Während in den 1970er-Jahren Anschläge linksradikaler Terroristen europaweit Regierungen, Öffentlichkeit und die Medien in Atem hielten, wurde der Terror von rechts publizistisch eher stiefmütterlich behandelt, obwohl 1981 bei einem Bombenanschlag im Bahnhof von Bologna 74 Menschen zu Tode kamen und jüdische Einrichtungen zum Ziel terroristischer Anschläge wurden. Der Film schildert den Werdegang des Rechtsaktivisten Odfried Hepp, der auch als Informant der Stasi tätig war, 1985 in Paris verhaftet wurde und sich nach 14-jähriger Haft von der rechten Szene lossagte. Der informative, handwerklich solide Dokumentarfilm nähert sich dem Wesen seines Protagonisten eher unzureichend und analysiert weder dessen politische Vergangenheit noch seinen Wandel. Ein aufwühlender Erlebnisbericht, aber ohne gesellschaftspolitische Analyse.
- Ab 16.
Der "Rebell"
- | Deutschland 2004 | 93 Minuten
Regie: Jan Peter
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Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 2004
- Produktionsfirma
- L.E. Vision Film- und Fernsehprod./SWR/arte
- Regie
- Jan Peter
- Buch
- Yury Winterberg
- Kamera
- Michael Baum
- Schnitt
- Susanne Schiebler · Adrian Kolb
- Darsteller
- Udo Schenk (Sprecher)
- Länge
- 93 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 12
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 16.
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Heimkino
Diskussion
Das größte Geheimnis ist der Mensch sich selbst.“ Mit diesem Novalis-Zitat eröffnen Jan Peter und Yury Winterberg ihren Dokumentarfilm über eine der schillerndsten und beängstigendsten Biografien Deutschlands. Sie sind dem Geheimnis Odfried Hepps auf der Spur, der einst als meistgesuchter Neonazi Deutschlands galt. Dieser organisierte Anschläge auf die in Deutschland stationierten US-amerikanischen Soldaten, nahm an einem von der „Wehrsportgruppe Hoffmann“ geleiteten paramilitärischen Ausbildungslager im Libanon teil, lieferte Informationen an die Stasi und tauchte in der DDR unter, nachdem die terroristische „Hepp-Kexel-Gruppe“ in Westdeutschland aufgeflogen war. Nach einer Zwischenstation in Algerien ließ er sich unter falschem Namen in Frankreich nieder, verliebte sich und wurde schließlich enttarnt. Nachdem er den größten Teil seiner 14-jährigen Haftstrafe verbüßt hatte, kehrte er ins Elternhaus im Schwarzwald zurück, studierte Französisch und Arabisch. Heute führt er ein unauffälliges, zurückgezogenes Leben. Nur der Verfassungsschutz stattet ihm hin und wieder noch einen Besuch ab.
Das sind die Fakten, soweit sie bekannt sind. Der Film arbeitet sie ab, Station für Station. Allerdings nicht immer chronologisch – Zeitsprünge sind ein beliebtes dramaturgisches Mittel im Dokumentarfilm, um einer einfallslosen, starren Erzählschiene zu entweichen. Sie unterhöhlen jedoch auch die faktische Stringenz, was sich in „Der ‚Rebell‘“ besonders bemerkbar macht, da die Dokumentation die vielen Lücken, die der Lebenslauf offen lässt, nicht zu schließen vermag. Das „Geheimnis Mensch“, das Rätsel Odfried Hepp wird nicht entschlüsselt. Autorin und Regisseur verweigern sich abschließenden, einfachen Antworten. Statt zu urteilen oder gar abzuurteilen, treten sie in den Hintergrund, lassen den Neonazi-Aussteiger Hepp, der in der Szene mittlerweile als Verräter gilt, für sich sprechen, seine Schwestern oder ehemalige Weggefährten zu Wort kommen. So entsteht ein vielschichtiges, durchaus aussagekräftiges Mosaik. Nur hin und wieder erlaubt sich die Kamera einen kleinen, signifikanten Kommentar, etwa, wenn sie auffällig lange auf dem bieder akkuraten Vorstadtidyll verweilt, in dem Hepps ehemaliger Stasi-Kontaktmann zuhause ist. Eberhard Böttcher gerät noch heute ins Schwärmen, wenn er vom ersten Treffen mit dem berüchtigten Neonazi berichtet. Sofort sei ihm klar gewesen: „Das ist ein Spitzenmann.“ Hepp war ordentlich gekleidet, hatte einen anständigen Haarschnitt, nicht „wie die Punks oder wie sie damals alle hießen“. Das gefiel dem Stasi-Führungsoffizier. Ideologie erscheint hier austauschbar. Hepp seinerseits war von den Aufmärschen der Jungpioniere begeistert.
Ähnlich vielsagend sind die Aufnahmen in Hepps Elternhaus, vom Zimmer, in dem sich der Jugendliche mit „Kameraden“ traf und Nazi-Lieder sang; laut und vom ebenfalls nationalsozialistisch gesinnten Vater ungestört, wie sich Hepps jüngere Schwester erinnert. Nur ab 22 Uhr war dann Nachtruhe. So entstehen lebendige, beklemmende Eindrücke einer deutsch-deutschen Realität. Die Nähe zwischen rechtem und linkem Extremismus irrlichtert durch den Film, ohne zu einer These festgezurrt, aber auch ohne je in Frage gestellt zu werden. Hepp selbst suchte die Annäherung zur „RAF“ in seinem Manifest „Abschied vom Hitlerismus“, das in der „taz“ veröffentlicht wurde. Der heute sympathisch wirkende, jung gebliebene Hepp irritiert. Nach der Heimkehr in den Schwarzwald hängt er sich eine US-amerikanische Flagge übers Bett, als Zeichen für den Aufbruch in eine zweite Jugend. Amerika hat sich für ihn gewandelt, vom Feindbild zum Ort der Sehnsucht. Wie weit aber hat sich Hepps Denken verändert? Er verherrlicht nicht, was er getan hat, versucht nichts zu rechtfertigen, verurteilt die Anschläge. Gleichzeitig bleibt er seltsam emotionslos, als er vom Tod eines ehemaligen Mitstreiters berichtet, der, nur weil er immer wieder heimlich rauchte, im Libanon von der Hoffmann-Gruppe auf grausame Weise zu Tode gemaßregelt wurde. Gespenstisch nett, gelassen, gemütlich tritt Hepp auf. Gerade das aber verunsichert. Der Film lässt erahnen, wie nah Normalität und (rechtsradikaler) Fanatismus beieinander liegen. Er liefert keine vorgestanzten Antworten, wirft stattdessen Fragen auf. Aber genügt das? Wird die filmdokumentarische Zurückhaltung nicht zu weit getrieben, wenn Brüche, Widersprüche nicht nur kommentarlos, sondern auch unhinterfragt hingenommen werden? „Der ‚Rebell‘“ beleuchtet ein wichtiges, unheimliches und beinahe in Vergessenheit geratenes Kapitel deutscher Nachkriegsgeschichte. Handwerklich solide, durchaus informativ, auch lehrreich. Das Ergebnis ist ein packender, aufwühlender Erlebnisbericht ohne gesellschaftspolitische Analyse.
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