Der Rote Kakadu

- | Deutschland 2005 | 128 Minuten

Regie: Dominik Graf

Liebesgeschichte unter jungen Menschen in Dresden, die 1961 während der letzten vier Monate vor dem Bau der Berliner Mauer spielt. Arbeit und Freizeit, Musik und Kunst, Liebe und Freundschaft, Utopien und reale Politik sind vielgestaltiger Hintergrund einer komplizierten Romanze, die unter den Druck des Überwachungsstaates auf die Probe gestellt wird. Aufwendig inszeniertes Ausstattungskino, das Fakten und Fiktion souverän zu einer detail- und episodenreichen Erzählung verbindet. Vor allem die nachvollziehbaren und überzeugend interpretierten Charaktere vermitteln etwas von der idealistischen Lebenshaltung in der kurzen Zeitspanne vor dem Mauerbau. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2005
Produktionsfirma
X Filme Creative Pool/GFP/Seven Pictures/SAT 1
Regie
Dominik Graf
Buch
Karin Åström · Michael Klier · Günter Schütter
Kamera
Benedict Neuenfels
Musik
Dieter Schleip
Schnitt
Christel Suckow
Darsteller
Max Riemelt (Siggi) · Jessica Schwarz (Luise) · Ronald Zehrfeld (Wolle) · Tanja Schleiff (Rena) · Ingeborg Westphal (Tante Hedy)
Länge
128 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Externe Links
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Heimkino

Die Extras umfassen u.a. ein Feature mit elf im Film nicht verwendeten Szenen (25 Min.).

