Basierend auf den Erlebnissen seiner eigenen Mutter, erzählt Regisseur Ilmar Raag die Geschichte zweier estländischer Migrantinnen in Paris: Die jüngere der beiden sucht in Paris eine neue Zukunft und wird von einem Café-Besitzer engagiert, um eine ebenfalls aus Estland stammende alte Dame zu pflegen. Trotz deren anfänglicher Feindseligkeit nähern sich die Frauen einander an und lernen voneinander, sodass beide zu mehr Lebensfreude finden. Schlicht inszeniert, beeindruckt der Film vor allem als "Duell" zweier großartiger Schauspielerinnen und rundet sich zum unsentimentalen Melodram mit leisem Humor und berührender Menschlichkeit.
- Ab 14.
Eine Dame in Paris
Melodram | Frankreich/Estland/Belgien 2011 | 94 Minuten
Regie: Ilmar Raag
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Filmdaten
- Originaltitel
- UNE ESTONIENNE À PARIS
- Produktionsland
- Frankreich/Estland/Belgien
- Produktionsjahr
- 2011
- Produktionsfirma
- TS Prod./Amrion Prod./La Parti Prod./uFilm
- Regie
- Ilmar Raag
- Buch
- Agnès Feuvre · Lise Macheboeuf · Ilmar Raag
- Kamera
- Laurent Brunet
- Schnitt
- Anne-Laure Guégan
- Darsteller
- Jeanne Moreau (Frida) · Laine Mägi (Anne) · Patrick Pineau (Stéphane) · François Beukelaers · Frédéric Epaud
- Länge
- 94 Minuten
- Kinostart
- 18.04.2013
- Fsk
- ab 0; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14.
- Genre
- Melodram
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Diskussion
Die nüchtern-dokumentarische Inszenierung seines Kinodebüts über Gewalt unter Schülern („Klass“, fd 39 519) hat der Este Ilmar Raag beibehalten. Vielleicht auch, weil die Geschichte von „Une Estonienne à Paris“ (wie der Film im Original viel schöner und beziehungsreicher heißt) an die seiner Mutter angelehnt ist, die nach zerrütteter Beziehung als 50-Jährige einen Pflegejob in Paris annahm und nach ihrer Rückkehr noch einmal das (Ehe-)Glück fand. Diesen Bogen schlägt der Film nicht; der bleibt nach einer knappen Einleitung, in der die Protagonistin Anne nach dem Tod ihrer Mutter ins Ausland geht, ganz auf ihre Erlebnisse in der „Traumstadt“ Paris konzentriert. Schon der Übergang von der gewohnten in die neue Welt lässt den liebevollen Umgang der Inszenierung mit visuellen Details erkennen. Anne legt in ihrer Wohnung eine Kassette ein, und während sie noch verträumt Joe Dassins „Si tu t’appelles mélancolie“ lauscht, gleitet auch schon ihr Koffer über das Gepäckband des Pariser Flughafen. Dort erwartet sie der Café-Besitzer Stéphane, der sie engagiert hat, um die 80-jährige Frida zu betreuen, die einst auch aus Estland nach Paris kam und nach einem ausschweifenden Leben vereinsamt in ihrer riesigen Wohnung lebt.
Während Anne an ihrem ersten Abend in Paris staunend an den hell erleuchteten Schaufenstern der Dessous- und Kleidergeschäfte entlang läuft, schläft sich Frida für den „Krieg“ gegen die ungewollte Aufpasserin fit. Der beginnt mit einem von mehreren Rausschmissen und kleinen Demütigungen, wenn Anne, von Stéphane überredet, zurückkehrt. „Soll ich Plastik essen?“, grantelt Frida, als Anne ihr Croissants aus dem Supermarkt zum Frühstück serviert. Doch langsam nähern sich die Verhuschte und die Verbitterte an: Anne arbeitet an einer Versöhnung zwischen der mittlerweile auseinander gefallenen Pariser Estland-Gemeinde und Frida, die dort einst im Chor gesungen hatte. Und Frida erteilt Anne, die es geschafft hat, sie wieder aus dem Haus zu locken, auf ihren gemeinsamen Spaziergängen Lektionen in freier Liebe. Wer könnte das besser als Jeanne Moreau? Die mittlerweile 84-jährige Muse der Nouvelle Vague, die hier mit jedem Auftritt, ob gelangweilt-abweisend im Bett thronend oder mit wallendem Morgenrock, ganz Grande Dame, durch die Flure schreitend, ihre eigene Legende beschwört. Die estländische Schauspielerin Laine Mägi hält mit ihrem zurückgenommenen Spiel dagegen, und so ergibt sich eine Spannung, die die Charaktere der beiden plastisch werden lässt und den Zuschauer fernab jeder Sentimentalität berührt.
Doch auch Patrick Pineau als Stéphane, der einst einer der Liebhaber Fridas war, fügt sich nahtlos in dieses nie aufgesetzt wirkende Schauspielerinnen-Duell ein. Ihm und Moreau gehört auch die wahrhaftigste Szene des Films, als Frida, „der Erinnerung wegen“, einen kokett-zärtlichen Versuch unternimmt, ihn noch einmal zu verführen. Immer ist dabei zwischen den Zeilen die Menschlichkeit der Geschichte spürbar, die die Kamera in farbentsättigte, manchmal etwas fernsehhaft wirkende Bilder taucht. Dez Mona hat dazu einen spärlich eingesetzten Soundtrack komponiert, dessen moderne Klangfarben kongenial zur melancholischen Grundstimmung des Films umgesetzt werden und dessen leiser Humor den Film immer wieder die Balance zwischen Drama und Komödie finden lässt.
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