Eindrucksvoller Dokumentarfilm, der sich auf die Suche nach dem amerikanischen Erfolgsautor Thomas Pynchon begibt, der 1963 nach dem Erscheinen seines Romans "V" spurlos untertauchte. Der Film kreist um Paranoia und Verschwörungstheorien und versucht, sich mit einer Vielzahl von Archivaufnahmen und Interviews einem vielschichtigen Mythos anzunähern, ohne diesen letztlich entschleiern zu können. Eine auch stilistisch anspruchsvolle Arbeit, die dem Zuschauer einige Gewinn bringende Herausforderungen abverlangt. (O.m.d.U.)
- Sehenswert ab 16.
Thomas Pynchon - A Journey into the Mind of (P.)
- | Deutschland 2001 | 92 Minuten
Regie: Fosco Dubini
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Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 2001
- Produktionsfirma
- Dubini Filmproduktion/Valli
- Regie
- Fosco Dubini · Donatello Dubini
- Buch
- Fosco Dubini · Donatello Dubini
- Kamera
- Donatello Dubini
- Musik
- The Residents
- Schnitt
- Fosco Dubini · Donatello Dubini
Diskussion
Im Jahr 1963 avancierte Thomas Pynchons Roman „V“ in den USA aus dem Stand zum Kult-Bestseller; in Deutschland musste die literarisch interessierte Öffentlichkeit bei 1976 warten, bevor die legendäre Rowohlt-Buchreihe „das neue buch“ den epochalen Roman einer größeren Leserschaft zugänglich machte. Der Autor indes, der zuvor einige Kurzgeschichten publizieren konnte, gilt als verschwunden. Der wahrscheinlich in New York untergetauchte, publikumsscheue Schriftsteller veröffentlicht zwar in sporadischen Abständen, doch Fotos, Filmdokumente oder Interviews sind schlichtweg nicht aufzutreiben. Irgendwie hat Pynchon mit seinem eigenen Leben das geschafft, was auch einen Teil der Magie seiner Bücher ausmacht. Deren Thema ist die Paranoia, ebenso der feste Glaube an Verschwörungstheorien und die Schaffung urbaner Legenden. Pynchon war es immerhin, der (in „V“) die Existenz riesiger Krokodile in der Kanalisation New Yorks beschrieb, Wegwerfprodukte einer Überdrussgesellschaft, die sich nun an Ratten, Hauskatzen und auch schon einmal an menschlichen Babys rächen. So will es zumindest die sich hartnäckig haltende Legende.
Diesem Autor sind die in Deutschland arbeitenden Schweizer Brüder Fosco und Donatello Dubini in ihrem neuesten Film auf der Spur, wobei es weniger darum geht, eine verschleierte Biografie zu enträtseln , als darum, Zusammenhänge zwischen Realität, Mythenbildung, Fan-Verehrung und kryptisch überlieferten Lebenstationen herzustellen. Zu diesem Zwecke werden ehemalige Freunde und Fans befragt, stehen Literaten und Literaturagenten Rede und Antwort, liefert Archivmaterial nützliche wie sinnliche Mosaiksteinchen; das Ganze setzt sich zu einem Puzzle zusammen, das gewiss nicht der Weisheit letzter Schluss sein will, sondern an eine paranoide Denkungsart heranführt, die in Pynchon nicht nur ihren exponierten Vertreter gefunden hat, sondern in dem kenntnisreichen Autor auch den Spiegel seiner Gesellschaft sieht. Der Kennedy-Mord, den er detailreich analysierte, beschäftigte ihn ebenso wie die Ermordung Lee Harvey Oswalds, seine militärstrategische Detailkenntnis verblüfft ebenso wie sein Ballistik-Wissen; Bewusstseinserweiterung im Umfeld des Ex-Dozenten Timothy Leary trieb ihn um, die Kuba-Krise oder die Anti-Vietnam-Bewegung waren Gegenstände seiner Reflexionen. Mit immensem Eifer haben die Brüder Dubini ihr Matieral zusammengetragen, bleiben dabei immer ganz nah an der Person Pynchons und weiten den Blick dennoch unmerklich auf die Paranoia einer Nation, die ihre Geschichte ihrem Weltbild beugt. Zugleich werden Verehrer des Autors vorgestellt, die die paranoid beschriebene Ideenwelt von Pynchons Bücher in die Wirklichkeit übernommen haben. Wer beliefert wen: die Fiktion das Leben, oder verhält es sich umgekehrt?
Der in fünf Kapitel gegliederte Film stellt diese Frage zur Disposition und tut dies mit Mitteln, die den Rahmen des herkömmlichen Dokumentarfilms sprengen. Split Screen stellt Aussage und geschichtlichen Hintergrund nebeneinander, Schwarz-Weiß-Aufnahmen wechseln in rasanter Folge mit Farbe, gehen häufig nahtlos ineinander über; viragierte Szenen konkurrieren mit farblich verfremdeten Computer-Effekten, die an Pop-Art und Drogenrausch erinnern. Nichts scheint so, wie es ist, und nur der Kopf der Zuschauers setzt den Film zusammen, womit sich die Arbeit der Dubinis die Funktionsweise jeder „vernünftigen“ Verschwörungstheorie zu nutze macht. Die Beweisführung arbeitet sich spiralförmig zum Zentrum des Mythos vor, streift dabei Wahrheiten, Halbwahrheiten und Gerüchte und trägt ihrerseits wieder zur Legendenbildung bei. So ist ein dokumentarisches Glanzlicht entstanden, das den Zuschauer enorm fordert und ihn mit mehr Fragen als Antworten aus den Kinosaal entlässt. Dazu trägt auch die enigmatisch-verhuschte Musik der Kult-Band „The Residents“ bei, die den Film nicht zu stützen, sondern zusätzlich noch zu hinterfragen scheint. Auch so kann eine verschobene Wahrnehmung noch einmal verdeutlicht werden. Film als enorme Kopfarbeit und Herausforderung für den Zuschauer, aber gerade das muss Kino auch heute noch leisten können. Da atmet man fast auf, wenn die Filmbilder am Ende suggerieren, dass die jetzt abgebildete Person Pynchon sein könnte. Ob der Autor wirklich entdeckt wurde, sei dahin gestellt; dies tut der detektivischen Leistung des Films keinen Abbruch, sondern fügt dem Mythos nur noch einen weiteren hinzu.
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