Verleih DVD
X Verleih/Warner (16:9, 1.85:1, DD5.1 dt.)
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Diskussion
Am 12. April 1961 startet Juri Gagarin zum ersten bemannten Raumflug der Geschichte: In einer „Sputnik“-Kapsel umkreist er einmal die Erde – erst zehn Monate werden die Amerikaner (mit John Glenn) nachziehen. Die Sowjets feiern ihre „Erstleistung“ euphorisch, und auch im Osten Deutschlands verfolgt man begeistert jene Fernsehbilder, die von der Vormachtstellung der verbündeten Sowjet-Menschen künden. Die Eingangsbilder von Dominik Grafs Film collagieren Fernsehbilder und -töne dieses Ereignisses und signalisieren: Es herrscht Aufbruchstimmung – auch und vor allem unter den Jugendlichen, die indes von ganz anderen Idolen schwärmen, und die kommen aus dem Westen, aus den USA, spielen Rock’n’Roll und heißen Elvis Presley oder Platters. Ebenfalls am 12. April 1961 trägt es sich (in der Fiktion des Films) zu, dass in einem Park in Dresden junge Leute „stumm“ tanzen – ohne Musik, der Plattenspieler und die Schallplatten werden noch erwartet; die Klänge aber sind bereits in den Köpfen eingespeist. Als endlich die Musik eintrifft und kurz der „Jailhouse Rock“ erklingt, übernimmt nach wenigen Takten allerdings jemand anders den Rhythmus: Aus dem Unterholz preschen Volkspolizisten hervor, die wild auf die jungen „Abweichler“ einprügeln und sie quer über den Rasen jagen. Über der ganzen Szenerie liegt bei allem Ernst etwas auffällig Spielerisches; Dominik Graf inszeniert turbulent, und von Ferne fühlt man sich an alte „zappelnde“ Stummfilme mit den Keystone Cops erinnert. Zumal auch die jungen Leute ihre Blessuren mit eher sorgloser und stolz-naiver Abenteuerlust hinnehmen. Was sie nicht wissen können, verkündet dem Zuschauer ein Insert: Es sind nur noch vier Monate bis zum Mauerbau. Vier Monate, in denen sich von Tag zu Tag die politische Situation eher unbemerkt zuspitzt, bis schließlich der „antifaschistische Schutzwall“ errichtet wird, der offiziell die DDR vor feindlichen Übergriffen aus Westberlin schützen soll, in Wahrheit aber die Menschen daran hindert, die von den Sowjets besetzte Zone in Richtung Westen zu verlassen – und damit viele Träume, Hoffnungen und Wünsche zerstört, die Dominik Graf in einer (melo-)dramatischen, „prallen“, höchst unterhaltsamen Kinogeschichte verdichtet. Sie basiert auf einem autobiografischen Buch von Michael Klier, in dem als authentischer zentraler Schauplatz die „Kakadu“-Bar am Stadtrand von Dresden ins Zentrum rückt. Was viel Gelegenheit für eine markante urbane Kulisse bietet, für stimmungsvoll ausgestattetes Zeit-Ambiente und vor allem für viel Musik im Spannungsfeld von DDR-typischer Unterhaltungsware und „rebellischem“ Rock’n’Roll. Darin eingewoben ist eine Dreiecksliebesgeschichte unter jungen Menschen: eine ohnehin schon recht komplizierte „Nouvelle Vague“-Romanze, die unter den Vorzeichen des rigiden Überwachungsstaates auf die Probe gestellt wird, sich zwangsläufig radikalisiert und die Beteiligten am Ende zu politischen Entscheidungen zwingt. Der zeichnerisch begabte Siggi jobbt am Dresdener Theater als Kulissenmaler und will an der Theaterhochschule Bühnenbild studieren; Hals über Kopf er verliebt er sich in Luise, eine talentierte junge Lyrikerin, die jedoch nicht verlegt wird, weil ihre Texte als „dekadent“ gelten. Luise indes ist verheiratet, und zwar glücklich, mit Wolle, einem sorglosen und draufgängerischen, stets einnehmend-charmanten jungen Mann, der gerne über die Stränge schlägt und Luise nicht immer treu ist. Arbeit und Freizeit, Musik und Kunst, Liebe und Freundschaft, Utopien und reale Politik – alles verzahnt sich zu vielfältigen Ereignissen und Erlebnissen, die vom gnadenlosen Metrum der stets kürzer werdenden Spanne bis zum Bau der Mauer taktiert werden. Das alles funktioniert trefflich als kurzweiliges historisches Ausstattungskino, das sich nahtlos in die derzeitige Welle vergleichbarer Kino- und Fernsehsujets zwischen „Good Bye, Lenin!“ (fd 35 817) und „Der Tunnel“ (fd 34 833) eingliedert. Andererseits aber verfügt Dominik Graf über eine außergewöhnliche Begabung zur inszenatorischen Verdichtung, die hierzulande ihresgleichen sucht. Dass man der Geschichte so gespannt folgt, liegt deshalb zum großen Teil eben nicht an der opulenten Ausstattung oder der Musik, sondern am großen Geschick des Regisseurs, Fakten und Fiktion souverän zu einer intensiven, detail- und episodenreichen Erzählung zu verbinden, die nachvollziehbare, lebendige und überzeugend interpretierte Charaktere hervorbringt – und zudem eine eigene (Geistes-)Haltung besitzt. Dreh- und Angelpunkt ist dabei Jessica Schwarz als schwärmerische Dichterin und überzeugte Sozialistin Luise, die Graf zu einer idealistischen „Lichtgestalt“ ausbaut – zur, wie er selbst sagt, „sentimentalen West-Referenz“ an jene Ideen und Utopien, die in jener kurzen Zeitspanne vor dem Mauerbau keimten. An sie, die sich für Graf in DDR-Dichterinnen wie Brigitte Reimann konkretisierten, will er erinnern. In der Tat gelingt es dem Film in vielen Momenten eindrucksvoll, die Ereignisse auch als ein Stück (kulturpolitischer) Ideengeschichte begreifbar zu machen (wobei beispielsweise in Siggis Schicksal am Theater auch etwas von der Größe und Qualität deutscher Bühnenkunst vor ihrer Verstaatlichung spürbar wird). „Der Rote Kakadu“ ist alles andere als sprödes Autorenkino, das Graf noch mit seinem letzten Kinofilm „Der Felsen“ (fd 35 498) bediente; es ist routiniertes Unterhaltungskino – freilich mit aller Aufmerksamkeit, Sensibilität und Professionalität, die dieses Genre mit Glaubwürdigkeit und Leben erfüllt.
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