Ein Blick ins Gesicht eines Mannes. Zwei andere Männer in einer parkenden Luxuslimousine. Sie tauschen kurze, präzis informierende Sätze aus; es geht um eine Bank und um Raketen. Im Hintergrund ist die Silhouette des Berliner Hauptbahnhofs erkennbar. Konspirativ wirkt die Atmosphäre von Anfang an. Einer der beiden steigt aus und telefoniert, geht zur Straße – und bricht dort unvermittelt zusammen. Ein Dritter, der ihn von fern beobachtet hat, eilt hinzu, kommt zu spät, wird dabei noch von einem Fahrradkurier über den Haufen gefahren.
Diese ersten Minuten von „The International“ sind bereits ein Meisterstück jener dichten, präzisen, nie beliebigen, von ruhiger, klarer Hand geprägten Inszenierungskunst des Regisseurs Tom Tykwer. Es ist einfach ein kleiner unscheinbarer Mord, der auch zu einem Fernsehkrimi passen würde, hier aber die Ouvertüre bildet zu großem Kino, zu einem zeitgemäßen, dabei fast bescheiden anmutenden Thriller zwischen Anti-Globalisierungsthematik und Paranoia-Erfahrung.
Die Szene führt vor, was Tykwer den ganzen Film über souverän durchhält: So weit es irgend geht, ist dies ein Film, in dem dem Zuschauer trotz komplizierter Zusammenhänge im Hintergrund alles, was er wissen muss, gezeigt und nicht durch Dialoge erzählt bekommt. So folgt man mal den Blicken der Figuren, dann wieder blickt man auf sie, und der Bildwechsel stellt Zusammenhänge und intuitives Verständnis her. Als die Hauptfigur zum Beispiel später bei der Rekonstruktion eines Mordanschlags erkennt, dass es einen zweiten Schützen gab, erhält man zunächst nicht ein einziges Wort der Erklärung – nur unmissverständliche Handgriffe und die Blicke der Kamera.
Was diesen Film trotz seines Genres und obwohl er teilweise in den USA spielt, so europäisch anmuten lässt, ist die Ökonomie seiner Mittel. Fast immer sind die Schauplätze exakt in unserer Wirklichkeit verankert, integrieren auffällig klug ihre Architektur in die Handlung. Auch Tykwer haut gelegentlich auf den Putz, genießt es, beim furiosen Actionhöhepunkt des Films – einer viele Minuten langen Schießerei, die den ganzen riesigen Raum des New Yorker Guggenheim-Museum einbezieht – Körper massenhaft durch den Raum zu bewegen, die an der Wand hängende Kunst (eigens für den Film hergestellte Videoinstallationen von Julian Rosefeldt) ebenso im Dutzend zerschießen zu lassen wie das legendäre Gebäude erheblich zu zerstören. Doch der Film bleibt dabei immer angenehm auf dem Boden. Die Szenen wirken bei aller Übertreibung realistisch und dienen der Geschichte; man erlebt nie das, was das neuere Actionkino oft zu einer so anstrengenden und letztendlich enttäuschenden Erfahrung macht: dass man als Zuschauer den Überblick verliert, und zum Objekt einer Achternbahnfahrt aus Schnittgewittern und Perspektivwechseln degradiert wird.
„The International“, umgesetzt mit Tom Tykwers Stammteam (Kamera: Frank Griebe; Schnitt: Mathilde Bonnefoy), hat erkennbar andere Ziele: Dies ist ein Film, in dem sich Form und Inhalt entsprechen, er ist Bewegungskino, Kinetik pur, ohne deswegen kein Reflexionskino mehr zu sein. Ein Film, der sich in unterhaltsamer Form mit ernsthaften Anliegen beschäftigt und dabei provokative Thesen entwickelt. Dies ist, endlich einmal, ein Anti-Globalisierungsthriller, der diesen Namen auch verdient. Im Zentrum steht ein einsamer Interpol-Ermittler, der die Verbindung von Mafia-Geldern, Finanzmarkt, Banken und Waffenhandel untersucht. Es geht um Schurken in Nadelstreifen, die Machenschaften eines fiktiven, aber an reale Vorbilder angelehnten Unternehmens, der „fünftgrößten Privatbank der Welt“. Sie dealt mit Waffen und initiiert in afrikanischen Ländern Konflikte und Regimewechsel. „Es geht um Kontrolle“, erklärt im Film einmal ein italienischer Politiker und Waffenhändler bündig: „Eine Bank will Schulden kontrollieren. Wer den Konflikt finanziert, kontrolliert die Schulden. Das ist das Wesen des Bankgeschäfts: Uns alle zu Sklaven der Schulden zu machen.“ Drehbuch und Regie sind immer bemüht, hinter den Individuen ein System zu zeigen, das sich von Personen längst unabhängig gemacht hat. In all dem erinnert Tykwers Film an die besten Traditionen des europäischen Politthrillers, an Filmemacher wie Francesco Rosi, Damiano Damiani, Henri Verneuil und Jean-Pierre Melville – mit einem Hauch von Hitchcock, dessen Filme allerdings deutlich mehr Humor hatten. Er erinnert auch an einige der großen Paranoia-Thriller des New-Hollywood-Kinos, allen voran an Sidney Pollacks „Die drei Tage des Condor“
(fd 19 592). Das gilt auch für die Machart: Elegant, zurückhaltend, gewissermaßen altmodisch inszeniert, lebt der Film vom perfekten Tempo-Management und vom Beobachten der Beobachter. Auch moralisch-politisch: Das Weltbild ist pessimistisch, Gerechtigkeit, heißt es, sei eine Illusion: „Wenn Sie der Bank das Handwerk legen wollen, gelingt ihnen das nicht innerhalb der Grenzen ihres Rechtssystems. Es wird immer Kollateralschäden geben.“ So führt der Film auch einen aktuellen Diskurs über die Zweifel am Justizsystem und an Institutionen. Dabei kann man ihn so lesen, als erkenne er Gewalt auch jenseits des Rechts als letztes Mittel an und spekuliere zumindest mit der klammheimlichen Freude des Betrachters an der Selbstjustiz. Andererseits stellt sich „The International“ aber auch der existenziellen Einsicht, dass keiner ganz ohne Schuld ist, auch der Held nicht.
„The International“ macht einen stilistischen wie inhaltlichen Reifeprozess seines Regisseurs sichtbar: Tom Tykwer verzichtet diesmal auf die Manierismen früherer Werke. Zugleich knüpft der Film an die Energie Tykwers Autorenfilme der 1990er-Jahre an. Man spürt, mehr als zuletzt in „Heaven“
(fd 35 285) und „Das Parfum“
(fd 37 785) dass dieser Stoff für Tykwer ein Anliegen ist, das erkennbare Leidenschaft entfesselt – die beste Voraussetzung für einen glaubwürdigen, integren Film, der Genre und Autorenkino auf der Höhe der Zeit verbindet.