Als ein Ranger versehentlich einen mexikanischen Tagelöhner erschießt, will ein Ranch-Vorarbeiter ein dem Toten gegebenes Versprechen einlösen und ihn in der Heimaterde würdig begraben. Er nimmt den Todesschützen als Geisel und begibt sich mit ihm sowie dem Toten auf eine beschwerliche Reise nach Mexiko. Der epische Spätwestern entwickelt in eindrucksvollen Bildern eine nahezu klassische Tragödie, deren Charaktere einem steten Wandel unterliegen, wobei die Grenzen zwischen Gut und Böse verwischen. Dabei überzeugt der Film ebenso durch die verschachtelte Erzählstruktur wie durch die fabelhaften Darsteller.
- Sehenswert ab 16.
Three Burials - Die drei Begräbnisse des Melquiades Estrada
Western | USA/Frankreich 2005 | 120 Minuten
Regie: Tommy Lee Jones
1 Kommentar
Filmdaten
- Originaltitel
- THE THREE BURIALS OF MELQUIADES ESTRADA | LES TROIS ENTERREMENTS DE MELCHIADES ESTRADA
- Produktionsland
- USA/Frankreich
- Produktionsjahr
- 2005
- Produktionsfirma
- The Javelina Film Comp./Europa
- Regie
- Tommy Lee Jones
- Buch
- Guillermo Arriaga
- Kamera
- Chris Menges
- Musik
- Marco Beltrami
- Schnitt
- Roberto Silvi
- Darsteller
- Tommy Lee Jones (Pete Perkins) · Barry Pepper (Mike Norton) · Julio César Cedillo (Melquiades Estrada) · Dwight Yoakam (Sheriff Belmont) · January Jones (Lou Ann Norton)
- Länge
- 120 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 16.
- Genre
- Western
- Externe Links
- IMDb | TMDB | JustWatch
Heimkino
Nur die Special Edition (2 DVDs) enthält u.a. einen dt. untertitelbaren Audiokommentar des Regisseurs und der Darsteller Dwight Yoakam und January Jones sowie ein Feature mit 13 im Film so nicht verwendeten Szenen. Des Weiteren enthält die umfangreiche Edition ein ausführliches "Making of" (30 Min.) sowie ein Feature zur Musikauswahl im Film (9 Min.).
Diskussion
Große Tragödien nehmen ihren Anfang im Alltäglichen, im Banalen. Das ist im texanischen Grenzgebiet zu Mexiko nicht anders. Der Alltag der Grenzschützer besteht darin, illegale Einwanderer aufzubringen und einzusperren; die Wartezeit zwischen den Einsätzen vertreibt man sich schon einmal damit, Kojoten abzuschießen. Alles ändert sich an dem Tag, als einem der Grenzleute, Mike, der illegal in den USA lebende Rancharbeiter Melquiades versehentlich vor die Flinte kommt. Plötzlich hat der gar nicht so kernige Texas-Ranger, der sich in der Rolle des Macho gefällt, einen toten Mexikaner auf dem Gewissen und weiß vor Panik weder ein noch aus. Ein flaches Grab ist im harten Wüstenboden schnell gescharrt, doch da die Kojoten der Leiche keine Ruhe lassen, ist bald ein zweites Begräbnis nötig, diesmal auf Staatskosten und mittels eines Baggers, sodass die tierischen Leichenfledderer keine Chance haben. Alle Beteiligten könnten zufrieden sein, zumal die Staatsgewalt kein Interesse daran hat, die versehentliche Erschießung eines Mexikaners an die große Glocke zu hängen. Das sieht Ranch-Vorarbeiter Pete, der mit Melquiades ein verhalten freundschaftliches Verhältnis pflegte, anders. Er hat dem Toten versprochen, ihn im Falle seines Ablebens in der geliebten Heimat zu begraben, auf dem Friedhof des idyllisches Dorfs, in dem Frau und Kinder darauf warten, dem Mann ins gelobte Land folgen zu können. Pete ist gewillt, sein Ehrenwort zu halten. Er kidnappt den Todesschützen, zwingt ihn, die bereits in Verwesung übergehende Leiche auszugraben und auf ein Packpferd zu laden. Bevor Melqiuiades’ letzte