M. Butterfly
Drama | USA 1993 | 101 Minuten
Regie: David Cronenberg
1 Kommentar
Peking 1964: Ein Angehöriger des französischen diplomatischen Dienstes verfällt der Sängerin einer Pekingoper. Blind vor Liebe bemerkt er nicht, daß die Affäre für Spionagezwecke mißbraucht wird. Von der Kulturrevolution auseinandergerissen, treffen sich die beiden Jahre später in Paris wieder und setzen die Beziehung fort. Erst beim Prozeß erkennt der Mann die Absurdität der Situation und damit die Tragödie seines Lebens. Ein wundervoll inszeniertes und ausgezeichnet besetztes Drama, in dessen Mittelpunkt der große Traum eines verlorenen Mannes steht. Nach einem authentischen Fall gestaltet, lebt der Film vom inneren Horror der Geschichte, die unaufhaltsam einer Tragödie zustrebt.
- Sehenswert.
Filmdaten
- Originaltitel
- M. BUTTERFLY
- Produktionsland
- USA
- Produktionsjahr
- 1993
- Produktionsfirma
- Geffen
- Regie
- David Cronenberg
- Buch
- David Henry Hwang
- Kamera
- Peter Suschitzky
- Musik
- Howard Shore
- Schnitt
- Ronald Sanders
- Darsteller
- Jeremy Irons (René Gallimard) · John Lone (Song Liling) · Barbara Sukowa (Jeanne Gallimard) · Ian Richardson (Botschafter Toulon) · Shizuko Hoshi (Genosse Chin)
- Länge
- 101 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert.
- Genre
- Drama | Literaturverfilmung
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Diskussion
Peking 1964: René Gallimard, Angehöriger der französischen Botschaft, nimmt an einem Abendempfang teil. Der kulturelle Aspekt wird mit Arien aus "Madame Butterfly" bestritten, dargeboten von der wunderschönen Peking-Oper-Sängerin Song Liling. Gallimard ist von der Frau fasziniert, lernt sie kennen und durch sie bereits am ersten Abend einiges über chinesische Wesens- und Denkungsart. Nach dem Besuch einer Peking-Oper, in deren Mittelpunkt Liling steht, ist Gallimard wie verzaubert. Er gewinnt das Vertrauen der Sängerin, wenig später ihre leidenschaftliche Liebe. Über die Affäre geht seine Ehe zu Bruch, und obwohl er seine Arbeit eher lustlos abwickelt, angefeindet von Kollegen, die seine Pedanterie hassen, erklimmt er mühelos die Karrierleiter. Bald ist er Vizekonsul und gibt katastrophale Einschätzungen der amerikanischen Vietnampolitik und der wirtschaftlichen Entwicklung Chinas zum Besten. Allerdings nicht nur in den Räumen der Botschaft, sondern auch in Anwesenheit seiner Geliebten, die diese "offiziellen" Verlautbarungen umgehend an einen Parteifunktionär weiterleitet. Die reine Liebe, die Gallimard ständig beschwört, ist von Spionage getrübt. Um diese "Liebe" noch zu festigen, schenkt Liling ihrem Konsul ein Kind: der geht nun ganz in seiner Beziehung auf.Doch die Kulturrevolution setzt eine schwerwiegende Zäsur. Rote Garden kontrollieren die Straßen: Intellektuelle und Künstler werden gedemütigt und öffentlich ausgestellt: das Kulturgut, hier am Bespiel der prachtvollen Peking-Oper-Kostüme, wird ein Opfer der Flammen. Wenig später wird Liling zur Zwangsarbeit aufs Land verschleppt, sie soll endlich einmal eine dem Volkswohl nützliche Arbeit leisten. Dann werden die Ausländer des Landes verwiesen.1968 sieht man Gallimard in Paris wieder. Er hat den diplomatischen Dienst quittiert und schlägt sich als Motorradbote im Dienste der Botschaft durch. Sein eigentliches Leben gilt jedoch der Trauer um Liling, den Verlust seiner Lebensmitte. Auf den Straßen proben die Studenten den Aufstand, schwenken rote Fahnen und verteilen ironischerweise Mao-Bibeln. Gallimard nimmt dies alles nur benommen wahr. Das ändert sich, als eine Tages Liling vor seiner Tür steht. Er schließt die endlich Heimgekehrte glücklich in die Arme. Die Liebesidylle dauert noch bis 