Immer diese Zeichner: In der ARD-Vorabendserie „Berlin, Berlin“ verschlug es Anfang der Nuller-Jahre die junge Comic-Gestalterin Lolle aus dem ostholsteinischen Malente in die Hauptstadt. In Tobias Wiemanns Debüt „Grossstadtklein“ ist nun Ole dran, der für ein Praktikum in einem Abreißkalenderverlag aus dem nordöstlichen Winkel von Mecklenburg-Vorpommern zu seinem Cousin Rocco in die lockende, verkommene, aufregende, schmutzige Metropole zieht.
Das Berliner Kreativprekariat ist natürlich selbst schon ein Klischee oder mindestens ein Instrument der Selbstvermarktung Berlins als hipper Lebensort geworden, und es mag bei genauerer Betrachtung auch nicht das einzige Stereotyp sein, das in dem von Til Schweiger produzierten Film herangezogen wird. Doch die Pinselstriche, mit denen Wiemann, der selber aus Greifswald stammt, seine Figuren und deren Lebensumstände zeichnet, bleiben stets fein genug, um ihnen eine individuelle Note zu verleihen, die über das sattsam Bekannte hinausgeht.
So variiert die Montage, die Ole auf seinem Mofa – seiner, das scheint hier wichtig zu sein: „Schwalbe“ – aus den weiten Alleen seiner Heimat hineinzieht in die Betontürme des vertikalen Berlins, eigentlich nur bekannte Verbildlichungen von Land und Metropole. Da ist das Licht des Sonnenuntergangs, ein schwärmerisch-sehnsüchtiger Sound, und doch kein Anflug von Kitsch: Denn in der totalen Unmöglichkeit, den ganzen Weg auf so einer Mühle zurückzulegen, ist dieser Sequenz die Ironie schon ebenso eingeschrieben wie der Respekt vor diesem jungen Typen, der sich aus dem Griff seiner Eltern löst und sich den Aufgaben eines Lebens vor dem eigenen Gartenzaun stellt.
Zugegeben, so ganz stimmt das auch wieder nicht. Statt einer klassischen „fish out of water“-Komödie hat Wiemann eher ein tragikomisches Familiendrama inszeniert – was den Stoff auch davor bewahrt, in allzu platten Klamauk zu verfallen. Ole hat seinen Cousin Rocco seit 15 Jahren nicht gesehen, die ersten Begegnungen der beiden fallen entsprechend schroff aus. Zwischen den Vätern – die Brüder sind und die Mütter Schwestern, so kompliziert ist das – herrscht schon ewig Funkstille. Roccos Vater Manni trägt seinen altmodischen Trainingsanzug wie eine zweite Haut, seinen Sohn begrüßt er prollig mit der sogenannten „Bro-fist“, aber unter dieser Oberfläche klaffen die Wunden der Vergangenheit doch gewaltig. Und dann macht Ole noch Bekanntschaft mit Fritzi, Roccos bester Freundin, und das ist, wer hätte es gedacht, noch viel komplizierter.
Letztlich hat Tobias Wiemann ein paar Handlungsstränge zu viel in seinen Film gepackt. Wenn man sich gerade zum Ende hin eine etwas stringentere Erzählweise wünschen würde, so ist dies auch der Preis einer ungewöhnlich sorgfältigen Figurenentwicklung, die von starken Darstellern getragen wird. TV-Moderator Klaas Heufer-Umlauf gibt seinem Rocco eine lebenspralle Patzigkeit mit: So motzen kann nur einer, der tief empfindet. Und Tobias Moretti spielt Roccos Vater Manni als schillernden Exzentriker, den es sichtlich Kraft kostet, in jedem Gespräch aufs Neue seine harte Schale anzulegen.