- | Deutschland 2006 | 97 Minuten

Regie: Franziska Stünkel

Ein überlasteter, kurz vor dem Kollaps stehender Star-Architekt flüchtet sich in den Auftrag, auf einer geheimen Insel eine "Stadt der Zukunft" mitzuentwerfen. Was als beklemmender dystopischer Thriller beginnt, der vor den falschen Zukunftsvisionen einer modernen Gesellschaft warnt, mündet in ein visuell reizvolles, sinnbildlich suggestives Vexierspiel um die Grenzen von selbst- und fremdbestimmtem Handeln, um (Selbst-)Kontrolle und Kontrollverlust. - Ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2006
Produktionsfirma
Kaminski.Stiehm.Film/Jumping Horse Film/Creado Film/NDR
Regie
Franziska Stünkel
Buch
Franziska Stünkel
Kamera
Carsten Thiele
Musik
Ingo L. Frenzel
Schnitt
Sarah Clara Weber
Darsteller
Peter Lohmeyer (Sebastian Färber) · Ulrich Matthes (Dr. Leonhard) · Susanne Wolff (Nina) · Matthias Brandt (Montag) · Justus von Dohnányi (Born)
Länge
97 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.

Diskussion
Der Sage nach war Vineta eine rätselhafte Stadt, irgendwo an der südlichen Ostseeküste, die bei einem Sturmhochwasser unterging. Grund dafür waren der moralische Verfall der Stadt, der Hochmut und die Verschwendung der Bewohner, die sich auch von Warnungen nicht zu Einkehr und Demut bewegen ließen. In Franziska Stünkels erstem Kinofilm ist Vineta nun eine Insel im baltischen Meer, die einst militärisches Sperrgebiet war und von der Bundesregierung gekauft wurde, um dort ein streng geheimes Experiment durchzuführen: Kann man eine Stadt entwerfen, die absolut sicher und doch menschenfreundlich ist? Komplett überwacht und kontrolliert, und doch sinnlich und urban, Vertrauen schaffend und nicht despotisch? Einer der Spezialisten, die eingeladen werden, um unter kompletter Abschirmung von der Außenwelt an diesem Projekt mitzuarbeiten, ist der berühmte und gefeierte Architekt Sebastian Färber, eine Koryphäe in seinem Beruf, ein manisch Suchender im Umgang mit seinen Materialien, vor allem mit Wasser, der freilich durch seine berufliche Überlastung kurz vor dem Kollaps steht. Zwischen fieberhafter Arbeit für einen wichtigen Auftrag, Preisverleihung und den ersten Anzeichen seines Zusammenbruchs will er die Warnungen seiner Tochter, die als Pflegerin im Zoo arbeitet, nicht wahrnehmen, flüchtet regelrecht in das Angebot des „Vineta“-Projektleiters Dr. Leonhard und reist überstürzt auf die geheimnisvolle Insel. Bald schon wird Färber im Rahmen des kleinen Teams seinerseits zum Warner und Mahner: Das angedachte Projekt einer „Stadt der Zukunft“ sei tiefstes Mittelalter, eine hoch gerüstete Festung gegen den Feind, ein Entwurf, der nur eines bewirke, nämlich dass er die Angst der Bürger schürt. Dr. Leonhard scheint auf Färbers Bedenken einzugehen, signalisiert Verständnis und bestärkt ihn darin, glaubwürdige Gegenentwürfe zu konzipieren. Stets an der Grenze zum endgültigen Zusammenbruch, stürzt sich Färber in die Arbeit, wobei ihm nur allmählich Unstimmigkeiten auffallen: die tiefe Angst eines Kollegen, der bald eines mysteriösen Todes zu sterben scheint, uneingelöste Versprechen und fadenscheinige Taktiken, die komplette Überwachung aller Mitarbeiter, die wie Gefangene und nicht wie Forscher behandelt werden. Irgendetwas stimmt nicht auf Vineta – oder müsste man ganz anders fragen: Stimmt etwas nicht mit Sebastian Färber? „Vineta“ erscheint lange Zeit als beklemmender dystopischer Thriller, der vor einer modernen Gesellschaft warnt, die sich durch eine von den Menschen entfremdete Zukunftsvision in eine moralische Sackgasse manövriert. Die zahlreich in diese Richtung weisenden Handlungsfäden scheinen aber nicht ausschließlich auf das pessimistische Zukunftsbild hinauszulaufen; dafür gibt es noch zu viele andere verschlüsselte, lange Zeit auch unerklärliche Bild- und Ton-Hinweise, die sich in Fetzen und Signalen als beharrlicher Subtext in die Primärhandlung hineinfräsen. In dem Maße, wie Sebastian Färber auf dem schmalen Grat zwischen selbst- und fremdbestimmtem Handeln die Kontrolle über das Projekt, vor allem aber die Kontrolle über seinen Körper sowie seine sieben Sinne verliert, drängt sich der Verdacht auf, dass Färber da in ein makabres Spiel geraten ist, dessen Regeln er nicht kennt. Ähnlich wie Alfred Hitchcocks „Unsichtbarer Dritter“ scheint er selbst Proband in einem Experiment, dem er nicht entrinnen kann – oder ihm erst in dem Moment entrinnt, in dem er es durchschaut. Auch der Zuschauer weiß nicht mehr als Färber, spekuliert über dieses Psycho-Spiel, das Färber zum tragischen Helden werden lässt. Geschickt, selbstbewusst und auch mit inszenatorischem Mut, die starren Vorgaben des Theaterstücks von Moritz Rinke („Republik Vineta“) filmisch aufzubrechen, entwickelt die Regisseurin ein reizvolles Vexierbild aus assoziativen visuellen Einschüben, farblichen Verfremdungen und düsteren (Kino-)Sinnbildern, in die sich immer wieder auch Impressionen eines prächtigen roten Flamingo-Schwarms einschieben – einer der Flamingos aber will nicht ins (Zoo-)Freigehege und kehrt freiwillig in die kalte, gekachelte (Keller-)Welt zurück, um dort still und für Beobachter unerwartet zu sterben. Das ist ebenso stimmungsvoll-melancholisch wie sinnbildlich-suggestiv und verdichtet sich im Einklang mit den guten Darstellern zum spannenden „Kunst-Film“ mit konsequenter Überraschungsdramaturgie, die thematisch an David Finchers Thriller „The Game“ (fd 32 845) erinnert – wobei „Vineta“ am Ende wohltuender Weise offener, weniger eindeutig und dabei auch skeptischer bleibt.
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