1972, eine Zeit, in der der Bote seiner Geliebten geheime Papiere zugänglich macht; dann werden beide als Spione verhaftet.Während der Gerichtsverhandlung wird sich Gallimard kaum der Tragweite seiner Handlungen bewußt, denn als Liling in den Saal geführt wird, muß er schlagartig erkennen, daß er sein Leben einem Ideal geopfert hat, einem Traum, an den er sich mit aller Macht geklammert hat. Während Liling abgeschoben wird, erlebt Gallimard im Gefängnis seine letzte "Madame Butterfly"-Aufführung, diesmal mit sich selbst in der Titelrolle. Er hat die Tragödie seines Lebens - in einer anderen Lesart könnte man die Geschichte auch eine Farce nennen - begriffen, hat begriffen, daß er nie um seiner selbst willen geliebt wurde, daß er eins der Opfer war, die keine Chance haben, die Tragweiten ihrer Handlung einzuschätzen.Auf den ersten Blick scheint "M. Butterfly" alles andere als ein Cronenberg-Film zu sein. Es fehlt der offen sichtbare, offenkundige, allgegenwärtige Horror, der auch noch - wenn auch in abgemildeter Form - in der Junkie-Geschichte "Naked Lunch" (fd 29 515) vorhanden war. Doch der innere Horror dieser Geschichte stellt sich zwischen den opulent gefilmten Bildern, in seinen detailgetreu nachgestellten Szenerien, bald wie von allein ein. Es wird rasch offensichtlich, wie jemand fremdbestimmt wird, sich seiner selbst entfremdet, sich selbst den sicheren Boden unter den Füßen entzieht und auf eine Liebe einläßt, für die es unter diesen vielen falschen Vorzeichen keine Hoffnung geben kann. Ein Mann lebt seinen Traum, seine Obsessionen, und läßt darüber sein Leben verkommen. Ein Spiel mit Ideen und Idealen, die mit der Wirklichkeit nicht in Einklang zu bringen sind; eine geschickt konstruierte und virtuos inszenierte Reflexion über den Gegensatz von Schein und Sein, und so gesehen ein lupenreiner Cronenberg-Film.Im Gegensatz zur Bühnenfassung des Erfolgsstücks, das sich an einen authentischen Fall anlehnt - die tatsächliche Gerichtsverhandlung fand 1986 statt -, treten im Film die politischen Aspekte in den Hintergrund, geben der Liebesaffäre und der Leidenschaft Raum. Das verschiebt nicht nur die Perspektive, sondern verstärkt den Eindruck des nachtwandlerischen Albtraums, den der tragische Filmheld durchlebt. Der ist mit Jeremy Irons nicht nur ideal besetzt, sondern vielleicht mit dem einzigen Schauspieler, der derzeit eine solche Rolle überzeugend spielen kann. Auch im Glück immer ein wenig traurig, nie ganz bei sich, aber gleichzeitig nicht wissend, wohin er soll: selbst wenn er mit einer Frau Zärtkeiten austauscht, wirkt er immer ein wenig allein. Ein Mensch, der sich irgendwie abgeschrieben hat und vielleicht deswegen so anfällig ist für große Träume und Verführungen. Besticht Jeremy Irons durch seine beständige Traurigkeit, so überzeugt John Lone, Bertoluccis "Letzter Kaiser"-Darsteller, durch seine ungeheuere Wandlungsfähigkeit.Ein rundum gelungener Film, in dem die einzelnen Filmhandwerkskünste - wunderbar aufeinander abgestimmt - ein überzeugendes Ganzes liefern, und in dem Cronenberg einmal mehr die schwierige Gratwanderung bewerkstelligt. mit einem seiner Filmhelden absolut böse umzuspringen und gleichzeitig Mitgefühl für diesen geschundenen Menschen zu signalisieren. Eine Denunziation findet nicht statt. eher wird das Ringen um Größe auch im Zustand scheinbar auswegloser Erniedrigung zelebriert.Ganz nebenbei und in ganz wenigen Szenen hat Cronenberg auch noch das Wesen der Kulturrevolution in wenigen Einstellungen auf die entscheidenden Punkte gebracht. Er sollte nun endgültig die vielerorts immer noch vorhandenen Ressentiments gegen den "kanadischen Trivial-Regisseur" widerlegt haben.