Coming-of-Age-Film | Deutschland 2014 | 106 Minuten

Regie: Mark Monheim

Eine widerborstige 15-Jährige hält sich die Welt mit ätzenden Sprüchen vom Leib, bis sie aus einer depressiven Verstimmung heraus einen Selbstmordversuch unternimmt. Beim Besuch eines Psychologen lernt sie einen Sonderling kennen, den ihre krätzige Schale nicht abschreckt. Furiose Adoleszenz-Geschichte, die mit sprachlicher Komik, seltsamen Typen und mitunter monströsem Slapstick besticht und die Figuren auch in absurden Momenten plausibel macht. Der hervorragenden Inszenierung einer jugendlichen Identitätssuche lastet dabei eine „ars moriendi“ auf, die nicht so recht zum ungestümen Charakter der Jugendzeit passen will. - Ab 14.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2014
Produktionsfirma
Imbissfilm/die film/BR
Regie
Mark Monheim
Buch
Mark Monheim · Martin Rehbock
Kamera
Daniel Schönauer
Musik
Sebastian Pille
Schnitt
Stine Sonne Munch · Melanie Landa
Darsteller
Jasna Fritzi Bauer (Charleen) · Heike Makatsch (Sabine) · Aurel Manthei (Jeff) · Simon Schwarz (Volker) · Sandro Lohmann (Linus)
Länge
106 Minuten
Kinostart
06.08.2015
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Coming-of-Age-Film | Jugendfilm
Externe Links
IMDb | TMDB | JustWatch

Heimkino

Die Extras enthalten u.a. ein Feature mit im Film nicht verwendeten Szenen.

Verleih DVD
NFP/EuroVideo (16:9, 2.35:1, DD5.1 dt.)
DVD kaufen

Diskussion
Charleen schwimmt gegen den Strom. Und hadert damit, dass sich mit dem Eintritt in die Pubertät die Welt verändert hat. Doch von „Pickeln, Jungs und Wirtschaftskrise“ lässt sie sich nicht ins Bockshorn jagen. Das sind Probleme, die nur ihre Altersgenossen haben. Wenn jemand an dieser Gewissheit rührt, kontert sie sofort. Der äußerst wortgewandte Teenager ist nie verlegen um eine ätzende Antwort, mit der er sich die anderen vom Leib halten will. Allerdings überspielt die fast 16-Jährige damit nur ihre Krise. Aber keiner nimmt die depressive Verstimmung ernst, bis Charleen einen Selbstmordversuch unternimmt. So muss das widerborstige Mädchen in Therapie zu einem nicht minder eigenwilligen Mann. Der lässt sich durch gar nichts aus der Ruhe bringen. Genüsslich verzehrt er bei der ersten Sitzung ein Stück Herrentorte. Und gleich danach sitzt sie im Wartezimmer noch einem Sonderling gegenüber, dem strebsamen Mitschüler Linus. Dessen hartnäckiges Werben jedoch öffnet dem Mädchen langsam das Herz. Mark Monheims Adoleszenzgeschichte setzt furios ein und brennt ein unterhaltsames Feuerwerk ab, dessen Funkenregen sich im Lauf der Handlung dann doch etwas erschöpft. Dafür besticht der Film durch sprachliche Komik, durch seltsame Typen und Slapstick, gewürzt mit einem Hauch Monstrosität. Er erschließt die Wirklichkeit seiner Protagonistin in ihren absurden Momenten, in Sein und Schein, überzeichnet die Figuren und stellt sie in charakteristische, sehr sorgfältig ausgestattete Räume. Die widerspenstige Protagonistin wiederum hinterlässt großen Eindruck, wie sie gegen jedes gutgemeinte Wort ankämpft. Denn sie fühlt sich von ihren Mitmenschen nicht gesehen. Deshalb lässt sie all die Plattitüden, hohlen Phrasen und Gemeinheiten ins Leere laufen. Auch der von der Gesellschaft eingerichteten Reparaturmaschine traut sie nicht; von deren Psycho-Spielchen, vertraulichem Umgang und Fürsorge will sie sich schon gar nicht einlullen lassen. Jasna Fritzi Bauer verleiht der Figur ein ausdrucksstarkes Gesicht und nimmt mit ihrer großen Spielfreude ein. Bereits in „Scherbenpark“ spielte sie einen ähnlich eigensinnigen Charakter, dessen entwaffnende Sprüche verdeckten, dass das Mädchen eigentlich Zuwendung suchte und einem trostlosen Leben entkommen wollte. Gleichwohl nimmt man der Schauspielerin ihr gespieltes Alter nicht ab. Sie ist keine Altersgenossin, die gerade herausfinden will, wer sie selbst ist. Das trifft auch auf die Auflösung der Geschichte zu, die die großen, philosophischen Fragen aufwirft. So muss sich die todesfixierte Protagonistin damit auseinandersetzen, wofür es sich überhaupt zu leben lohnt und dafür einen Begriff von Zeit und deren Endlichkeit entwickeln. Der Film erzählt dies mit treffenden Mitteln. Mit wiederkehrenden Luftaufnahmen wird die unheimliche Affinität der Hauptfigur zum Tod markiert. Sie ist wie eine Getriebene. Aber sie realisiert, dass sie keinesfalls immer wie aus der Pistole geschossen reagieren muss. Sie lernt, Zeit zu empfinden. Eine Szene in Zeitlupe macht begreifbar, dass man glückliche, intensive Momente möglichst dehnen möchte. Eine vergnügte Charleen lässt sich von Linus in einem Einkaufswagen schieben. Aber die Zeit kann auch lang werden, zu trägen Momenten zerfließen, wenn sie vergeblich auf ihren Freund vor einem Kino wartet. Dass allerdings der „Clou an der Sache mit dem Leben“ sein soll, dass der Mensch sich seiner eigenen Sterblichkeit bewusst wird und so das Leben als Geschenk annehmen kann, klingt nach der Ausrufung einer von Erwachsenen auferlegten neuen Ars moriendi. Den Wunsch, ewig leben zu können, hält der Film für verpönt, weil es dann angeblich „egal wäre“. In der Moderne stand bisher die Jugend immer für die Zukunft und die Innovationskraft einer Gesellschaft ein. Mark Monheims Film verpflichtet sie, obwohl sie sich noch kaum selbst verwirklichen konnte, auf das Memento mori.
Kommentar verfassen

Kommentieren