In einer mexikanischen Stadt werden Frauen aus nördlichen Industriestaaten, die ein Baby adoptieren wollen, nicht nur mit administrativen Schwierigkeiten, sondern auch mit der Lebenssituation der Einheimischen konfrontiert. Im Mittelpunkt stehen die Gäste und das Personal eines Hotels, in dem die adoptionswilligen Frauen untergebracht sind. Der auf dramatische Zuspitzungen verzichtende Ensemble-Film beobachtet mit dokumentarischem Gestus die psychologischen und sozialen Verwerfungen und enthüllt differenziert die Situation Einzelner innerhalb des fatalen Gefälles zwischen Reich und Arm.
- Ab 14.
Casa de los babys
Drama | USA/Mexiko 2003 | 95 Minuten
Regie: John Sayles
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Filmdaten
- Originaltitel
- CASA DE LOS BABYS
- Produktionsland
- USA/Mexiko
- Produktionsjahr
- 2003
- Produktionsfirma
- Blue Magic/Springall
- Regie
- John Sayles
- Buch
- John Sayles
- Kamera
- Mauricio Rubinstein
- Musik
- Mason Daring
- Schnitt
- John Sayles
- Darsteller
- Angelina Peláez (Doña Mercedes) · Daryl Hannah (Skipper) · Lili Taylor (Leslie) · Marcia Gay Harden (Nan) · Mary Steenburgen (Gayle)
- Länge
- 95 Minuten
- Kinostart
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- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14.
- Genre
- Drama
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Diskussion
Der Film beginnt mit bildschönen Babyaufnahmen; eines der Kinder schläft im Gitterbettchen, ein anderes krabbelt auf dem Boden. Im Hintergrund singt eine Frauenstimme das lateinamerikanische Schlaflied „Duerme, duerme negrito“ –„Schlaf, mein Negerchen“: Die Mutter, so das Lied, arbeitet hart auf dem Feld und bringt dem Kind zu essen; sollte der Kleine aber nicht einschlafen, käme der weiße Teufel und würde ihm ein Beinchen abbeißen. Während Doña Mercedes, die alte Kinderfrau, ein Baby in den Schlaf singt und die hilflose junge Nonne eher Schwierigkeiten mit den schreienden Kleinen im Strampelkleidchen hat, warten weiße Frauen darauf, dass sie endlich eines der Babys mitnehmen können. Sie warten auf den Bescheid der mexikanischen Behörden, auf die Bewilligung ihres Adoptionsantrages. Untergebracht sind sie in einem Hotel, das im Volksmund „Casa de los babys“ heißt, „Babyhaus“. Denn die Frauen warten Wochen und Monate und leben in den Tag hinein. Eine joggt am Strand, andere trinken Mojito oder tropische Cocktails oder einfach nur Wasser wie die religiöse Frau, die bei den anonymen Alkoholikern ist. Die raubeinige Nancy ist die Anführerin der Truppe. Bei den Einheimischen ist sie wegen ihrer ständigen Beschwerden verhasst, aber auch ihren Landsleuten ist sie suspekt wegen ihrer unterschiedlichen Geschichten über ihre Ehe und die Lebensverhältnisse in ihrem Heimatort. Sie steckt voller Geheimnisse.
„Casa de los babys“ zeigt den Zusammenstoß zwischen den Kulturen, oder besser: ein knirschendes Aneinanderreiben. Da sind auf der einen Seite die mehr oder minder reifen Frauen aus dem reichen Norden; diesen stehen zahllose schwangere Minderjährige oder minderjährige Mütter gegenüber. Selbst eigentlich noch Kinder, haben sie ihre Babys zur Adoption freigegeben und träumen als Zimmermädchen oder Putzfrauen vom sozialen Aufstieg. Die wartenden weißen Frauen an der Babystation sind für sie ein Fenster in eine scheinbar sorgenfreie Welt. Aber auch diese zählen ihre Dollarscheine, denn ihre Geldquellen sind nicht unerschöpflich. Die Abwesenheit der Ehemänner oder Lebenspartner lässt das verweigerte Muttersein fast wie einen einsamen, obsessiven Wunsch erscheinen.
Einmal mehr denunziert der Regisseur John Sayles keine seine Figuren, gibt aber auch keine Antworten; er nimmt wahr und zeigt psychologische und materielle Nöte mit fast dokumentarischem, lakonischem Duktus. Ohne falsche Sensationsgier und nahezu unspektakulär entwirft er mit zahlreichen Nebenfiguren einen exemplarischen Mikrokosmos des Nord-Süd-Gefälles: Da ist der Straßenjunge, der sich von Gelegenheitsjobs und Diebstählen ernährt und von einer der weißen Frauen ein Kinderbuch geschenkt bekommt. Die Hotelbesitzerin verdient gut an den Ausländerinnen, verachtet sie aber und ist über ihrer eigenen Ehe verbittert geworden. Der örtliche Anwalt, der Bruder der Hotelbesitzerin, wird von einer der Frauen bestochen. Ein falscher Reiseführer will aus dem Land heraus, verfügt aber nicht über das nötige Geld für die falschen Papiere. Der Sohn der Hotelbesitzerin war wegen politischer Aktivitäten in Haft und bedient die weißen Frauen nur widerwillig. Für ihn sind sie nicht mehr als reiche Imperialisten, die die Kinder der Armen rauben wollen. Deutlich wird auch die Sprachlosigkeit zwischen den Frauen aus dem Norden und den Frauen aus dem Süden. Eine verzweifelte Irin erzählt dem Zimmermädchen von ihren Nöten und Zweifeln, aber die junge Frau versteht kein Englisch und erzählt der jungen Irin ihrerseits von ihrer Tochter Esmeralda, die sie vor Jahren zur Adoption freigegeben hat. „Ich habe nichts verstanden“, sagt ihr die Irin traurig, spürt aber, dass etwas Wichtiges gesagt wurde.
Man ahnt das explosive Potenzial hinter der scheinbaren Alltagsroutine, aber nichts passiert. Die Adoptionswünsche der Frauen und die unehelichen Kinder der Minderjährigen führen nur numerisch zum Ausgleich. Die Adoption von Kindern aus der „Dritten Welt“ durch Eltern aus der „Ersten Welt“ enthüllt über die emotionale Situation des Einzelnen das ganze fatale Geflecht zwischen Wohlstand und Armut, Überbevölkerung und Geburtenrückgang. Auch wenn der Film für zwei der Frauen ein „Happy End“ bereit hält und sie endlich die heiß ersehnten Babys ausgehändigt bekommen, wirkt das eher beklemmend. Am Ende friert das Bild ein. Wer weiß, welche Zukunft die beiden mexikanischen Babys im Norden erwartet.
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