Immer wieder dieser Blick des Filmemachers Aleksey Igudesman in die Kamera: mal verstört, mal verständnislos, mal augenzwinkernd verschmitzt. Die Pointe steht skandalös im Raum, jetzt muss sie noch ein paar Sekunden wirken. „Hast du gerade John Malkovich beleidigt?“ – „Hast du gerade meine Mutter beleidigt?“ Der Stargeiger Julian Rachlin, der sich gemeinsam mit Igudesman das Material anschaut, aus dem „Noseland“ werden wird, ist etwas irritiert. Schließlich ist Igudesman nicht nur Filmemacher, sondern selbst Musiker und zudem, nach eigener Aussage, Rachlins ältester Freund. Igudesman wiegelt ab. Er habe mit Rachlins Mutter über dessen Faszination für Nasen sprechen wollen. Was liegt da näher, wenn die Mutter „Miss Piggy“ ähnelt, als sie genau darauf aufmerksam zu machen? Oder? Aber sie sei eine starke Frau und komme bestimmt drüber weg.
Die Ausgangsidee war trotzdem eine andere: Seit Jahren veranstaltet Rachlin im märchenhaft schönen Dubrovnik ein märchenhaft schönes Sommerfestival mit lauter erstklassigen Musikern und Schauspielprominenz wie Malkovich oder Sir Roger Moore. Doch für die Produktion eines Imagefilms ist Igudesman offensichtlich eine krasse Fehlbesetzung. Glaubt man seinem Habitus vor der Kamera, dann steht er nicht nur dem Projekt höchst reserviert gegenüber, sondern der ganzen Klassik-Szene. Ja, man könnte meinen, dass er die Musiker und ihre Marotten unverhohlen verachtet. Leider hält er damit nicht hinterm Berg, sondern konfrontiert den Pianisten Richard Hyung-ki Joo mit der Beobachtung, dass der so klein und schmal sei, dass er auch in einer Kiste reisen könne. Dafür wird er von Hyung-ki Joo bestraft – wieder dieser Blick direkt in die Kamera, wie man ihn von Laurel & Hardy kennt. Doch Igudesman ist nicht nur zur falschen Zeit am falschen Ort, wählt nicht nur die falschen Worte, sondern er transformiert als Künstler auch Beleidigungen in Kunst. So hat er ein Stück komponiert, dass auf einer vernichtenden (und ziemlich ignoranten) Kritik an John Malkovich in einer türkischen Zeitung basiert – und dass natürlich ganz besonders gut kommt, wenn der Beschimpfte selbst schimpft.
Überhaupt! Haben nicht schon Tschaikowsky und Hugo Wolf Brahms beschimpft? Und schließlich schimpft ja auch Malkovich selbst, dass Rachlins internationaler Ruf nicht auf Talent gründe, sondern sich allein seiner „Jewishness“ verdanke. Und warum sei ein so gut aussehender und talentierter Kerl wie Rachlin wohl noch Single? Später wird ein Musikerkollege sagen, dass Musiker, die sich für Klassische Musik begeistern, eh mit großer Wahrscheinlichkeit homosexuell seien.
Jede Absonderlichkeit, die Igudesman in seinem Film kolportiert, wird durch Aufnahmen konterkariert, die die Musiker bei der Arbeit zeigen. Mit aller Leidenschaft und Virtuosität wird hier die These Lügen gestraft, dass Klassische Musik tot sei und nur ein paar Snobs im Publikum dies noch nicht bemerkt hätten. Je länger „Noseland“ dauert, je länger Aberwitz angehäuft wird, je länger Igudesman sich komplett ignorant verhält, desto cooler kommen die Musiker rüber, die offenbar für jeden Spaß zu haben sind. So spielt der Film ein weiteres Mal mit dem Zuschauer – und die bornierte Provokation schlägt um in genau die Hommage an das – übrigens gefährdete – Dubrovniker Festival, die ursprünglich geplant war.
Es ist ein wenig wie der Schwan in Kleists „Marquise von O.“: mit Kot beworfen, taucht er still unter und rein aus der Flut empor. Neben aller seriösen Hingabe an die Musik stimmt die Chemie vor Ort nämlich so sehr, dass auch noch Raum für die kruden Späße Igudesmans bleibt. Und so bleibt vor allem Rachlins fassungsloses Staunen im Sichtungsraum in Erinnerung, der nicht glauben mag, dass sein Freund ihn als „Weirdo“, als „Sexsymbol“, als Multi-Talent und als äußerst selbstironischen Menschen zeigt, der am Ende all die geschilderten Zumutungen mit seinem trockenen Humor erst ins Gegenteil umschlagen lässt. „Noseland“ ist daher eine ausgesprochen vergnüglich anzuschauende Lektion in spielerischer Doppelbödigkeit, die aus der Dynamik zwischen Dokument und Fiktion erstaunlich abgründige Funken zu schlagen weiß. Kurzum: ein regelrechter Abenteuerfilm für marginalisierte Intellektuelle.