Bei aller Liebe zu rennenden Hühnern: der einzig wahre Held des Knetfigurenkinos ist und bleibt ein Hund namens Gromit. Dieser unverwechselbare Charakter mag von Ferne an „Peanuts“-Beagle Snoopy erinnern, mag in seiner stoisch-minimalistischen, gleichwohl höchst beredten Mimik ein stiller Nachfahre von Buster Keaton sein und als bester Freund des Käse liebenden Kleinbürgers und Erfinders Wallace mehr die Rolle des unauffälligen Dr. Watson spielen (obwohl er den messerscharfen Verstand eines Sherlock Holmes besitzt!) – doch in Wahrheit ist Gromit der absolute Superheld, der stets den Durchblick hat, alles beherrscht und jede Situation souverän meistert. Als treuer Freund und Kindermädchen für Wallace führt er den gemeinsamen Haushalt ebenso weitblickend wie er Wallace’ absurde Erfindungen beaufsichtigt und kontrolliert. Und bei all dem, das offenbart Gromits neues Kinoabenteuer, hat dieser Hund einen stillen, tierisch-menschlichen Traum: den jährlichen Wettbewerb für das größte und schönste Gemüse im Lande zu gewinnen. Mit zärtlicher Hinwendung hegt und pflegt Gromit ganz im Geheimen eine riesige Wassermelone. Doch wie bei allen großen Helden mischt sich schon bald ein Schuss tiefer Tragik in diesen Traum, der sich nicht erfüllen darf, weil vom Helden das Allergrößte verlangt wird, damit er am Ende noch größer wird: Opferbereitschaft und Verzicht.
So gesehen, bietet „Wallace & Gromit auf der Jagd nach dem Riesenkaninchen“ alles, was großes Kino bieten muss: Action und Komik, Rasanz und Romanze, vor allem aber viel Leidenschaft. Mit einem Mal werden alle (durchaus bestaunenswerten) Erfindungen aus dem Trickfilm-Computer unwichtig, und das nicht nur, weil bei Nick Park und Steve Box noch das „gute alte Handwerk“ des Animationskinos zu bestaunen ist, sondern weil hier fern der menschlichen Darstellungspalette allein aus Knetmasse und viel Fantasie etwas entsteht, was man im aktuellen Kino immer mehr vermisst: Kino mit Herz und Seele. Mag das neue Abenteuer von Wallace und Gromit auch noch so übersprudeln an ausgelassenen Gags, Seitenhieben, Parodien und satirischen Spitzen – im Grunde funktioniert dies alles nicht, weil es sich für etwas Besseres hält und über das Genrekino lustig macht, sondern weil es bei aller satirischen Fabulierfreude stets ein treuer Verbündeter allen spektakulären Erzählens ist. Im Leben von Wallace und Gromit bedarf es freilich keiner Zeitfenster, Monster-AGs, grüner Wesen mit trichterförmigen Ohren und gigantischer Weltraumschlachten – bei ihnen liegt das Abenteuer um die Ecke, in den Vorgärten einer typisch englischen Reihenhaussiedlung, in der das Gemüse nach Herzenslust sprießt und nur einen natürlichen Feind kennt: die putzigen, vielfräßigen, langohrigen Feld- und Wiesenkaninchen. Die Ghostbusters sind nur Waisenknaben gegen die ausgefuchste Hasenabwehr-Technik, mit der Wallace und Gromit in ihrer Firma „Anti-Pesto“ operieren: effektiv und Umwelt wie Kaninchen schonend zugleich. So scheint einem spektakulären Gemüse-Wettbewerb nichts im Wege zu stehen, und in der neuen „Anti- Pesto“-Kundin Lady Tottington könnte sich endlich auch ein Happy End für den chronischen Single Wallace andeuten. Doch leider hat ein Erfinderdasein auch seine Schattenseiten. Wie bei Dr. Jekyll und Mr. Hyde kommt es zu einem fatalen „Austausch“ zwischen Wallace und einem Kaninchen, was eine unheimliche, monströse Kreatur hervorbringt, die vor allem fürs sprießende Gemüse eine massive Bedrohung darstellt.
Jede Kleinigkeit des Films ließe sich genüsslich nacherzählen, jede Pointe könnte man sich auf der Zunge zergehen lassen; und doch muss man es selbst sehen, was sich in dieser beschaulichen englischen Welt zwischen Kleinbürgertum und Landadel alles abspielt. Dabei ahnte man schon immer, dass die liebenswerten Plastilin-Figuren weit mehr können, als einen „nur“ 20-minütigen Trickfilm zu tragen; ausgehend vom angenehm vertrauten, altmodischen Flair dieser kurzen Filme (u.a. „The Wrong Trousers“), wird der Faden hier nun weitergesponnen, breitet sich aus über Stock und Stein und wuchert wie wildes Efeu. Ganz zu Beginn, noch während des Vorspanns, verdeutlicht eine Folge von gerahmten Fotos, die im Treppenhaus von Wallace und Gromit aufgereiht sind, dass es eigentlich keiner spektakulären Action bedürfte: raffiniert und subtil wird die der Bildfolge innewohnende Kinetik beschworen und zu einer kleinen Hymne auf die unverbrüchliche Freundschaft von Mann und Hund verdichtet. Und doch möchte man auf keine Sekunde des rasanten Finales verzichten, das die halbe Filmgeschichte zwischen „King Kong“ und „Indiana Jones“ zitiert, um den Kampf gegen das „schreckliche“ Riesenkaninchen zum guten Ende zu bringen. Wohlgemerkt: Es geht hier nicht um außerirdische Monster, Massenvernichtungswaffen oder um virile, mit Testosteron vollgepumpte Kampfmaschinen – es geht nur um einen kleinen Hund, einen verträumt-versponnenen Erfinder und um viele, viele Kaninchen; fast schon zu viele, wie Gromit findet, als er im Radio Art Garfunkels „Bright Eyes“ hört und wissend die Augen verdreht.