© Schüren Verlag/Katrin Schneider (Die Schmelzer Lichtspiele in Schmelz, Saarland)

Tor zur Welt

Der Bildband „Cinema Provinziale“ widmet den kleinen, meist unscheinbaren Lichtspielhäusern auf dem Land eine berührende Hommage

Veröffentlicht am
05. November 2024
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Kinos, insbesondere auf dem Land, machen von außen oft wenig her, eröffnen in ihren heimeligen Sälen aber eine ganze Welt. Die Fotografin Katrin Schneider widmet siebzig Land- und Kleinstadtkinos in dem Bildband „Cinema Provinziale“ eine berückende Hommage, die vom Zauber und der Magie des Kinos als Transit ins Reich der Fantasie erzählt.


Die meisten, die in Deutschland jenseits der Großstädte aufgewachsen sind, kennen die Burgtheater, Lichtspielhäuser und Clubkinos, die mit ihren in die Jahre gekommenen Fassaden von außen oft alles andere als palastartig wirken. Eingezwängt zwischen Reihenhäuser aus den 1950er- oder 1960er-Jahren, eingerichtet in ehemaligen Theatern, Kasernen und Scheunen. Oft sind sie in den seltsamsten Winkeln zu finden, mitten im Wohngebiet oder Wand an Wand mit der Ratsschenke oder einem Blumenladen.

Die Fotografin Katrin Schneider hat diesen Oasen des Kinos eine Hommage gewidmet und für ihren Bildband „Cinema Provinziale“ über siebzig Land- und Kleinstadtkinos fotografiert. Auf eine Totale von außen folgt dabei stets der Blick in die beleuchteten, aber leeren Säle, auf die durchnummerierten Stuhlreihen und die vor der Leinwand zugezogenen Vorhänge. Die Geschichten, die mit jedem dieser Orte verbunden sind, deutet sie dabei lediglich an. In den kurzen Texten finden sich viele Geschichten, die man so oder ähnlich schon mal gehört hat. Andreas Dresen erzählt im Vorwort von seinen eigenen Erlebnissen im Kino seiner Kindheit in Eggesin unweit der polnischen Grenze, das es mittlerweile nicht mehr gibt.


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In dem oberschwäbischen Provinzstädtchen, in dem ich selbst aufgewachsen bin, gab es auch so ein geschichtsträchtiges Kino. Es hat bis heute überlebt, obwohl es so klein ist, dass man daran wochenlang vorbeifahren kann, ohne es überhaupt zu bemerken. Seit ich mich erinnern kann, wollte es immer mehr sein als ein reiner Filmabspielort. Es gab Kunstausstellungen im Foyer, Lesungen und andere Veranstaltungen, die es als kulturellen Treffpunkt aufwerten sollten. Inzwischen gibt es dort auch ein kleines, gemütliches Restaurant. In meiner Jugend war das eigentlich mein Ort, für den sich auch einige meiner Freunde engagierten. Trotzdem fuhr ich lieber in die Nachbarstadt, wenn ich einen Film sehen wollte. Das Kino dort war noch immer Provinz, in einem Haus mit Giebeldach, aber wenigstens mit zwei oder drei Sälen. In einem davon durfte man zwischenzeitlich sogar mal rauchen.

Das Capitol in Witzenhausen (© Schüren Verlag/Katrin Schneider)
Das Capitol in Witzenhausen (© Schüren Verlag/Katrin Schneider)


Die Vielfalt der Provinzkinos

Das aber war nicht der Grund, warum ich den weiteren Weg auf mich nahm. Eher lag es an der größeren Filmauswahl und wahrscheinlich auch an den größeren Leinwänden. Beim Blick in den Bildband von Katrin Schneider ahne ich aber, dass es wohl auch noch einen anderen Grund gegeben hat. Schneider gibt sich viel Mühe, die Vielfalt der Provinzkinos einzufangen: eine Villa im Park, ein denkmalgeschütztes Barockgebäude, das Haus an der Straßenecke, die Reihenhaussiedlung, angegraut, dreckverspritzt, mit bröckelndem Putz, blau getüncht, terracottafarben, mit Backsteinwänden. Dabei hat sie auch einige Kuriositäten aufgespürt, Kinos in einer ehemaligen Sägehalle, einer Kachelofenfabrik, einem Kloster, sogar in einem umgerüsteten Wasserturm. Die Innenansichten aber unterscheiden sich oft nur marginal, obwohl die Fotografin auch hier das eine oder andere Arrangement präsentiert, das aus der Reihe fällt, wenn beispielsweise die Stühle um Tische herum gruppiert sind.

Die Fotos, die mich dabei am meisten ansprechen, kreisen um die unscheinbaren, rot überzogenen Polstersitze. Mit diesen Klappmöbeln assoziiere ich das Versinken im Kinosessel und in einer anderen Welt. Der Filmsaal wird dann zum Transitraum. Das Kino beginnt, wenn es dunkel wird. Als geographischer, architektonischer Ort wurde es errichtet, um für die Länge eines Filmes zu verschwinden. Das matte Polsterrot löst sich im Dunkeln besonders gut auf. Gemeinsam in eine andere Sphäre einzutauchen, ist das, was das Kino als Begegnungsstätte für mich auszeichnet.


Beim Anblick der roten Sessel sofort wieder zuhause

Publikumsgespräche und Podiumsdiskussionen habe ich aus dieser zugegeben romantisch-nostalgischen und vielleicht eskapistischen Perspektive heraus stets eher als störend empfunden, irgendwie deplatziert. Es ist die eindimensionale Ausrichtung hin zur Leinwand und in das Filmgeschehen hinein, das jenen magischen Sog zu entfalten vermag. Nur deshalb vermag ich, weiterhin und auch unzählige Kilometer entfernt von meinem Jugendkino auf einem anderen Kontinent einen Kinosaal zu betreten und mich beim Anblick der roten Sesselreihen sofort wieder zuhause zu fühlen.

Die vielen Kinotüren, die Schneider fotografiert hat, die gläsernen Fronten, die prachtvollen Flügeltüren, die fast heimlichen Seiteneingänge, sind allesamt Portale: in die Zukunft, in die Vergangenheit, in eine andere Gegenwart – und raus aus der Provinz.

Kino Café Bar in Dahme, Brandenburg (© Schüren Verlag/Katrin Schneider)
Kino Café Bar in Dahme, Brandenburg (© Schüren Verlag/Katrin Schneider)


Literaturhinweis

Cinema Provinziale. Lichtspieltheater auf dem Land. Von Katrin Schneider. Schüren Verlag. Marburg 2024. 312 Seiten, 34 Euro. Bezug: In jeder Buchhandlung oder hier.

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