Zwei österreichische Studentinnen, die aus der Provinz nach Wien gekommen sind, verdingen sich in einer Mischung aus Neugier und finanziellen Nöten bei einem Escort-Service als Callgirls. Ihre Hoffnung, jederzeit wieder aus dem Geschäft mit dem käuflichen Sex aussteigen zu können, entpuppt sich als Illusion. Ein unaufgeregt nüchternes Drama über das Machtgefälle von Sex und Geld, das die nackten Körper ebenso ungeniert betrachtet wie die Ausbeutungsmechanismen.
- Ab 16.
Tag und Nacht (2010)
Drama | Österreich 2010 | 101 Minuten
Regie: Sabine Derflinger
Kommentieren
Filmdaten
- Originaltitel
- TAG UND NACHT
- Produktionsland
- Österreich
- Produktionsjahr
- 2010
- Produktionsfirma
- Mobilefilm
- Regie
- Sabine Derflinger
- Buch
- Eva Testor · Sabine Derflinger
- Kamera
- Eva Testor
- Musik
- Gilbert Handler · Petra Zöpnek
- Schnitt
- Karina Ressler
- Darsteller
- Anna Rot (Lea) · Magdalena Kronschläger (Hanna) · Philipp Hochmair (Mario) · Martina Spitzer (Sissi) · Adrian Topol (Harald)
- Länge
- 101 Minuten
- Kinostart
- 19.01.2012
- Fsk
- ab 16
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 16.
- Genre
- Drama
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Heimkino
Diskussion
Am Anfang ist es nur ein Spiel. Lea und Hanna brauchen Geld. Sie sind schön und jung, die eine schlank mit kurzen schwarzen, die andere etwas molliger mit langen blonden Haaren. Die neue Wiener Wohnung ist teuer, Hannas Kunststudium und die Castings der in Stocken geratenen Schauspielkarriere von Lea sind zeitraubend. Ein bisschen naiv beschließen die beiden Frauen aus dem österreichischen Alpenvorland genau dann aufzuhören, wenn eine von ihnen keine Lust mehr hat – keine Lust mehr auf die schmerbäuchigen alten Männer in BH und Strapsen, auf die ausgefallenen Wünsche der jungen Männer, mit denen diese ihre Ehefrauen nicht verschrecken wollen. „Männer kommen und gehen. Wir zwei sind Königinnen“, sagt Lea zu ihrer besten Freundin. „Wer? Wir zwei Frauen, oder wir zwei Huren?“, fragt Hanna zurück.
In ihren Filmen warf die österreichische Filmemacherin Sabine Derflinger bisher gern einen genauen Blick auf weibliche Schicksale, die sich abseits der Norm bewegen. Mal war es ein Knoten in der Brust, mal die Obdachlosigkeit um den Wiener Hauptbahnhof, die ihre Protagonistinnen aus der Bahn warfen; nun ist es die freiwillige Entscheidung für einen vermeintlich einfachen Akt. Schnell sind Lea und Hannas Kunden befriedigt und unter der Dusche. Ganz so schnell können die Freundinnen die emotionalen Spuren ihrer Sex-Dates für den Escort-Service des schmierigen Mario allerdings nicht abwaschen. Letztlich ist es eine sehr intime (und legitime) Abwägung, die Lea und Hanna hier vornehmen: Was spricht gegen Prostitution, wenn diese auf freiwilliger und gewaltfreier Basis stattfindet?
In „Tag und Nacht“ gibt es keine Freier, die das Leben der Frauen bedrohen; keiner drängt Lea dazu, das angebotene Kokain zu nehmen, keiner sagt Hanna, dass die Fortführung ihres Jobs Gift für die Beziehung zu ihrem Freund sei. Die Gefahr ist trotzdem immanent. Es sind Taten, die sie selbst vollführen, Schlüsse, die sie selbst ziehen müssen, und an deren Ende nicht nur ihre Psyche, sondern auch ihre Freundschaft, ihre Liebe zueinander zu zerbrechen droht. Das fiktive Frauen- und Berufsporträt ist dabei nie aufgeregt; es schwingt nicht die moralische Keule, sondern zeigt Auswirkungen, die in der Natur der Sache liegen, nicht in der Verkommenheit der Freier. Die erregen bei den beiden Frauen ohnehin eher Mitleid und Komik als Furcht. Lea blüht im Fokus des Begehrens auf, Hanna geht daran zugrunde, nicht zuletzt auch, weil ihre Zuneigung zu Lea nicht nur auf reiner Freundschaft zu basieren scheint. Vielleicht sind es aber auch kleine Stiche des Neids, die der Anblick von Leas schönem Körper in ihr verursacht. Derflinger gibt solchen inneren Umwälzungen mit kleinen Blicken eine Stimme. Was sie abbildet, ist ein finanziell mehr oder weniger rentables, altes Machtgefälle von Sex und Geld. Zwei Frauen haben das Gefühl, Angebot und Nachfrage unter Kontrolle zu haben. Dass sie es sind, die letztlich am meisten bezahlen müssen, steht von Anbeginn fest. „Geld ist geprägte Freiheit“, das sei von Dostojewski, „und was tust Du alles für Geld?“, sagt der zugekokste Finanzmann nach dem Dreier mit Lea zu Hanna und stopft ihr die Scheine in den Mund. Letztendlich geht es hier nicht nur um Männer mit Geld und Frauen mit Genitalien, auch wenn Derflinger in der Bebilderung dessen kein Blatt vor die Kameralinse nimmt. Es geht um die Ausbeutungsmechanismen jener, die Geld haben, und die psychisch wie physisch ungesunden Ausweichmechanismen derer, die keines haben; die Ausbeutungsmaschinerie und man selbst müssen am Leben erhalten werden. Das ist es, was unheilvoll unter der oberflächlichen und eigentlich harmlosen Körperreibung schlummert.
Kommentar verfassen