Goyas Geister

Historienfilm | Spanien/USA 2006 | 114 Minuten

Regie: Milos Forman

Ein Mönch soll im Auftrag der Inquisition den berühmten spanischen Hofmaler Goya wegen vermeintlicher Blasphemien beobachten. Doch statt des Künstlers gerät eine schöne Kaufmannstochter in die Fänge des Klerikers, wird von ihm missbraucht und in den Kerker geworfen. Jahre später hat der Mönch in Frankreich dem Glauben entsagt, kommt als Besatzer nach Spanien zurück, wird aber von seiner Vergangenheit eingeholt. Solide, aber mitunter ziellos inszeniertes biografisches Historiengemälde, das der Titelfigur nur wenig Handlungsspielraum zubilligt. Teils brillant gespielt, verliert sich der Film oft in den Erzählkonventionen eines Kostümfilms. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
GOYA'S GHOSTS | LOS FANTASMAS DE GOYA
Produktionsland
Spanien/USA
Produktionsjahr
2006
Produktionsfirma
Kanzaman/Xuxa Prod./The Saul Zaentz Company
Regie
Milos Forman
Buch
Jean-Claude Carrière · Milos Forman
Kamera
Javier Aguirresarobe
Musik
José Nieto
Schnitt
Adam Boone
Darsteller
Javier Bardem (Bruder Lorenzo) · Natalie Portman (Alicia) · Stellan Skarsgård (Francisco Goya) · Randy Quaid (Karl IV.) · Michael Lonsdale (Großinquisitor)
Länge
114 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Historienfilm
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Heimkino

