Armando ist ein ruhiger, einsamer Mann um die 50. Er arbeitet in einem Labor, wo er mit penibler Konzentration Zahnprothesen herstellt. Er hat eine Schwester, die darauf wartet, mit ihrem Mann das Recht auf die Adoption eines Kindes eingeräumt zu bekommen. Während sie von einem normalen Familienleben träumt, blickt Armando nicht in die Zukunft. Er ist von der Vergangenheit besessen. Da ist ein älterer Herr, den er beobachtet, sein Vater, der ihm in der Kindheit Schreckliches angetan hat. Das Thema sexueller Missbrauch zieht sich von Anfang an latent durch den Film.
Nach der Arbeit treibt sich Armando in Kneipen herum, an Bushaltestellen oder in Parkanlagen. In den ärmeren Vierteln sucht er junge Männer, die er mit Geld lockt. Man sieht aber sogleich, dass der Mann nicht auf Sex aus ist. Er bezahlt die jungen Männer dafür, dass sie sich halb oder ganz ausziehen, während er sich in angemessener Distanz befriedigt. Das erinnert alles ein wenig an Pasolini, der grauhaarige, feingliedrige Mann, der um die potenten Jugendlichen herumschleicht, doch Armandos Suche in den Vorstädten hat etwas Zwanghaftes, Neurotisches, wenig Erotisches.
Dann lernt er Elder kennen, den Anführer einer Straßengang. Der 17-Jährige begleitet ihn in seine Wohnung, schlägt ihn bewusstlos und raubt ihn aus. Trotzdem entspinnt sich eine Beziehung zwischen den beiden, denn Elder braucht Armandos Geld für einen Gebrauchtwagen, Armando aber bewundert den Jungen wegen seiner Brutalität, die ihm im entscheidenden Moment seines Lebens vielleicht gefehlt hat und die er jetzt gegen das verhasste Gespenst seiner Vergangenheit nutzen kann.
Regisseur Lorenzo Vigas erzählt dies alles sehr subtil und zurückhaltend, wobei er zugleich die sozialen Diskrepanzen der venezolanischen Gesellschaft im Blick hat. Die Zerrissenheit der Familien und die bis ins Mark gestörten Beziehungen sind das deutlichste Symptom des sozialen wie politischen Erosionsprozesses. Der Niedergang der venezolanischen Gesellschaft spiegelt sich auch in der sozialen Topografie der Stadt, die sich von den Neubaublocks der Armen bis zu den grünen Vierteln der Reichen erstreckt; mittendrin liegt Armandos Candelaria-Quartier, das in seiner Gemengenlage aus Altstadt und Hochhäusern die verarmende Mittelschicht beherbergt.
„Caracas, eine Liebe“ besitzt viele Ebenen. Das soziale Drama ist auch ein psychologisches und kämpft gegen die Homophobie in Lateinamerika, wenngleich das plötzliche Coming out von Elder zu den dramaturgisch schwächsten Momenten der Geschichte gehört. Die homoerotische Dimension ist eine Metapher für Armandos gesellschaftliche Außenseiterposition, aber auch für die Beziehung zwischen Geld und Macht. Im Zentrum von Vigas’ Debütfilm steht jedoch das geradezu radiologische Bild eines Opfers und seiner Unfähigkeit zu lieben sowie seinem besinnungslosen Wunsch nach Rache, am Vater und letztlich auch an sich selbst.
Die Bildgestaltung des Chilenen Sergio Armstrong ist langsam, aber in entscheidenden Momenten auch bewegt. Die Kamera zieht sich mitunter in Unschärfen zurück und korrespondiert mit dem Charakter des Protagonisten. Getragen wird der Film von dem chilenischen Schauspieler Alfredo Castro, der Armandos Charakter überzeugend verkörpert: seine Verletzlichkeit wie seine tiefe Verletztheit, eine schlichte Eleganz, die bis zur Arroganz reicht, seine Leidensfähigkeit bis hin zum Masochismus, aber auch die stille, selbstzerstörerische Grausamkeit. Castro trägt eine enorme Spannung in den Film, denn er könnte alles sein, Vampir, Serienmörder, Vergewaltiger oder Vergewaltigungsopfer.