Bowling for Columbine

- | USA/Kanada/Deutschland 2002 | 119 Minuten

Regie: Michael Moore

Ausgangspunkt ist das Massaker, das Schüler in einer US-amerikanischen High School im Jahr 1999 verübten. Darauf aufbauend, berichtet der Dokumentarfilm von Waffennarren und Sicherheitswahn in den USA, zeigt und konfrontiert Opfer und Täter miteinander und entwirft schließlich das vielgestaltige Bild einer von paranoider Angst geprägten Gesellschaft. Ein höchst subjektiver und suggestiver, dadurch aber unterhaltsamer und insgesamt erhellender Blick auf ein Land in einer essenziellen Krise. (O.m.d.U.) - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
BOWLING FOR COLUMBINE
Produktionsland
USA/Kanada/Deutschland
Produktionsjahr
2002
Produktionsfirma
Alliance Atlantis/United Artists/Salter Street/Vif2/Dog Eat Dog Films/United Broadcasting
Regie
Michael Moore
Buch
Michael Moore
Kamera
Brian Danitz · Michael McDonough
Musik
Jeff Gibbs
Schnitt
Kurt Engfehr
Länge
119 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
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Heimkino

Verleih DVD
Universal
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Diskussion
Mit bitterem Sarkasmus beginnt „Bowling for Columbine“: Ausgangspunkt ist ein Tag im Jahr 1999, der, so der Film, ein Tag wie jeder andere in den USA war. Die Amerikaner gehen einkaufen, der Präsident bombardiert irgendeine Stadt in Übersee, und zwei Teenager richten ein Massaker in ihrer Schule an. Es ist diese Art von Humor, die der Dokumentarfilmer Michael Moore seit jeher liebt. Moore, der zurzeit auch erfolgreich als Buchautor reüssiert, mit der Satire „Stupid White Men“, befindet sich längst jenseits üblicher Gesellschaftskritik. Zwar kommentiert er wütend die soziale und psychologische Wüste, die er in seiner Heimat beobachtet, aber ihre Schwächen seziert er mit einem Lächeln, und die übelsten Sündenböcke stellt er an den Pranger seiner Filme: den Präsidenten von General Motors in „Roger & Me“ (fd 28 254), den militärisch-industriellen Komplex, in seinem bisher einzigen Spielfilm „Unsere feindlichen Nachbarn“ (32 126), und nun die Waffenvernarrtheit und Gewaltbereitschaft seiner Landsleute. Ausgangspunkt war die Bluttat von Littleton vor drei Jahren. Moore fährt in den kleinen Ort, sieht sich um, spricht mit Betroffenen, aber die Schuldigen hat er längst ausgemacht: Littletons größter Arbeitgeber ist eine Fabrik für Interkontinentalraketen, für Massenvernichtungswaffen also. Dass gerade hier, wo auch die Kleinwaffenliebe der Bewohner manchmal bizarre Züge annimmt, zwei Jugendliche zu Mördern werden mussten, hält Moore keineswegs für abwegig. Ihm geht es um das psychologische Umfeld, in dem Gewalt entsteht, im Kleinen wie im Großen. Im Kleinen sind es all die Freizeitschützen, Möchtegernsoldaten und Bürgerwehren, die mit kriegstauglichen Waffen im Garten und in den Wäldern trainieren – um sich zu schützen natürlich, wovor auch immer. Im Großen ist es die Regierung, die diese Waffenverliebtheit nicht nur nutzt, um ihre kleinen und großen Kriege zu führen, sondern sie auch unterstützt, indem sie die Bevölkerung in einen Zustand permanenter Angst versetzt. Dies ist der Kern von Moores Aussage. Nicht irgendwelche Horrorfilme und Videospiele lösen die exzessive Gewalt der Amerikaner aus, sondern die paranoide Angst vor einem imaginären Feind, geschürt nicht zuletzt von Nachrichtensendungen, die immer die Bluttaten an den Anfang stellen, sowie von anderen gut gemeinten Warnungen. Der Feind ist in den USA im Grunde immer der Andere: der Nachbar, der Schwarze, die wilden Tiere. Dazu, so könnte man hinzufügen, liefert Hollywood dann doch einen gewichtigen Beitrag, nämlich mit den zahlreichen Thrillern über das Böse im Mitmenschen, nach Art von „Der Feind in meinem Bett“ (fd 28 797). Einen der schlagendsten Gegenbeweise gegen die bislang kursierenden Schuldzuweisungen an die Medien und die Waffenbesitzer liefert ein Nachbarland, das Moore bereits vorher unter die Lupe genommen hatte: Kanada. In „Unsere feindlichen Nachbarn“ erwählten es die USA als neuen Erzfeind, nachdem die Sowjetunion als Gegner ausgefallen war. In „Bowling for Columbine“ zeigt Moore die Kanadier als waffenverliebte, Videospiele und Horrorfilme konsumierende Gesellschaft – die dennoch kaum Gewalt ausübt, ihre Haustüren offen stehen lässt und Angst eigentlich nicht kennt. Man kann einwenden, dass Kanada auch keine omnipräsente Supermacht ist und entsprechend seltener das Angriffsziel irgend eines Landes; andererseits zeigt die Geschichte, dass die USA sich ihre Feinde immer auch selbst erschaffen haben: von Vietnam über die Taliban bis Saddam Hussein. Ein wunderbarer Zeichentrickfilm, bei dem offenbar „South-Park“-Erfinder Matt Stone die Finger im Spiel hatte, zeichnet die amerikanische Geschichte der Angst im eigenen Land nach, von den Gründervätern bis heute. Stone ist einer der prominenten Gesprächspartner, die Moores Thesen stützen. Andere werden brutal damit konfrontiert. Etwa die Leitung einer Superfiliale in Littleton, in der es noch immer Gewehrmunition zu kaufen gibt. Zwei Opfer des Massakers, die bis heute schwer gezeichnet sind, machen sich dorthin auf, um zu fragen, warum der Verkauf weitergeht. Diese Aktion nimmt einen derart erfolgreichen Verlauf, dass Moore es selbst kaum fassen kann. Doch das genügt ihm nicht. Auch Freunde und Angehörige des Oklahoma-Attentäters sucht Moore auf, um ihre Ansichten zu Gewalt zu erfahren – erwartungsgemäß ein Zeugnis von Dummheit und Ignoranz. Moores Hauptkontrahent aber ist Charlton Heston, der greise Hollywood-Star und umtriebige Präsident der mächtigen NRA, der nationalen Waffenlobby, den sich Moore ebenfalls greift. Das Hauptkennzeichen Moores als Interviewpartner ist die Dreistigkeit, mit der er vorgeht, gepaart mit einem fast komikerhaften Auftreten im Schlabberlook, was ihn vielleicht etwas weniger angreifbar macht. Das Ergebnis seiner Gespräche und Recherchen ist eine ebenso unterhaltsame wie suggestive Zusammenstellung all der Argumente, Beobachtungen, Mutmaßungen und Beschuldigungen, mit denen Moore Dampf ablässt. Das ist aufrührend, zum Lachen und zum Weinen, und es verändert die Sicht wenn schon nicht auf die Welt, so doch auf Amerika und seine Bundesgenossen.
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