Verleih DVD
Universum (1:1,85/16:9/Deutsch DD 5.1/Engl.)
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Diskussion
Die Szene ist eindrücklich und dicht: Eine Gruppe von Geistlichen tagt bei Kerzenschein im Saal des Großinquisitors Gregorio. Die Stimmung ist gereizt, ist doch der Fall, der die Zusammenkunft provozierte, schwer und folgenreich. Es geht um Francisco José de Goya y Lucientes, angesehener Hofmaler von König Karl IV. und hohe Persönlichkeit am spanischen Hof. Gleichwohl sind seine Druckgrafiken und Miniaturen, die dem Kreis zur Beanstandung vorliegen, obszön, voller Grausamkeit, ja sogar blasphemisch. Reichen sie aus, um den Maler, der gerade an einem Porträt der Königin arbeitet, der heiligen Inquisition zu überantworten? Oder sind die anstößigen Bilder nur ein Spiegel ihrer Entstehungszeit, in der sich Recht, Ordnung und Gottesfürchtigkeit im Zustand der Auflösung befinden? In Bruder Lorenzo, der eine harte Linie verfolgt, hat Goya überraschend einen Fürsprecher gefunden. Mit dem Versprechen, den gärenden Sündenpfuhl zu reinigen und ein gerechtes, im Zweifel unbarmherziges Auge auf Goya zu werfen, wird der charismatische Würdenträger von Gregorio beauftragt, dem Laster in Madrid ein Ende zu bereiten. Die Konstruktion dieses verheißungsvollen Prologs erinnert an den Beginn von „Amadeus“ (fd 24 828), als sich der greise, dem Wahn nahe Salieri im schmutzigen Sanatoriumsverlies anschickt, die Geschichte seines Todfeindes Mozart zu erzählen. Nun scheint sich Milos Forman auf diese erzählerischen Stilmittel zu besinnen, auf jene Kunst des großen Sittenbildes, das sich um einen bedeutenden Kunstschaffenden rankt und ebenso spannend wie geschickt mit der Kulturgeschichte spielt. Doch schon bald nach dem Prolog von „Goyas Geister“ stellt sich Ernüchterung ein. Als wolle Forman für einen Moment innehalten, wechselt die Geschichte ihr Zentrum: In einer miesen Kaschemme beobachtet Lorenzo ein schönes Mädchen, das sich scheinbar angewidert von einem Ferkelbraten abwendet. Als hätte der Regisseur plötzlich eine viel interessantere Geschichte als die bereits häufig filmisch aufgearbeitete Vita des Malers entdeckt, schwenkt der Blick auf Inés Bilbatua und den Mönch, auf dessen Geheiß die Tochter des wohlhabenden Kaufmanns Tomás Bilbatua einer hochnotpeinlichen Befragung zugeführt wird. Am Ende der Folter folgt das Geständnis, jüdischen Praktiken gefrönt zu haben, was den Tod in den „reinigenden“ Flammen zur Folge haben würde, falls nicht noch ein großzügiger Ablasshandel hilft, der der Kirche den Erhalt eines Gotteshauses sichern soll. Der durchtriebene Mönch, der sich Inés als Fürsprecher nähert, obwohl er ihr Schicksal besiegelt, vergewaltigt die Wehrlose im Kerker – und bedauert gegenüber der Familie seine Machtlosigkeit. In diesem Mittelteil wird der eigentliche Hauptdarsteller zur Randfigur. Als halbherziger Chronist nimmt er eine neutrale Mittlerstellung zwischen den Bilbatuas und Lorenzo ein. Während sich beide Kontrahenten bis aufs Blut bekämpfen, sieht man den Maler hier und da verschreckt an der Essenstafel sitzen oder Porträts der Protagonisten malen. Will Forman hier das Bild eines berühmten Malers zeichnen, der in Wahrheit ein rückgratloser Opportunist war? Die Jahre ziehen ins Land. Inés Bilbatua verkümmert in den Kerkern der Inquisition, Lorenzo ist inzwischen bei Gregorio in Ungnade gefallen und nach Frankreich geflüchtet. Goya malt. Da ändert sich die politische Großwetterlage. Napoleon besetzt Spanien, und in seiner Gefolgschaft ist es ausgerechnet der verfolgte Lorenzo, der die Inquisition abschafft, die Verurteilten befreit und den Klerus richtet. Nun trifft er auch den inzwischen taub gewordenen Freund Goya wieder, der ihm von Inés erzählt, die zwar gebrochen ist, aber lebt. Monate nach Lorenzos Flucht gebar sie eine Tochter, die seither unerkannt auf den Straßen Madrids ein zwielichtiges Auskommen gefunden hat. Betroffen macht sich der inzwischen verheiratete Lorenzo daran, die Spuren der Vergangenheit zu tilgen. Es bleibt das Problem des Films, dass er sich bis zum Ende nur wenig für seine Hauptperson interessiert. Auch im zweiten Teil ist Goya lediglich eine Randfigur, die immer dann ins Zentrum rückt, wenn es gilt, einprägsame Tableaus zu inszenieren, etwa jenes berühmte Selbstbildnis, auf dem Goya mit einem Kerzenkranz auf dem Kopf seiner Arbeit nachgeht. Es ist irritierend, wie wenig Raum Stellan Skarsgård gegeben wird, Goya Leben und charakterliche Tiefe einzuhauchen. Demgegenüber wirken Natalie Portman in der Doppelrolle als Inés und deren Tochter Alicia sowie Javier Bardem als Bruder Lorenzo (in hemmungsloser Überpräsenz zwischen Emil Jannings Tartüff und Gerard Depardieus Molière chargierend) quantitativ wie qualitativ erdrückend übermächtig. Selbst dezidierte Nebenrollen wie die des Inquisitors (mit viel Understatement verkörpert von Michael Lonsdale) und von König Karl IV. (originell besetzt mit Randy Quaid) hinterlassen einen bleibenderen Eindruck als die blasse Titelfigur. Zudem wird nie klar, um welche Geister es dem Regisseur hier eigentlich geht; jene, die man auf Goyas späten Bildern findet, sowie jene im Prolog, die den Anstoß des Films geben sollen, sucht man im Film jedenfalls vergebens. Eigentlich müsste er überhaupt „Lorenzos Geister“ heißen, schließlich ist es doch der Auf- und Abstieg des Mönchs, der thematisiert wird. Formal setzt sich Forman zwischen alle Stühle, indem er immer wieder zum epischen Erzählkino ausholt, um dann rasch wieder kurzatmig zu werden und in psychologisierendes Kammerspielkino zu verfallen.
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