Marschall Titos Geist

- | Kroatien 1999 | 97 Minuten

Regie: Vinko Bresan

Der vermeintliche Geist des toten Staatschefs Tito bringt auf einer Adria-Insel die Gemüter altgedienter Partisanen in Wallung, die ihrem Wunschtraum von der Wiederkehr des Sozialismus Gestalt verleihen wollen. Während die wundersame Erscheinung den Geburtsort des Diktators in eine Wallfahrtsstätte pensionierter Kombattanten verwandelt, kurbelt der agile Bürgermeister geschäftstüchtig den brachliegenden Tourismus an. Eine köstliche Politsatire, die mit fein gesponnenem Humor, der auch vor Slapstick und Kalauer nicht zurückschreckt, den Schauer der Vergangenheit einfängt und in der Gegenwart spiegelverkehrt durchschimmern lässt. Die wechselvolle Geschichte Jugoslawiens wird zu einer unterhaltsamen Groteske verdichtet, bei der zugleich die historische Nostalgie-Welle in Osteuropa "gespenstisch" ad absurdum geführt wird. (O.m.d.U.) - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
MARSAL
Produktionsland
Kroatien
Produktionsjahr
1999
Produktionsfirma
Interfilm/Kroatisches Fernsehen HRT
Regie
Vinko Bresan
Buch
Ivo Bresan · Vinko Bresan
Kamera
Zivko Zalar
Musik
Mate Matesic
Schnitt
Sandra Botica Bresan
Darsteller
Drazen Kühn (Stipan) · Linda Begonja (Slavica) · Ivo Gregurevic (Luka) · Ilja Ivezic (Marinko) · Boris Buzancic (Jacov)
Länge
97 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
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Diskussion
Ein Gespenst geht um auf einer Adria-Insel – das Gespenst des Kommunismus, streng genommen: des Marschalls Tito. Soeben ist der Pfarrer abgefahren, ein Häuflein Renter rollt rote Fahnen aus und stimmt zum Andenken an ihren Kriegskameraden die Internationale an – da erscheint es als letzter Gast bei einem Begräbnis. Kollektive Wahnvorstellung oder eine übersinnliche Erscheinung? Das Gerücht verbreitet sich wie Lauffeuer, die Insulaner hängen Knoblauch in die Fenster und fertigen silberne Kugel an. Einzig der Kommunist Marinko will nicht an etwas glauben, das es gar nicht geben darf. „Opium fürs Volk“ befindet er kategorisch und versteigert sich in ein nicht minder abstruses Verschwörungsszenario. Da wird der junge Polizist Stipan zur Strafe in sein Heimatdorf geschickt, um die mysteriösen Vorfälle und das merkwürdige Verhalten der Ex-Genossen aufzuklären. In seiner schwarzen Komödie lässt der Kroate Vinko Bresan den Geist des Marschalls die Gemüter der altgedienten Partisanen in Wallung bringen, die Morgenluft wittern und ihrem ewiggestrigen Wunschtraum von der Wiederkehr des Sozialismus Gestalt verleihen wollen. Zumal die wundersamen Ereignisse den Geburtsort des Diktators bereits in eine Wallfahrtsstätte pensionierter Kombattanten verwandelt haben, die vom Festland auf die Insel in Scharen pilgern. Dem agilen Bürgermeister, der sich vom Hotel über das Revolutionsmuseum bis zum Kloster alles im Dorf unter den Nagel gerissen hat, kommt der Geisterspuk gerade recht, um den brachliegenden Tourismus anzukurbeln: In einer Attrappen-Kulisse mit Spruchbändern, roten Fahnen und eingeübten Kollektivritualen will er – geistig ganz auf der Höhe der Zeit – bald auch Honecker, Stalin und Mao reanimieren und gemäß dem Turbokapitalismus-Motto „Handle regional, denke global“ den Profit maximieren. Bis der ermittelnde Polizist dahinter kommt, dass ein flüchtiger Psychiatrie-Insasse seiner Megalomanie in Tito-Uniform frönte, und die alten zornigen Männer, die den falschen Marschall instrumentalisieren, um die Macht im Dorf zu ergreifen, ihn und Konsorten vor ein Revolutionstribunal stellen. Da hilft nur noch „konstruktive Selbstkritik“ und Verstellung, will man den gebrechlichen Greisen mit dem Willen zur Macht das Handwerk legen. Ein weiteres Bonmot Karl Marx’, dem der Chefarzt der psychiatrischen Anstalt zum Verwechseln