Solche Protagonisten wie „Die Friseuse“ Kathi König kennt man eher aus dem britischen Kino, aus Filmen wie „Happy-Go-Lucky“
(fd 38 794) oder „Irina Palm“
(fd 38 197): Figuren, die sich allen Widrigkeiten zum Trotz nicht unterkriegen und erst recht nicht in ihrer heillos positiven Lebensphilosophie beirren lassen. Der Schauplatz von „Die Friseuse“ ist jedoch Berlin-Marzahn und dessen gesichtsloser „Marktplatz“, das „Eastgate“-Einkaufszentrum. Hier soll die nach einer gescheiterten Ehe gerade wieder nach Berlin zurückgekehrte, allein erziehende Kathi einen neuen Job antreten. Telefonisch ist ihr die Stelle quasi schon zugesagt, das Vorstellungsgespräch „reine Formsache“. Tatsächlich geht es dann um die Form, allerdings anders, als Kathi das erwartet hätte: „Der Friseurberuf ist ein ästhetischer Beruf. Und Sie, Sie sind nicht ästhetisch“, kanzelt Salonchefin Krieger die extrem dicke Bewerberin ab. Diese Demütigung schluckt Kathi – wie immer – herunter, macht gute Miene zum bösen Spiel und beschließt kurzerhand, ihren eigenen Salon zu gründen. So beginnt eine Odyssee zwischen Arbeitsamt, Banken und Existenzgründerberatung. Nichts kann ihren Tatendrang bremsen, weder ihre pubertierende Tochter, die sich ein bisschen für die Mutter schämt, noch die ewigen Blicke der Passanten auf ihr ungewöhnliches, mit bunter Strähnchenfrisur, hautengen Kleidern und klobigen Ohrringen noch betontes Äußeres: „Freundlichkeit und gute Laune ist das halbe Leben, sag ick immer“, lautet einer ihrer Sprüche. Um das Startkapital für den Laden zusammenzubekommen, bietet sie einen mobilen Haarschneideservice für Altenheime an, schwarz natürlich – bis eine der Kundinnen unter der Trockenhaube dahinscheidet und alles auffliegt. Kathi wäre aber nicht Kathi, wenn sie nicht schon bald die nächste Geldbeschaffungsmaßnahme an der Hand hätte, diesmal eine ganze Spur krimineller, als Handlangerin eines Schleusers. Weshalb kurze Zeit später ein knappes Dutzend Vietnamesen in Kathis Wohnung logieren, auf der Flucht vor der Polizei.
Natürlich ist hier vieles dick aufgetragen, manches allzu dick. Zum Beispiel die Leibesfülle der Protagonistin: Das „Fatsuit“ unterm Kleid sieht man der Hauptdarstellerin Gabriela Maria Schmeide mitunter regelrecht an; die Story hätte auch mit ein paar Kilos weniger funktioniert. Völlig entbehrlich wäre es auch gewesen, dass der dicken, geschiedenen, allein erziehenden und arbeitslosen Frau am Ende auch noch Multiple Sklerose angedichtet wird – ein überflüssiger Versuch, die Fallhöhe der Titelfigur zu steigern, der denn auch folgenlos verpufft. Abgesehen von solchen Ausreißern ist „Die Friseuse“ aber ein so fröhlicher, ernsthafter, melancholischer und witziger Film über das Dasein jenseits des Durchschnitts geworden, dass man sich unwillkürlich fragt, warum man die Genrezuschreibung der Sozialkomödie eigentlich immer nur dann verwenden kann, wenn es ums britische Kino geht.
Dass „Die Friseuse“ funktioniert, hat vor allem zwei Gründe: Das Drehbuch von Laila Stieler und das Spiel von Gabriela Maria Schmeide. Stieler legt ihrer Protagonistin, für die eine reale Berliner Friseuse Pate stand, wunderbare sprachliche Marotten und schlagfertige Kommentare in den Mund, vergisst aber auch die Traurigkeit zwischen den scheinbar so abgeklärten Zeilen nicht. Und Schmeide spielt diese Vorlage so, dass die extravagante Figur zu echtem Leben erwacht: in genau der richtigen Mischung aus angeborener Berliner Schnodderschnauze, betont guter Laune und nur mäßig versteckter innerer Verletztheit. In ihrem Spiel wird der ständige Kampf spürbar, den es gerade für einen „bunten Hund“ wie sie bedeutet, sich den positiven Blick aufs Leben zu bewahren – obwohl doch immer klar ist, dass sie sich ihren Schneid von niemandem abkaufen lässt, ist der doch integraler Bestandteil ihrer Selbstachtung.
Nicht ganz so trittsicher ist hingegen die Inszenierung von Doris Dörrie, die in einigen wenigen Szenen Gefahr läuft, das Anliegen des Films zu konterkarieren, wenn etwa Kathi allzu explizit Wurstscheiben und Pizza in sich hineinfuttert oder ihre (nackte) Leibesfülle ausführlich in Szene gesetzt wird. In solchen Momenten schrammt der Film haarscharf an einer karikaturhaften Überzeichnung vorbei, wo er doch zuvor längst bewiesen hat, dass er warmherzig und zutiefst menschlich vom Leben einer Außenseiterin zu erzählen weiß, ohne deren gewöhnungsbedürftige Seiten zu ignorieren. Im nächsten Augenblick besticht Dörries Regie dann jedoch wieder durch beiläufig eingestreute Details, das sich verändernde Outfit von Tochter Julia etwa, über das hier ein Teil des Generationenkonflikts transportiert wird. Erfreulich ist zudem, dass der Film nicht jede Möglichkeit zur dramatischen Zuspitzung nutzt, sondern die Sache hin und wieder, etwa wenn es um die von der Mutter „geborgten“ Ersparnisse der Tochter geht, auch einfach mal gut ausgehen lässt. Ein in vielerlei Hinsicht gewagter Film mit einer extremen Hauptfigur, der gängigen Sehgewohnheiten zuwiderläuft und ein tristes Schicksal als Komödie erzählt: Wie schön, dass dieser Balanceakt – trotz kleinerer Stolperer – gelungen ist!