Wäre doch alles nur ein Traum! Igs Erwachen aus der Umnachtung ist nicht schön. Es kommt ihm so vor, als wären in der Nacht zuvor unterschiedliche Arten von Alkohol im Spiel gewesen. Kurz bevor Ig(natius) recht unsanft auf dem Boden seines Zimmers erwacht, bestimmte die innige Zweisamkeit mit seiner Freundin Merrin sein träumendes Bewußtsein. Jetzt aber steht er vor dem Spiegel, sieht sein bleiches Gesicht und zwei seltsam harte Wölbungen nahe den Haaransätzen. Das kann doch nicht sein! Ist das Krebs – oder etwas noch Unnatürlicheres?
Solche Äußerlichkeiten sollten in Horns Leben augenblicklich eigentlich das geringste Problem darstellen. Immerhin ist er der einzige Verdächtige im brutalen Mordfall an seiner Jugendliebe Merrin. Noch auf freiem Fuß, wird er von seinen Nachbarn heftig angefeindet. Einzig sein chronisch betrunkener Bruder Terry, seine Schulfreundin Glenna und sein bester Freund, der Anwalt Lee, halten noch (halbwegs) zu ihm.
Doch die bevorstehende Verhandlung rückt eigentümlich in den Hintergrund, als diese Dinger an seinem Kopf zu wachsen beginnen. Weitere seltsame Dinge gehen mit Ig vor, aber auch mit seiner Umgebung. Seine Eltern, sein Arzt, die Medien, die chronisch sein Wohnhaus belagert: alle nehmen die Hörner zwar zur Kenntnis, stören sich aber nicht weiter daran. Im Gegenteil: Wie aus heiterem Himmel beichten sie Ig ihr Innerstes, sagen die ungeschönte Wahrheit und lassen sich sogar durch Bemerkungen des „Gehornten“ zu Taten wider deren Natur verleiten. Haben die Hörner und dieses absonderliche Einfühlungsvermögen vielleicht etwas mit Igs schier übermenschlichem Verlangen zu tun, den wahren Mörder Merrins zu stellen und zu richten? Zumindest scheinen die neu entwickelten Fähigkeiten dafür recht nützlich zu sein.
Es gehört inzwischen zu den seltenen Ereignissen, dass Horrorfilme im Kino originäre Züge besitzen und ohne Vampire, Werwölfe oder paranormale Aktivitäten auskommen. „Tusk“ von Kevin Smith, in dem ein Gefangener in der kanadischen Einöde peu à peu zu einem Walross umoperiert wird, gehört zu den wohltuend bizarren Ausnahmen, in denen Drehbuchautoren neue Wege beschreiten. Die Vorlage zum ähnlich ungewöhnlichen „Horns“ schrieb Joe Hill, der Sohn von Stephen King. Drehbuchautor Keith Bunin und Regisseur Alexandre Aja gestalten aus diesem Einbruch des Fantastischen in die reale Welt ein Kammerspiel für Daniel Radcliffe. Es liegt am glaubwürdigen Schauspiel von Radcliffe, dass man die unheimlichen Vorkommnisse im Leben eines jungen Mannes über weite Strecken für bare Münze nimmt. Aja („High Tension“, „Piranha 3D“), der bislang auf eher wenig subtile Weise mit den Helden seiner Terrorgeschichten umgesprungen ist, beweist hier ein durchaus stimmiges und stimmungsvolles Gefühl für einen Menschen, der durch mehrere Schicksalsschläge den Boden unter den Füßen verliert.
Stünden am Ende der originellen Geschichte nicht wieder allzu viele Ingredienzien aus der konventionellen Horror-Schublade, hätte aus „Horns“ ein finsterer Thriller, ja vielleicht sogar der Beginn eines neuen (Anti-)Superhelden-Franchise entstehen könne. So schmälern wundersame Kreuzanhänger und esoterische Apotheosen ein wenig den morbiden Charme eines Filmes, der das Schmunzeln durchaus in Schrecken verwandeln kann.