- | Rumänien/Frankreich 2006 | 85 Minuten

Regie: Tudor Giurgiu

Moderne Liebesgeschichte aus dem heutigen, postkommunistischen Rumänien, die fotografisch und narrativ mit sparsamen Mitteln auskommt, sich formal in die Tradition der "Nouvelle Vague" stellen lässt, im Herzen aber zutiefst romantisch ist. In unprätentiösen Bildern folgt der Film einer schüchternen, aber auch zielstrebigen Studentin in Bukarest, die sich in eine extrovierte junge Frau verliebt. "Coming Out" und "Outing" spielen in der einfühlsam inszenierten Liebesgeschichte kaum eine Rolle; vielmehr entwickelt sich das Thema gänzlich unaufgeregt als Konflikt zwischen träumerischer, weltabgewandter Romantik und lebensbejahender Sozialverträglichkeit.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
LEGATURI BOLNAVICIOASE
Produktionsland
Rumänien/Frankreich
Produktionsjahr
2006
Produktionsfirma
Libra Film
Regie
Tudor Giurgiu
Buch
Cecilia Stefanescu · Razvan Radulescu
Kamera
Alexandru Sterian
Musik
Valicu Golcea
Schnitt
Alexandru Radu
Darsteller
Maria Popistasu (Kiki) · Ioana Barbu (Alex) · Tudor Chirila (Sandu) · Catalina Murgea (Frau Benes) · Mircea Diaconu (Herr Dragnea)
Länge
85 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12
Externe Links
IMDb | TMDB | JustWatch

Heimkino

Verleih DVD
GMfilms (16:9, 1.78:1, DD2.0 rumän.)
DVD kaufen

Diskussion
Wer beim Stichwort „romantisches Kino“ gleich an „Romanzen“ denkt, liegt zumindest in Hollywood oft richtig. Doch es geht auch anders. Der rumänische Regisseur Tudor Giurgiu erzählt in „Love Sick“ eine moderne Liebesgeschichte aus dem heutigen, postkommunistischen Rumänien, die fotografisch und narrativ mit sparsamen Mitteln auskommt, sich formal in die Tradition der „Nouvelle Vague“ stellen lässt, im Herzen aber als zutiefst romantisch ist. In unprätentiösen Bildern folgt der Film der schüchternen, aber auch zielstrebigen Alex, die zum Studieren vom Land nach Bukarest zieht, wo sie die extrovertierte Kiki kennen lernt. Schnell freunden sich die beiden jungen Frauen an, und fast so ebenso schnell werden sie ein Liebespaar. „Coming Out“ und „Outing“ spielen in dieser einfühlsam inszenierten Liebesgeschichte kaum eine Rolle. Alex quält sich nicht mit ihrer neu entdeckten Homosexualität, auch wenn sie vor ihren Eltern zunächst noch ein Geheimnis daraus macht. Eine beispielhafte lesbische Liebe soll hier nicht durchexerziert werden. Dieser Verzicht auf Allgemeingültigkeit schafft Freiräume für eine individuelle, ganz persönliche Geschichte. Es ist nicht die Neigung, es sind die Charaktere, die der Handlung die Richtung geben. Anfangs scheinen Alex und Kiki wie geschaffen füreinander. Beide schwärmen für französische Literatur; besonders den großen Romantiker Francois-René de Chateaubriand. Auch in ihren Temperamenten scheinen sie sich wunderbar zu ergänzen. Während die zurückhaltende Alex der wilden Kiki Halt gibt, macht Kiki Alex Mut, auch einmal von der Norm abzuweichen und zu neuen Ufern aufzubrechen. Dieses harmonische Gleichgewicht gerät jedoch durch Kikis Beziehung zu ihrem Bruder Sandu ins Wanken. Kiki liebt Sandu nicht nur wie einen Bruder. Beide verbindet ein romantisch überhöhtes, inzestuöses Verhältnis, das letztlich keinen Platz für andere lässt. Kikis Versuch, sich mit Hilfe von Alex aus dieser wechselseitigen Abhängigkeit zu befreien, scheitert an ihrer eigenen Inkonsequenz und an Sandus Hartnäckigkeit. Was reichlich Stoff für einen schlüpfrigen Skandalstreifen oder eine Seifenoper über „verbotene Liebe“ liefern könnte, inszeniert Giurgiu gänzlich unaufgeregt als Konflikt zwischen träumerischer, weltabgewandter Romantik und lebensbejahender Sozialverträglichkeit. Aus mitteleuropäischer Perspektive liegt es nahe, dieses Dilemma, in dem Kiki zwischen Wunschfantasien und Wirklichkeit gefangen scheint, auf das Land zu übertragen, in dem die Geschichte von Kiki und Alex spielt. Tatsächlich scheint sich Rumänien ähnlich wie Kiki von den Fesseln der eigenen Vergangenheit befreien zu müssen. Um emanzipiert und selbstbewusst eigene Wege gehen zu können, gilt es, sich aus manch „geschwisterlicher“ Umarmung zu lösen. Der Inzest lässt sich so zur Chiffre für Korruption, alte Seilschaften und mafiose Strukturen ausdehnen. Doch diese sozialhistorische Last sollte man Giurgius liebenswert leicht erzähltem Film nicht aufbürden. Charakteristisch sind eher die poetisch fotografierten Momente, in denen sich die beiden verliebten Mädchen nach einem Streit im Park auf eine Wolldecke legen und sich unterm Sternenhimmel versöhnen, in ihrem Studentenzimmer auf dem Bett Ohrlöcher stechen oder im Kino die Augen schließen. „Love Sick“ ist ein kleiner Film über eine große Liebe, der romantisch erscheint, weil er sich den tabuisierten Nachtseiten der menschlichen Seele zuwendet, und modern ist, weil er dies ganz selbstverständlich, unpathetisch und vorurteilsfrei tut. Es ist kein Film über lesbische Liebe, kein Film über Rumänien, kein Film über Inzest; es ist ein Film über zwei Menschen, ihre Sehnsüchte, Ängste und über ihre Liebe. Dieser intime, lebensechte Blickwinkel macht „Love Sick“ dann doch wieder exemplarisch.
Kommentar verfassen

Kommentieren