Gegen Ende des finnisch-russischen Krieges treffen 1944 ein finnischer Soldat, ein Angehöriger der Sowjetarmee und eine sämische Bäuerin aufeinander, die sich zunächst nicht verstehen, weil keiner des Anderen Sprache beherrscht. Im Laufe weniger Wochen erschließen sie sich gegenseitig ihre elementaren Bedürfnisse, auch wenn dabei das Glück stets nur an einem seidenen Faden hängt. Ein poetisches Antikriegsmärchen, das seinen Humor aus Sprachverwirrungen schöpft. In eindrucksvollen Landschaftsbildern spiegeln sich die Seelen der Protagonisten, die zunächst abweisend erscheinen, doch bei näherer Betrachtung ihre innere Schönheit offenbaren. (Kinotipp der katholischen Filmkritik)
- Sehenswert ab 14.
Kukushka - Der Kuckuck
- | Russland 2002 | 99 Minuten
Regie: Alexander Rogoschkin
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Filmdaten
- Originaltitel
- KUKUSHKA
- Produktionsland
- Russland
- Produktionsjahr
- 2002
- Produktionsfirma
- CTB
- Regie
- Alexander Rogoschkin
- Buch
- Alexander Rogoschkin
- Kamera
- Andrej Shegalow
- Musik
- Dimitri Pawlow
- Schnitt
- Julija Rumjanzewa
- Darsteller
- Anni-Kristiina Juuso (Anni) · Wille Haapasalo (Veiko) · Viktor Bytschkow (Iwan) · Alexej Kaschnikow · Alexej Panshejew
- Länge
- 99 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 14.
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Heimkino
Diskussion
Finnland im September 1944: Irgendwo in der unwirtlichen Tundra wird ein Soldat in deutscher SS-Uniform an einen Felsen gekettet. Nicht nur ist dieser Vorgang an sich merkwürdig, sondern auch die Tatsache, dass er Finnisch spricht, während seine Kameraden auch auf Deutsch auf ihn einreden. Als sie abziehen, lassen sie ein Gewehr mit Zielfernrohr zurück und geben den guten Rat, ein paar Russen abzuknallen. Ganz in der Nähe machen sich zwei Militärpolizisten der Roten Armee auf, um einen Unteroffizier ins Straflager zu eskortieren; seine Gedichte stehen im Verdacht, antisowjetisch zu sein. Als ihr Jeep in Blick- bzw. Schussweite des Angeketteten gerät, beobachtet er die Szene durchs Fernrohr und wird Zeuge, wie das Fahrzeug in einen Tieffliegerangriff der eigenen Luftwaffe gerät. Im Gegensatz zu seiner Begleitung scheint der Gefangene Glück gehabt zu haben. Wenig später gerät eine dritte Person ins Fadenkreuz, eine sämische Bäuerin, die in der Nähe ihre Hütte und einen winzigen Hof hat. Als sie bemerkt, dass einer der Russen noch lebt, schleppt sie ihn zu ihrem bescheidenen Anwesen. Währenddessen ist der Angekettete mit seiner Befreiung beschäftigt; eine Aktion, die mit List und Energie glückt. Nur die Kette am Bein und die Fußschelle wird er vorerst nicht los.
Mit dieser aufwändigen Exposition beginnt „Kukushka – Der Kuckuck“, um danach ins ruhigere Fahrwasser eines Drei-Personen-Stücks zu gleiten und ein ebenso poetisches wie humorvolles Antikriegs-Märchen anzustimmen. Während die Sämin Anni, deren Mann vor vier Jahren von Soldaten abgeholt wurde und die seitdem allein lebt, den Russen Iwan gesund pflegt, streift Viktor, der im Fortsetzungskrieg mit deutscher Unterstützung gegen die Russen kämpfte, durch die Gegend und sucht nach einer Möglichkeit, um seine Fessel loszuwerden. Die findet er bei der Bäuerin – er findet aber auch noch vieles mehr. In dem verletzten Russen zunächst einen erbitterten Feind, der voller Hass auf die SS-Uniform reagiert und den Eindringling bestimmt umbringen würde, wenn er nicht zu schwach dazu wäre; und eine resolute Frau, die die Männer ihr Mütchen kühlen lässt und irgendwie den Eindruck vermittelt, dass schon nichts Schlimmes passieren wird. Doch da niemand des anderen Sprache spricht und „Faschist“ so ziemlich das einzige Wort ist, das jeder versteht, sind die Verständigungsmöglichkeiten eingeschränkt. So stehen Missverständnissen Tür und Tor offen. Sogar die Namen bleiben über weite Strecken ein Rätsel. Da beide Männer in einer eher misslichen Lage sind, wird ein brüchiger Burgfrieden geschlossen; doch der Russe ist nicht nur Poet, sondern auch Kämpfer und jederzeit bereit, auf den pazifistischen Finnen loszugehen, der von seinen Kameraden wegen Wehrkraftzersetzung ausgesetzt wurde. Der Bäuerin ist das zunächst egal, sie kümmert sich um die wirklich wichtigen Sachen: das Feuer, das Vieh, das Essen. Doch die Frau, unter deren derber Kleidung eine aparte Erscheinung steckt, wird sich langsam ihres Glückes bewusst: Sie, die seit vier Jahren keinen Mann mehr aus der Nähe sah, hat nun gleich zwei stattliche Kerle zur Auswahl.
