Ein Problem treibt Affektmörder und Drehbuchautoren gleichermaßen um: Wie werde ich den Leichnam still und heimlich wieder los? Allerdings scheiden sich an diesem Punkt auch schon die Geister. Während für den Verbrecher von nebenan keine Schönheitspreise zu gewinnen sind, erwartet man im Mainstream-Kino von der Ästhetisierung seiner Taten eine gewisse Originalität. Nur schweren Herzens dürfte ein Drehbuchautor seine Missetäter daher zu Tranchiermesser und Koffer greifen lassen oder gar den zusammengerollten Teppich, aus dem ein Paar Füße ragt, aus der Mottenkiste holen. Wenn sich aber ein über weite Strecken brillanter Thriller wie „The Machinist“ gleich in den ersten Einstellungen dieses dümmsten aller Mordklischees bedient, dann steckt mehr als literarische Verlegenheit dahinter. Die Frage, wer eigentlich im Teppich zur letzten Ruhe gebettet wurde, ist die mit Bedacht gewählte Leerstelle des Films.
„Wenn du ein wenig dünner wärst, gäbe es dich nicht.“ Diesen Satz hört Trevor häufiger als ihm lieb sein kann, und dabei ist die Beschreibung nicht einmal übertrieben. Trevor ist bis auf die Knochen abgemagert und gibt mit seinen eingefallenen Wangen auch bekleidet ein Bild des Schreckens ab. Der Einzelgänger pendelt apathisch zwischen seinem Arbeitsplatz in der Fabrik und seinem düsteren Apartment, die einzige Gesellschaft seines aschfahlen Lebens sind eine Hure mit Herz und die nächtliche Bedienung in einem Flughafencafé. Seit Wochen und Monaten hat Trevor nicht mehr geschlafen. Wenn er auf das Zifferblatt seiner Uhr schaut, springt der Zeiger vor und wieder zurück. Auch die Handlung scheint auf diese Weise stillzustehen, bis schließlich die Jagd nach einem Mann, den niemand außer Trevor gesehen haben will, Bewegung in den Film bringt. Immer schneller wechselt die Kamera zwischen den Perspektiven von Wahn und Wirklichkeit. Doch ein Wettlauf mit den eigenen Dämonen lässt sich schwerlich ge winnen. Bis an einen bestimmten Punkt der Erzählung ist „The Machinist“ ein Meilenstein des psychologischen Horrorfilms. Wie sein Antiheld auf der abschüssigen Bahn ins eigene Ich immer mehr den Halt verliert und dabei klassisch-freudianisch zu sich selbst zurükkfindet, zählt zu den Höhepunkten dieses an seelischen Krankengeschichten nicht gerade armen Genres. Keine der Referenzen, die Regisseur Brad Anderson und sein Drehbuchautor Scott Kosar als Vorbilder nennen, ist zu hoch gegriffen: Dostojewski und Kafka auf literarischer Ebene, Jacques Tourneur und Alfred Hitchcock auf der filmischen. Wie Gregor Samsa sieht sich auch Trevor eines Tages in etwas verwandelt, das er nicht mehr versteht, und wie in „Marnie“ (fd 12 995) ist die Wiederkehr des Verdrängten das eigentliche Sujet des Films. Stilistisch schließt er dank der exzellenten Kameraarbeit an die stimmungsvollen Abgründe der klassischen Gruselwerke an, um sie in eine bedrückende Gegenwart zu transferieren. Selten ist eine urbane Industrielandschaft in so gespenstisches Grau in Grau getaucht worden, selten griffen dabei äußere und innere Realität so stimmig ineinander. Bis hin zur Filmmusik, einer virtuosen Hommage an Bernard Herrmann, ist der Film das Meisterstück eines kreativen Kollektivs – wobei die Leistung des Hauptdarstellers Christian Bale am schwierigsten zu bewerten ist. Bale nahm für seine Rolle 30 Kilo und damit ein Drittel seines Körpergewichts ab. Sein Anblick ist auch deswegen so beängstigend, weil man nicht zu unterscheiden weiß, wo die Selbstzerstörung des Darstellers beginnt und die seiner Figur endet.
Weil „The Machinist“ über eine Stunde lang in Bann schlägt, fällt die Enttäuschung über die Auflösung der filmischen Intrige dann umso größer aus. Bei einem insgesamt weniger gelungenen Film würde man nach dem Motto „Was soll’s“ vielleicht ein Auge zudrücken. Doch das Ende von „The Machinist“ ist schlicht zu leichtgewichtig, um dem zuvor ausgebreiteten Trauma zu genügen. Nach einem psychoanalytischen Musterplot erwartet man zumindest einen Abstieg in tief vergrabene Geheimnisse der Kindheit und bekommt, nun ja, etwas ganz anderes. Zuvor hatte Scott Kosar der Furcht vor dem Vorhersehbaren tapfer die Stirn geboten. Ausgerechnet dort, wo es unvermeidlich gewesen wäre, schreckt er jedoch vor dem Klischee zurück.