Oslo, 31. August
Drama | Norwegen 2011 | 96 Minuten
Regie: Joachim Trier
1 Kommentar
Ein 34-jähriger Mann auf Drogenentzug kehrt für einen Tag aus der Klinik nach Oslo zurück, um sich bei einem Magazin als Journalist zu bewerben. Die Konfrontation mit der Stadt und seinen alten Freunden verstärkt jedoch sein tragisches Gefühl des Verlorenseins. Auf der Suche nach einem Grund, um weiterzuleben, fallen seine Selbstbefragungen äußerst schmerzhaft aus; kurze Momente der Hoffnung erweisen sich als Trug. Eine radikale, beklemmende Studie in Agonie und Fatalismus, die im Kern ein melancholischer Film über die Vergänglichkeit der Jugend in Zeiten einer verlängerten Adoleszenz ist.
- Sehenswert ab 16.
Filmdaten
- Originaltitel
- OSLO, 31. AUGUST
- Produktionsland
- Norwegen
- Produktionsjahr
- 2011
- Produktionsfirma
- Don't Look Now/Motlys
- Regie
- Joachim Trier
- Buch
- Joachim Trier · Eskil Vogt
- Kamera
- Jakob Ihre
- Musik
- Torgny Amdam · Ola Fløttum
- Schnitt
- Olivier Bugge Coutté
- Darsteller
- Anders Danielsen Lie (Anders) · Hans Olav Brenner (Thomas) · Ingrid Olava (Rebekka) · Øystein Røger (David) · Tone B. Mostraum (Tove)
- Länge
- 96 Minuten
- Kinostart
- 04.04.2013
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 16.
- Genre
- Drama
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Heimkino
Diskussion
Eine gute Schreibe habe er ja, sagt der Herausgeber von „Folio“ zu Anders, nachdem der mit ein paar prägnanten Sätzen klar gemacht hat, dass er den aktuellen Magazin-Markt und die Stellung von „Folio“ bestens einzuschätzen vermag. Immer diese Essays über HBO-Serien, die sich wie Proseminar-Arbeiten im Fachbereich Medientheorie ausnehmen: „Samantha in „Sex & The City“, gelesen mit Schopenhauer!“
Das Bewerbungsgespräch läuft gut, wäre da nicht die Tatsache, dass Anders seit 2005 fast nichts mehr veröffentlicht hat. Anders druckst etwas herum: Was er geschrieben habe, erscheine ihm heute nicht mehr relevant. Er habe als DJ gearbeitet und sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser gehalten. Was für Jobs? Na gut, er sei drogenabhängig gewesen. Drogen aller Art, auch Heroin. Er habe auch gedealt. Hätte er das in seinen Lebenslauf schreiben sollen? Das Gegenüber reagiert konsterniert, aber durchaus entgegen kommend, doch Anders bricht das Bewerbungsgespräch unvermittelt ab.
Die letzten Jahre hat der mittlerweile 34-Jährige in Drogenkliniken verbracht. Jetzt gilt er als clean. Der erste Freigang gilt dem Vorstellungsgespräch. Einen Tag lang, den 31. August, begleitet ihn die Kamera auf seinen Wegen durch Oslo. Begonnen hat der Film (und der Tag!) allerdings mit einem etwas ungelenken Selbstmordversuch an einem See. Später, in der letzten Therapiesitzung vor dem Freigang, wird Anders von seiner Erschöpfung sprechen und davon, dass es über das Bewerbungsgespräch eigentlich nichts zu sagen gebe. Dass sich jetzt alles zum Guten wende, sei eine Option, weiß Anders, sagt es auch. Aber das könne sich auch als Irrtum herausstellen.
„Oslo, 31. August“ ist der neue Film von Joachim Trier, dessen Spielfilmdebüt „Auf Anfang [: reprise]“ (fd 38 258) vor einigen Jahren das intelligenteste und mitreißendste Statement über Jugend, Freundschaft und Literatur war, das man sich wünschen konnte. Schon damals ging es den Protagonisten buchstäblich immer um alles, war der psychische Zusammenbruch eine stets mitzudenkende Option. Man könnte „Auf Anfang [: reprise]“ durchaus für die Fortsetzung von „Oslo, 31. August“ halten; nicht nur, weil Anders Danielsen Lie erneut die Hauptrolle übernommen hat und auch das Milieu beider Filme vergleichbar ist. Der Film ist pure Gegenwart, auch wenn bei Anders’ Stationendrama die Vergangenheit schlaglichtartig immer wieder aufleuchtet, wenn alte Bekannte auf ihn reagieren. Anders muss mal eine große Nummer in der Osloer Szene gewesen sein, bekannt wie ein bunter Hund. Das aber ist schon Jahre her. Es gibt aber auch Menschen, die sich vor Anders fürchten, die ihm ausweichen. Anders selbst ist nicht stolz auf die alten Geschichten, auf die Mythen, die mit seiner Person verbunden sind. Er hat mit seiner Vergangenheit gebrochen, aber die Begegnungen führen ihm deutlich – und schmerzhaft – vor Augen, dass das Leben weiter gegangen ist, dass sich Menschen verändert haben, dass Träume zerbrochen sind.
Man kann sagen: Anders ist auf der Suche nach einem Grund weiter zu leben. Seine Selbstbefragungen fallen äußerst schmerzhaft aus, kurze Momente der Hoffnung zerbröseln vor seinen Augen. Für ihn gilt, um es mit einer Zeile der Godfathers aus ihrem Song „Birth School Work Death“ zu formulieren: „There’s nothing in this world for me.“ Ein erschreckender Befund, dem Joachim Trier durch die Einheit von Zeit und Ort der Handlung eine erschütternde Wucht verleiht. Während sein Spieldebüt durch die Hemmungslosigkeit begeisterte, mit der Trier über den Stoff verfügte, durch das formalistische Spiel mit Parallelgeschichten, rasanten Rück- und Vorblenden sowie dem fragmentarischem Erzählen im Konjunktiv und Futur, geht „Oslo, 31. August“ – abgesehen von einem Found Footage-Prolog mit Off-Stimmen – ganz konzentriert zur Sache.
Je länger man Anders bei seiner Odyssee durch Oslo begleiten, desto mehr weitet sich der Blick des Films, der schließlich en passant das Bild einer Generation entwirft, die sich im Status quo eingerichtet und mit dem Zerplatzen ihrer Träume arrangiert hat. Wenn Anders schließlich Hand an sich legt, ist er nur etwas ehrlicher und rigoroser mit sich selbst als die Menschen, denen er auf der Zielgeraden begegnet.
Dem Film liegt ein literarischer Text aus dem Jahre 1931 zugrunde: „Le feu follet“ von Pierre Drieu La Rochelle, 1963 von Louis Malle verfilmt, mit Musik von Erik Satie: „Der Selbstmord ist der Akt für die, die keine anderen haben begehen können.“ Verglichen mit Joachim Triers radikaler und beklemmender Studie in Agonie und Fatalismus, die im Kern ein Film über die Vergänglichkeit der Jugend in Zeiten einer künstlich verlängerten Adoleszenz ist, muss Malles Stilübung in Sachen Existentialismus geradezu versöhnlich erscheinen.