ähnlich aussieht, stand dem Film wohl Pate: von der Geschichte, die sich wiederholt, mal als Tragödie, mal als Farce. Bei Bresan kommt sie gleich doppelt wieder: Was zunächst wie ein billiger Scherz anmutet, wird beinahe zum blutigen Ernst, als der Sozialismus tatsächlich noch einmal durchgespielt wird. Obwohl er genüsslich zwischen Western, Horrorfilm und „Akte X“-Zitaten mit Versatzstücken des Genrekinos jongliert, versäumt es Bresan nicht, die Parodie mit einem Doppelboden auszustatten. Einerseits zelebriert der Film die Wiederholung als Farce, beschert den kollektiven Ritualen und dem längst totgeglaubten Zeitgeist eine unheimliche Auferstehung, die nicht nur die Protagonisten erschaudern lässt, woraus sich genau seine pointierte Komik speist. Dass die Rückwendung zu früheren, in der Erinnerung sich nicht selten verklärenden Zeiten etwas mit den Befindlichkeiten der Gegenwart zu tun hat, zeigt sich andererseits darin, wie sich die Vergangenheit kommerziell ausschlachten bzw. politisch instrumentalisieren lässt. Jedenfalls ist die Mixtur aus Nostalgie und wohligem Grauen, aus der sich im Geiste Titos Kapital schlagen lässt, nicht weit hergeholt, ruft man sich ein Hotel mit orginalgetreuem DDR-Ambiente in Erinnerung, das vor einiger Zeit in der ostdeutschen Provinz für den „sozialistisch-spirituellen Tourismus“ – so die spitzfindige Formel des kroatischen Bürgermeisters – in Betrieb genommen wurde. Auch im deutschen Kino haben Rekonstruktionen des verblichenen Lebensgefühls Konjuktur: Nach „Helden wie wir“ (fd 33 931) feierte die harmlose „Ossi“-Komödie „Sonnenallee“ (fd 33 876) beachtliche Publikumserfolge. Was im osteuropäischen Film zurzeit als eine Beschwörung der Geister aus der Vergangenheit daherkommt – mal grotesk, mal nostalgisch, in erster Linie aber historisch kostümiert –, hat wiederum mit einer Reaktion auf die andauernde politisch-gesellschaftliche Unübersichtlichkeit und soziale Misere im Zeichen des Raubkapitalismus zu tun. Letztlich entscheidet über die Qualität all dieser Produktionen aber die Frage, ob man dem rückwärts gewandten Zeitempfinden mit sarkastischem Humor, politischer Unbekümmertheit oder patriotischer Geste zu begegnen versucht. Im Gegensatz zur Nummernrevue „Sonnenallee“, die bei skurrilem Dekor und abgegriffenen Gags halt macht, nimmt sich „Titos Geist“ wie eine bissige Parabel aus, die über das Anekdotische hinaus auf eben jenes diffuse Bedürfnis nach Kompensation abzielt, das sich bei dem Blick zurück in Wehmut und im Zorn Bahn bricht. Mit fein gesponnenem Humor, der zeitweilig nicht vor Slapstick und Kalauer zurückschreckt, vor allem aber den (kalten) Schauder der Vergangenheit einfängt und in der Gegenwart spiegelverkehrt durchschimmern lässt, gelang Bresan eine köstliche Politsatire, in der er nicht nur die wechselvolle Geschichte Jugoslawiens zu einer unterhaltsamen Groteske verdichtet, sondern die historische Nostalgie-Welle in Osteuropa geradezu „gespenstisch“ ad absurdum führt. Auch wer den real existierenden Sozialismus nicht miterlebt hat, dürfte an den liebevoll-holzschnittartig gestalteten Figuren – allen voran an dem von Drazen Kuhn mit verdutztem Pokerface gespielten Polizeibeamten – Gefallen finden. Der Film überzeugt durch seine intelligente Dreiakter-Dramaturgie und ein offenes Finale, das mancherorts unerwünschte Konnotationen hervorrufen kann. Mit seinem verschmitzt-satirischen Ansatz, der die ironische Distanz zu den überkommenen Verhaltensmustern und der nationalen Mythologie wahrt, hat er zumindest daheim seine Wirkung nicht verfehlt: In Franco Tudjmans Kroatien des Jahres 1999 verstanden Zuschauer und Staatsapparat schnell, dass mit der Satire auf den Personenkult um Tito nicht nur der tote Marschall gemeint war.
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