Kongeniale, hervorragend gespielte Verfilmung des Graham-Greene-Bestellers vor dem Hintergrund des Vietnam der frühen 1950er-Jahre, dem Ende der französischen Kolonialzeit und der ersten, hinter humanitären Hilfsaktionen versteckten Einmischung der USA in die Politik des Fernen Ostens: Ein sarkastischer englischer Journalist begegnet einem naiven, weltungewandten jungen Amerikaner, als dessen eigentliche Aufgabe sich die Unterstützung einer fragwürdigen dritten politischen Kraft in Vietnam herausstellt. Die Mischung aus Reportage, introspektivem Humanismus und ironischer Distanz trifft exakt den Ton der Vorlage und spiegelt überzeugend die Erschütterung des abgebrühten Journalisten angesichts der Folgen fehlgeleiteter politischer Einmischung.
- Sehenswert ab 16.
Der stille Amerikaner
Drama | USA/Großbritannien/Deutschland 2002 | 101 Minuten
Regie: Phillip Noyce
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Filmdaten
- Originaltitel
- THE QUIET AMERICAN
- Produktionsland
- USA/Großbritannien/Deutschland
- Produktionsjahr
- 2002
- Produktionsfirma
- Mirage/Saga/Pacifica/InterMedia
- Regie
- Phillip Noyce
- Buch
- Christopher Hampton · Robert Schenkkan
- Kamera
- Christopher Doyle · Huu Tuan Nguyen · Dat Quang
- Musik
- Craig Armstrong · Guy Gross
- Schnitt
- John Scott
- Darsteller
- Michael Caine (Thomas Fowler) · Brendan Fraser (Alden Pyle) · Do Thi Hai Yen (Phuong) · Rade Serbedzija (Inspektor Vigot) · Tzi Ma (Hinh)
- Länge
- 101 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 16.
- Genre
- Drama | Literaturverfilmung
- Externe Links
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Heimkino
Diskussion
Man müsse den Blick auf den großen Zusammenhang, „the big picture“, richten, versucht in der entscheidenden Szene des Films ein Agent der amerikanischen Regierung sein Handeln utilitaristisch als Realpolitik zu rechtfertigen. Wer das „große Bild“ sehe, werde erkennen, dass auf lange Sicht durch das heimliche Paktieren mit dem selbst ernannten General Thé viele Menschenleben gerettet würden – auch wenn dessen terroristische Handlanger in der vietnamesischen Gegenwart des Jahres 1952 zunächst einmal mit Massenerschießungen und Autobomben Zivilisten massakrieren. Tatsächlich kommt in „Der stille Amerikaner“ letzten Endes alles auf die Perspektive und, im buchstäblichen wie im übertragenen Sinne, auf den Bildausschnitt an.
Mit einer Totalen des bei Nacht von Laternen gesäumten Saigon-Flusses beginnt Phillip Noyce’ angenehm-gediegene Graham-Greene-Verfilmung. Doch die Idylle trügt, wie ein abschließender Kameraschwenk zeigt, der einen ins Wasser geworfenen Leichnam ins Bild rückt. Die Vorgeschichte dieses Mordes wird im Anschluss wie in einem klassischen Film Noir in einer langen, von Off-Kommentaren des Protagonisten begleiteten Rückblende aufgerollt. Und obwohl Thomas Fowler gegenüber einem Kriminalbeamten der französischen Kolonialbehörden das Gegenteil behauptet, weiß der Vietnam-Korrespondent der Londoner „Times“ erwartungsgemäß einiges darüber zu berichten, warum das Leben Alden Pyles, des idealistischen Mitarbeiters eines US-finanzierten Hilfsprogramms, mit einer Stichwunde beendet wurde. Einer der ersten Sätze Fowlers über Vietnam umschreibt eine Faszination, deren Ursache letztlich in der Perspektive desjenigen begründet ist, der sich angezogen fühlt: „Man sagt, wonach immer du suchst, du wirst es hier finden“. Folgerichtig bemüht sich Noyce kaum, die exotische Faszination zu illustrieren, der sein Protagonist erlegen ist. Die Bilder Christopher Doyles, der mit seiner Kamerarbeit für Wong Kar-wai einen der auffälligsten „Looks“ der aktuellen Filmlandschaft kreierte, bestechen hier durch Understatement. Das angesichts des Handlungsortes nahe liegende Schwelgen im tropischen Lokalkolorit beschränkt sich auf eine kurze Sequenz im Amüsierviertel Saigons; statt satter Farben trübt diffuses Licht die Bilder ein, bei denen es sich nur selten um Überblick stiftende Totalen handelt.
An einem klaren Blick auf das undurchsichtige Geschehen um ihn herum ist dem gelegentlichen Opiumraucher Fowler ohnehin nur seit Neuestem gelegen. Außer seinen einheimischen Redaktionsassistenten scheint er für gewöhnlich keine weiteren Nachrichtenquellen zu konsultieren, weshalb er im laufenden Jahr erst drei Artikel an die Heimatredaktion geliefert hat. Erst als man seine Dienste vor Ort für verzichtbar hält und ihn nach London zurückbeordert, weckt dies sein Interesse an den Hintergründen der politischen und militärischen Wirren in Vietnam. Also unternimmt er eine Reise nach Norden, wo neben den französischen Kolonialtruppen und der Viet Minh neuerdings eine dritte Kraft, der von den USA geförderte General Thé, mit blutigen Aktionen auf sich aufmerksam macht. Im Kriegsgebiet trifft Fowler überraschend seinen neuen Saigoner Bekannten Pyle wieder, der ihm unter heftigem Artilleriebeschuss eröffnet, dass er sich jüngst, beim Abend zu dritt, in Fowlers Geliebte Phuong verliebt hat.
Einem exotistischen Topos entsprechend, verkörpert diese junge Frau stellvertretend jene Fremdheit, die Fowler in gelegentlichen Off-Kommentaren Vietnam zuschreibt – und an der, gemäß einer verbreiteten Lesart des Vietnamkrieges, schließlich die amerikanische Militärmacht gescheitert sein soll. Als die beiden Männer, zurück in Saigon, offen um die Gunst der undurchschaubaren Vietnamesin buhlen, bleibt Phuong passiv und stumm. Das lässt Michael Caine umso mehr Raum, mit beiläufiger Präzision einige herrliche Pointen zu platzieren, deren masochistischer Sarkasmus die Verletzlichkeit seiner Figur nach außen kehrt. Während er mit allen Mitteln um eine Zukunft für die Liebe seines Lebens kämpft, zwingen ihn die Einblicke in das geheime Engagement der Amerikaner, erstmals einen eigenen Standpunkt zu beziehen. Diesen Prozess einer unwillkürlichen Positionsbestimmung akzentuiert Noyce, indem er Doyle mit unaufdringlicher Regelmäßigkeit subjektive Kameraeinstellungen einstreuen lässt. Und so hängt in diesem Film schließlich alles statt vom großen Zusammenhang des „big picture“ vom subjektiven Eindruck einzelner, in Großaufnahmen herausgehobener Details ab. Über Leben und Tod entscheidet, wie man mit dem Blut anderer Menschen umgegangen ist, das zwar nicht an den Händen, aber doch an den Hosenbeinen klebt.
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