Für Howard Hawks war es eine grundlegende Voraussetzung seiner Regiearbeit: „Ich drehe ohne Umwege. Gewöhnlich steht die Kamera in Augenhöhe. Die Zuschauer sehen das, was ich auch sehe.“ Dabei sah er sich weniger als Künstler denn als Geschichtenerzähler, er brauche schlicht eine gute Geschichte, die er erzählen könne. Heute vergisst man oft, dass im Prinzip immer noch nicht mehr dazu gehört, das Publikum in Bann zu ziehen, auch ein junges Publikum: eine gute Geschichte ohne Umwege, keine Kameratricks. Über all dies verfügt der erste Kinderfilm von Evi Goldbrunner und Joachim Dollhopf, dessen Titel sowohl narratives Programm als auch Verweis auf die konkrete Handlung ist.
In der Tat ist der zehnjährige Michi auf Augenhöhe mit seinem gerade erst entdeckten Vater Tom, denn der ist kleinwüchsig und sogar etwas kleiner als der selbstbewusste Waisenjunge. Was Michi überhaupt nicht gefällt, will er doch aufschauen zu einem lange vermissten Vorbild, einem „idealen“ Vater, dem er sich anvertrauen und auf den er sich verlassen kann. Dass dies „auf Augenhöhe“ ziemlich schmerzhaft und kompliziert ist, freilich auch erkenntnisreich und gewinnbringend sein kann, das erkennt Michi nur schrittweise: Sehen, was man sieht, nicht, was man sehen möchte.
Mit Luis Vorbach als Michi hat der Film einen Glücksgriff getan: Der temperamentvolle, ungemein körperbetont agierende junge Darsteller vermittelt nachdrücklich die ganze Impulsivität „seines“ Michi, der sich im Waisenhaus so gut wie möglich eingerichtet hat, Freunde und Erzieher als Ersatzfamilie annimmt und sich selbstbewusst gegenüber den älteren Jungs durchzusetzen weiß. Dass Luis Vorbach ebenfalls in der Lage ist, nuancenreich Michis empfindsame Seiten zu vermitteln, seine Entbehrungen und Enttäuschungen, vor allem auch seine Hoffnungen und Sehnsüchte, zeigt sich, als Michi aus einem Brief seiner toten Mutter von der Existenz seines Vaters erfährt. Michi verlässt optimistisch und vorfreudig das Heim, nimmt die Eifersucht und den sich handfest in Hänseleien und üblem Spott entladenden Neid der anderen in Kauf, um seinen Traum zu leben. Erst aus diesem starken Gefühl heraus wird die Fallhöhe der vielen Enttäuschungen, Anfeindungen und auch Aggressionen einsichtig, mit denen Michi auf Tom reagiert: Ein Zwerg als Vater – wie, so schreit es ihm heraus, kann man vom Leben nur so verarscht werden?
In den besten Szenen lebt der Film von seiner impulsiven Direktheit, mit der er sein alles andere als leichtes Thema angeht. Lieber mal Luft ablassen, heißt dann die Devise, statt alles in sich hineinfressen und Konflikte pietätvoll zu umgehen. In solchen Momenten mutet der Film seinem jungen Publikum einiges zu, wenn geschrien, gerungen und Mobiliar zerschlagen wird, oder wenn er die üblen Gemeinheiten ausspielt, die Michi und Tom, jeder auf seine Weise, erdulden müssen. Zugleich wird manche Szene, in denen die Umwelt ratlos und unsicher auf Toms Kleinwüchsigkeit reagiert, zur befreienden parodistischen Volte, bei der sich Tom und Michi immer näherkommen.
Mal dramatisch, mal komisch spielt der Film mit Michis sich verändernden Blick- und Sichtweisen, seinen Ausweichmanövern und Lügengebilden, mit denen er sich vor Gleichaltrigen besser machen will, aber alles nur noch komplizierter macht. Während er Tom damit immer wieder verletzt und ihn gegenüber seiner neuen Freundin Katja gar zum Hausmeister degradiert, wird sein Blick auf den (Ersatz-)Vater doch immer wacher, verständnis- und respektvoller. So ist es nur konsequent, dass der Film immer wieder mal Michi verlässt, um auch Toms Lebenssituation und Gefühlslagen einzufangen.
Das alles entwickelt sich weder als düsteres Sozialdrama noch als (pseudo-)dokumentarisches Wirklichkeitsabbild, vielmehr als temperamentvolle, optimistisch-lebensbejahende Dramödie um Toleranz, Aufrichtigkeit und Offenheit. Gegen Frust und Aggressivität wehrt sich der Film vehement mit dem Appell, man möge ohne Furcht, Vorurteile und Berührungsängste aufeinander zugehen. Wobei er mit gutem Beispiel vorangeht, indem er auch mal eine spontane Umarmung oder ein aufrichtiges Wort zulässt – und sich sogar an etwas heranwagt, um das das Kino gerne einen Bogen macht: um jene als Gutmenschen bekrittelten Menschen, die bereit sind zu helfen und umzudenken, wenn sie einsehen, dass sie etwas falsch gemacht haben.
Gewiss gibt es so manches, was man an dem Film, seiner Dramaturgie und Inszenierung kritisch sehen kann. Was aber nicht den Respekt vor ihm schmälert: „Auf Augenhöhe“ bringt ein eigenständiges Temperament ins (Kinder-)Kino, er unterhält und berührt. Ohne Umwege. Auf Augenhöhe.