Als Viktor und Iwan, einander belauernd, in der improvisierten Sauna sitzen, wird Anni aktiv. Sie entscheidet sich für den jüngeren Finnen und bereitet dem Russen, der nun vor der Hütte schlafen muss, eine recht lautstarke Nacht. War die Mordlust aus geo-politischen Gründen zu diesem Zeitpunkt eingedämmt, entflammt sie nun erneut wegen der Frau, auch wenn Eifersucht und die Verletzung der männlichen Eitelkeit sich immer noch ideologische Ventile suchen. Doch das junge Glück scheint seinen Weg gefunden zu haben, und so beschließt Iwan, seiner Wege zu gehen. Sein Fortgang wird durch versprengte Deutsche vereitelt, er kehrt zu den Gefährten zurück, nur um wenig später den Absturz eines finnischen Flugzeugs mitzuerleben. Die beiden Männer eilen zur Unglücksstelle, finden zwei Tote, aber auch anderes: Viktor Flugblätter, auf denen die Waffenstillstandserklärung zwischen Finnland und der Sowjetunion abgedruckt ist, und Iwan einen Revolver, mit dem er den fast lieb gewonnenen Gefährten niederstreckt. Sekunden später meldet sich sein Gewissen, und er schleppt den Schwerverletzten zu Anni, die ihn unter Aufbietung ihrer schamanischen Kräfte ins Leben zurückholt. Was sie jedoch nicht daran hindert, die Nacht an Iwans Seite zu verbringen; ihre Lustschreie hallen durch die nächtliche Tundra. Die menage à trois findet ihr abruptes Ende, als alle drei beschließen, ihre Plätze im Leben wieder einzunehmen. Die Männer, nun wirkliche Freunde, gehen ihrer Wege. Das letzte Bild zeigt Anni im Sommer, scheinbar erzählt sie sich selbst die soeben gesehene Geschichte. Ein 360-Grad-Schwenk fängt eine Landschaft ein, die zu ihrer kurzen Prachtentfaltung gekommen ist. Dann endet der Schwenk mit einer Totalen auf Anni, an ihrer Seite sitzen die Adressaten ihrer Erzählung: die Kinder von Viktor und Iwan.
Durch dieses letzte Bild wird der märchenhafte Charakter dieser wunderbaren Tragikomödie noch einmal unterstrichen. Es signalisiert, dass (fast) alles möglich ist: Frieden, Liebe, Hoffnung. Dabei lässt der Film nach dem dramatischen Anfang nie einen Zweifel daran, dass er an eine solche Zukunft glaubt, doch mit dem Trick der Sprachverwirrung auf kleinstem Raum verstellt er sich und seinen Protagonisten den kurzen Weg zum Glück. Obwohl alle drei das Gleiche wollen, die Befriedigung ihrer elementaren Bedürfnisse, sind sie kaum in der Lage, die Körper- und Seelensprache ihrer Gefährten zu dekodieren, was zu heillosen Missverständnissen und dramatischen Zwischenfällen führt. Erst allmählich lernen die Helden, in den Herzen der anderen zu lesen, und je weiter sich dieser Prozess entwickelt, umso mehr erschließt sich die innere Schönheit dieser Menschen, die gewiss keinem landläufigen Ideal entspricht. Sie gleicht vielmehr der die Menschen umgebenden Landschaft, die abweisend, schroff und karg erscheint, deren Geheimnisse sich nicht ohne weiteres offenbaren, sondern die erschlossen und angenommen werden will, um mit ihr und in ihr überleben zu können. Getragen wird die Geschichte durch drei hervorragende Darsteller, die den einfach gezeichneten Charakteren immer wieder die nötige Tiefe verleihen, um Signale ihres ganz persönlichen Geheimnisses auszusenden und um immer wieder neue Facetten ihres Wesens aufschimmern zu lassen. Unterstützt wird Regisseur Rogoschkin dabei auch durch seinen Kameramann Andrej Schegalow, der kalte Farben wählt, um die männlich dominierte Außenwelt zu unterstreichen, aber fast körperlich spürbare warme Rot- und Braun-Töne einsetzt, sobald sich das Geschehen in Annis Hütte verlagert. Hier ist es dann fast so wie in einer idealisierten Kindheit: zwar nicht sorgen- und konfliktfrei, aber doch positiv besetzt.
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