Die politischen Entwicklungen der kommenden Monate in den USA werden zeigen, ob diese Literaturverfilmung nach einer Vorlage von Philip Roth durch den Produzenten und Drehbuchautor James Schamus vielleicht der Film der Stunde gewesen ist.
„Empörung“ erzählt eine Geschichte von In- und Exklusion, Anpassung und Zivilcourage aus der Zeit des Korea-Krieges, also noch vor Rock’n’Roll. Der junge Marcus Messner, Sohn eines koscheren Metzgers aus New Jersey, ist hochbegabt und deshalb vom Dienst in der Armee freigestellt – ein bezeichnendes Privileg in Kriegszeiten. Der Vater traktiert den Sohn derart mit Sorgen und Ängsten, dass es ihm die Luft zum Atmen abschnürt. Ein Stipendium fürs Winesburg College in Ohio kommt deshalb gerade recht. Zwar ist das College christlich-konservativ, doch Marcus gelingt es, sich dem Zugriff der jüdischen Verbindung vor Ort zu entziehen und sich ganz aufs Lernen zu konzentrieren. Das funktioniert so lange, bis Marcus in der Bibliothek der wunderschönen und impulsiven Olivia Hutton begegnet. Eine Verabredung in einem französischen Restaurant endet für Marcus mehr als überraschend mit einer offensiven sexuellen Handlung, für die ihm keinerlei einordnende Kategorien zur Verfügung stehen.
Um Marcus’ College-Laufbahn ist es zunächst geschehen, zumal ihm erschütternde Blicke hinter die Fassade bürgerlicher Wohlanständigkeit zuteilwerden. Jahre später wird Herbert Marcuse für diese Erfahrungen den Begriff der repressiven Toleranz entwickeln. Marcus zeigt wiederholt Rückgrat. Etwa, wenn er sich als erklärter Atheist mit dem Dekan einen langen Disput über die Pflicht zum Besuch des Campus-Gottesdienstes liefert, statt, wie offenbar üblich, einfach einen jüngeren Kommilitonen dafür zu bezahlen. Für die Unbotmäßigkeit der psychisch labilen Olivia hält die US-Gesellschaft zu Beginn der 1950er-Jahre Elektroschocks bereit.
Aus heutiger Perspektive wäre es ein Leichtes gewesen, den Muff der McCarthy-Ära altklug anzuprangern – und dann eine anachronistische Heldengeschichte des Aufbegehrens zu skizzieren. Doch Schamus näherte sich dem Stoff mit geradezu wissenschaftlicher Akribie in Sachen Production Design. „Empörung“, ein Film über die McCarthy-Ära in der Provinz, erzählt von einer Sattelzeit, in der die Sozialisation durch Eltern, Kommilitionen oder das College gewissermaßen noch analog, Face-to-Face, funktionierte und in der die Jugendkultur noch keine kollektiven Widerstandsstrategien und -gesten bereit hielt. Selbst in den zeitgenössischen Biografien von Sylvia Plath oder Allen Ginsberg lassen sich bestenfalls Spurenelemente des späteren anti-autoritären Aufbruchs finden. Die ambitionierte Genauigkeit der Inszenierung, die sich für Details der Speisekarten in französischen Restaurants des Jahres 1951 genauso interessiert wie für die Frage, ob ein bestimmter Wackelpudding seinerzeit als „koscher“ durchgegangen ist, klassifiziert „Empörung“ allerdings auch als eines jener prestigeträchtigen und verbindlich auftrumpfenden Vorzeigestücke der US-Filmproduktion wie beispielsweise „Im August in Osage County“
(fd 42 221), die dem Zuschauer großes Schauspielerkino präsentieren, wobei sich dessen nuanciert ausformulierte Produktionsgeschichte allerdings spannender liest, als was der Film dann zu erzählen hat.
Hierin liegt auch die Gefahr einer Überfrachtung durch das Production Design, die den Handlungsraum des Individuums historisch korrekt rekapituliert, doch heutige Zuschauer kaum zu berühren in der Lage ist, gerade weil 1951 aus der Perspektive einer liberalen Gesellschaft zivilisatorisch unendlich weit entfernt scheint. Es sei denn, die aktuellen Zeitläufte würden dazu führen, dass Dinge wie Zivilcourage oder individueller Widerstand unter radikal anderen historischen und medialen Bedingungen plötzlich wieder auf die Tagesordnung ständen.