Eine Familienchronik über drei Generationen, erzählt vom Enkel: Vom Jahr 1949 entfaltet sich die Geschichte des Großvaters, der aus Krieg und Gefangenschaft in Russland zu seiner Frau heimkehrt und in der Gesellschaft der sich neu formierenden Bundesrepublik Deutschland Fuß fasst, ebenso wie die der 1968 aufbegehrenden Eltern. Oskar Roehler beschreibt ausführlich die Wiederaufbau-Generation mit autoritären Vätern, unterdrückten Müttern und einem restriktiven, aber wirtschaftlich erfolgreichen Bürgermief, in dem nicht Menschen gedeihen können, aber der Widerstand. Dabei schwankt der vorzüglich gespielte Film allzu krass zwischen Melodram und Groteske, zwischen ernsthaftem Drama und derbem Humor, sodass sich aus beiden Erzählstilen kein in sich stimmiges Bild der jüngeren deutschen Geschichte formt.
Quellen des Lebens
Drama | Deutschland 2012 | 173 (24 B./sec.)/166 (25 B./sec.) Minuten
Regie: Oskar Roehler
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Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 2012
- Produktionsfirma
- X Filme Creative Pool/Süss Film/WDR/BR/NDR/ARD Degeto/Süss Film/Moovie - The Art of Entertainment
- Regie
- Oskar Roehler
- Buch
- Oskar Roehler
- Kamera
- Carl-Friedrich Koschnick
- Musik
- Martin Todsharow
- Schnitt
- Peter R. Adam
- Darsteller
- Jürgen Vogel (Erich Freytag) · Meret Becker (Elisabeth Freitag) · Moritz Bleibtreu (Klaus Freytag) · Lavinia Wilson (Gisela Ellers) · Lisa Smit (Laura mit 13-17 Jahren)
- Länge
- 173 (24 B.
sec.)
166 (25 B.
sec.) Minuten - Kinostart
- 14.02.2013
- Fsk
- ab 12; f
- Genre
- Drama | Tragikomödie
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Heimkino
Diskussion
In Künstlerfamilien gibt es immer einen Knackpunkt: Macht die nächste Generation dasselbe oder etwas anderes? Als Sohn des Schriftstellerpaars Gisela Elsner und Klaus Roehler hatte sich Oskar Roehler zunächst auf halbneutrales Gebiet begeben: Filmemachen, auch Drehbuchschreiben, aber keine Literatur. Sein Romandebüt „Herkunft“ handelte dann frei von der Familiengeschichte. Das Wörtchen „frei“ ist wichtig, weil diese offensichtlich schräge Inszenierung mehr an einer Verortung des Geschehens in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland interessiert ist.
1949 geht es los mit der Familiensaga. Dass hier einem nach Houellebecqs „Karte und Gebiet“ zumute ist und überhaupt nicht nach Edgar Reitz und „Heimat“ zeigt schon die erste Szene: Der Russland-Heimkehrer wischt sich im Gebüsch den Hintern, weil er die Ruhr hat. Daheim hat sich seine Frau in einer lesbischen Idylle eingerichtet, der erste Auftritt des zerlumpten und stinkenden Heimkehrers endet mit einer Furzattacke. Wenig später trifft der inzwischen Gewaschene und Rasierte auf einen alten Kommunisten, der ihn als Nazi wiedererkennt. Dieser schenkt dem Zahnlosen ein Gebiss mit dem Kommentar: „Ein Mensch bleibt ein Mensch, trotz allem.“ Damit reißt Roehler ein weites Loch auf. Will er in diesem Pandämonium von 25 Jahren BRD eine menschliche Seite zulassen oder alles grotesk karikieren? Tatsächlich laviert er zwischen den Positionen. Mal geht es zu wie bei Schlingensief, mal wie bei Todd Haynes. Es gibt Bilder, die ins melodramatisch Überzeichnete gehen, und Bilder, die karikieren. Zwischentöne gibt es kaum.
So wird aus dem grotesken Russland-Heimkehrer (Jürgen Vogel) im Lauf des Films ein verschrobener Gartenzwerg-Fabrikant und schließlich eine ungeheuer sympathische und menschliche Figur. Ebenso aus seiner verdrucksten Frau (Meret Becker). Zum Schluss bilden sie eine verklärte Großeltern-Idylle. Die anfangs hoffnungsvolle Jugend der rebellischen Elterngeneration (Moritz Bleibtreu und Lavinia Wilson) kippt dagegen immer mehr ins Unerträgliche. Sie dürfen und müssen alle Klischees der 68er-Generation bis zum Exzess durchexerzieren.
Irgendwann in der Mitte des Films erscheint der Erzählerheld dann ein bisschen wie Tristam Shandy: „In dieser Nacht wurde ich gezeugt.“ Leibhaftig erblicken wir den kleinen Matzerath das erste Mal mit brauner Windel, schreiend am Boden vor dem Arbeitszimmer der schriftstellernden Mutter. Roehler geht mit seinem Avatar etwas netter um. Er ist zwar zeitweilig ein Hippie-Kotzbrocken von Format, der die großbürgerlichen Eltern seiner Mutter bis zur Weißglut quält, dann aber die alte Kindheitsfreundin lieben lernt. Vom Steinbruch der Literaturgeschichte ist auch in der Postmoderne auf Schritt und Tritt diese rettende junge Dame übrig geblieben. Auch wenn sie offensichtlich ein Phantom ist, Laura heißt und von Kunstgeschichte nichts versteht, aber klug darüber reden kann.
Roehlers Kurzgeschichte der BRD zeigt drei Generationen. Die Wiederaufbau-Generation mit ihren autoritären Vätern, unterdrückten Müttern und einem restriktiven, aber wirtschaftlich ungemein erfolgreichen Bürgermief, mal groß-, mal spießbürgerlich. Menschen können da nicht gedeihen, aber Widerstand. Die Generation des Widerstands, so Roehlers Sicht, hat es nicht geschafft, sich zu Menschen zu erheben. Durch die Hintertüren wahnhafter Umtriebe hat sie die Bürgerlichkeit doch noch besiegt. Roehler verortet sich selbst als Opfer zweier Tätergenerationen. Wie Petrarca will er sich selbst neu erschaffen im Bunde mit Laura. Nun, die Figur ist zu diesem Zeitpunkt 17 Jahre alt, und da darf man das noch.
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