Reise nach Mexiko losgehen kann, hat Mike allerdings noch einige Lektionen in Sachen Demut zu lernen. In der Hütte des Toten muss er aus dessen Tasse trinken und in dessen Kleidung schlüpfen, erst danach begibt man sich auf den Ritt in Richtung Grenze, auf eine zunächst von Hass begleitete Reise, in deren Verlauf sich die Fronten zwischen den zunächst unversöhnlichen Feinden jedoch unmerklich wandeln und kein Stein auf dem anderen bleibt. Dem Redneck-Ranger läuft die Frau davon, und Petes Gelegenheitsgeliebte Rachel, Barfrau des Saloons, offenbart alles andere als unverbrüchliche Treue. Im Hintergrund agiert die Grenzpolizei, die die drei Grenzgänger in einer Mischung aus Unlust und sportlichem Ehrgeiz verfolgt. Im Lauf der Flucht kommen sich nicht nur Geisel und Geiselnehmer näher, auch ihr Persönlichkeitsprofil wandelt sich unmerklich. Aus dem anfänglich verabscheuungswürdigen Täter wird ein Opfer, während die Figur des wackeren Rächers zunehmend manische Züge annimmt. Dies wird spätestens deutlich, als Pete einen Schleuser braucht, um illegal nach Mexiko einzureisen. Am Ziel der Reise, einem Ort, den es nie gegeben hat, vor dessen imaginären Hintergrund sich der Tote sein (Familien-)Leben zurecht gelogen hat, löst sich die letzte Grenzziehung zwischen Gut und Böse auf. Pete erklärt ein längst verlassenes Dorf, das nur aus einigen Ruinen besteht, zur Heimat des Toten, zwingt Mike, sein Opfer um Vergebung zu bitten, und reitet seiner Zukunft entgegen: als Mann, der seine Aufgabe erfüllt hat, ohne von ihr noch überzeugt zu sein.
Gebrochene Helden sind erzählerisch ohnehin dankbarer als strahlende, aber selten wurde ein tragisches Scheitern so bewusst gemacht wie im Debütfilm des Schauspielers Tommy Lee Jones („Auf der Flucht“, fd 30442). Hier erfüllt keine Figur die Erwartungen, die anfänglich in sie gesetzt werden: Der Böse ist nicht wirklich böse, sondern eher feige und weich, versteckt seine Schwächen hinter einer vermeintlichen Machtposition, der Gute ist alles andere als gut, am Ende sogar an der Schwelle zum Irrsinn. Sogar der unschuldige Tote ist nicht unschuldig, weil sein Traum von einer heilen Welt das Tor zum seelischen Inferno öffnet, in dem sich jeder seinen Dämonen stellen muss. Als klassischer Dreiakter angelegt, wie die Kapiteleinteilungen signalisieren, reiht sich der Film in die Tradition antiker Tragödien ein. Egal, wie sich die Figuren entscheiden, sie werden letztlich immer gegen die eigenen Interessen handeln, nie ihrem Selbstbild gerecht. Diese Erzählhaltung führt an den Abgrund der Personen heran, legt ihre Seelen bloß und verstört den Zuschauer; auch bringen ihn die gescheiten Drehbucheinfälle von Guillermo Arriaga („Amores Perros, fd 35104; „Babel“, fd 37924) aus dem Gleichgewicht, der in den ersten beiden Kapiteln Zeit und Raum virtuos variiert, Geschichten verzahnt, mit zeitlich versetzten Erinnerungen die eigentliche Filmgeschichte unterwandert und erst im letzten Kapitel, der Flucht, zu einer linearen Struktur findet. Der mit Preisen überhäufte Film wird zwar vom Hauch des Spätwesterns getragen, lässt sich ansonsten aber in kein (Genre-)Korsett zwängen – ein bildgewaltiges Erlebnis mit einer eindrucksvollen atmosphärischen Musik, die in ihren Bann zieht. Einmal mehr wird hier die zeitlose Frage von Schuld und Sühne gestellt und zugleich vielschichtig unterwandert; denn für komplexe moralische Konflikte gibt es eben einfachen Lösungen.