gefühl der Gefangenschaft im eigenen Körper sowie die unendliche Langweile des Krankenbettes visuell auf den Punkt zu bringen, gibt es wohl kaum ein treffenderes Motiv als die 245 Kästchen im Raster der Deckenlampe.
Glücklicherweise kommt diese Geschichte der Erstarrung für die Zuschauer alles andere als schleppend daher. Humor und Selbstironie setzten sehr schnell eine Handlung in Gang, und auch in Benjamins Zeh scheint sich etwas zu regen. Dass das Leben im Rollstuhl- und Klinikradius durchaus schwungvoll inszeniert ist, liegt unter anderem an der jugendlich-optimistisch gezeichneten Hauptfigur, die mit entsprechendem Schalk von Pablo Pauly gespielt wird. Primär aber liegt dies an den pointiert geschriebenen Szenen, die aus der Feder eines der erfolgreichsten französischen Wortdrechsler stammen; zusammen mit der inszenatorischen Abkehr von jeglichem Betroffenheitsgestus sorgen sie für eine stimmige Mischung aus Reflexion, Unterhaltung und Gesellschaftskritik.
Während sich Benjamin millimeterweise aus dem Gefängnis der Lähmung befreit, dynamisiert sich auch die Kamera. Die Wiederentdeckung der Bewegungsfreiheit durch einen mit dem Joystick steuerbaren Elektro-Rollstuhl wird beispielsweise mit einer langen, jubilatorischen Kamerafahrt durch die Klinikflure gefeiert. Solche Szenen der Euphorie bleiben dennoch geerdet, denn ein vollkommenes Happy End ist für die meist fürs Leben gezeichneten Patienten kaum möglich. Am Beispiel vieler charismatischer Nebenfiguren und ihren körperlichen wie seelischen Verwundungen bricht immer wieder die ungeschönte Realität in den Film hinein und bewahrt die Inszenierung vor der Klischeehaftigkeit eines Films wie „Ziemlich beste Freunde“
(fd 40 842).
Es geht ums „Stunden ficken“ gegen die nicht verstreichen wollende Zeit, um die Unmöglichkeit, den Arm zu heben, um die totale Abhängigkeit von Hilfsmitteln und dem Pflegepersonal, die Etikettierung als Behinderter, um zerplatzte Lebensträume und schwindenden Lebensmut, um Solidarität und neue Freundschaften. In seinem Song zum Film „Espoir adapté“ singt Grand Corps Malade davon, „angepasste Hoffnungen“ und „Ziele mit eingeschränkter Mobilität“ zu entwickeln. Mit der filmischen Adaption seiner Rehabilitationsgeschichte ist ihm indes ein äußerst agiler Kinomoment gelungen.