Iranische Filme verstehen sich schon lange darauf, zwischen den Zeilen zu spielen oder die Vorgaben der Zensur listig zu umgehen. In jüngerer Zeit mehren sich Produktionen, die ohne staatliche Erlaubnis gedreht werden und die Widersprüche der Gesellschaft unverblümter, bisweilen sogar knallhart zum Ausdruck bringen. In diesen Filmen spiegelt sich ein Widerstandsgeist, der sich immer weniger einhegen lässt.
Es rumort im iranischen Kino. Im Vergleich zu den 1990er- und 2000er-Jahren üben Filmschaffende weit unverhülltere Kritik an der theokratischen Regierung. Vor allem tun sie das auf eine andere Weise. Im Iran produzierte Filme überschritten in den letzten Jahren vermehrt „rote Linien“ und sind insgesamt härter geworden.
Dieser Befund gilt vor allem für jenen Teil der iranischen
Filmproduktion, der internationale Resonanz erfährt. Also für die Kunst- und
Autorenfilme, die auf Festivals viele Hauptpreise gewonnen haben. Die meisten
entstanden abseits der Kulturförderung und wurden an der Zensur vorbei oft
heimlich produziert. Ihre Systemkritik offenbart einen Widerstandsgeist, der sich
im Herbst 2022 auch als Protestbewegung auf der Straße manifestierte. Für
Filme, die primär für den iranischen Markt gedacht sind,
lässt sich das kaum behaupten, da sie im Westen kaum zugänglich sind.
In diese Diagnose sind Filme der iranischen Exil-Community nicht miteinbezogen,
die sich schon länger vehement an den Verboten abarbeitet. Eindrückliche jüngere Beispiele dafür sind etwa der
Serienkiller-Krimi „Holy Spider“ (2022) oder der Thriller „Tatami“
(2023), in denen jeweils die emigrierte Darstellerin Zar Amir Ebrahimi
mitspielt.
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Merkmale iranischer Filme
Die im Iran dominierenden Bedingungen für Filmproduktionen erzeugen ein spezifisches Spannungsfeld. Die Vorgaben der Zensur, die nirgendwo verbindlich definiert sind, zielen auf die aus Sicht der Mullahs korrekte Darstellung von Moral und Sitte. Kritik an den Herrschenden oder eine Missachtung islamischer Regeln ist untersagt. Daraus folgt eine Reihe an Tabus, die eine mal mehr, mal weniger strenge Auslegung erfahren. Sichtbarstes Zeichen ist die Kleiderordnung für Frauen, was in der filmischen Praxis zu kuriosen Darstellungen führt, wenn weibliche Figuren ihre Haare selbst dann verbergen, wenn sie allein sind. Denn unbeobachtet sind sie im Kino ja nie. Das wiederum führt zu einer permanenten Reflexion über die Produktionsumstände; im Iran gedrehte Filme sind ein Spiel zu Dritt mit der Sittenwacht.
Die Filmemacher haben jedoch Wege gefunden, die Vorgaben zu umgehen
oder zu konterkarieren. In „Der Kreis“ (2000) von Jafar Panahi
lässt sich eine Frau den unter dem Tschador hervorlugenden Pony frisieren, was
ihre Bekannten viel zu euphorisch bewundern. In Asgar Farhadis „Feuerzauber“
(2006) verheddert sich die Kopfbedeckung im Getriebe eines Mopeds; in dem
Thriller „Ein unbestechlicher Mann“ (2017) schwenkt die Kamera
auf einen überkochenden Topf, als eine erotische Annäherung im Raum steht.
Diese Notwendigkeit zum indirekten Ausdruck hat eine allegorische
Bildsprache befördert, deren Wurzeln schon vor die islamische Revolution im
Jahr 1979 zurückreichen. Die Kritik wird in komplizierte Narrationen gekleidet
oder hinter Doku-Fiktionen maskiert. Kaum ein iranischer Autorenfilm kommt ohne
die Aufnahme eines Gitters aus, das die Figuren einkerkert. Auffallend häufig
stehen Frauen im Zentrum, da schon ihre bloße Gegenwart – insbesondere für
westliche Augen – auf ihre klaustrophobische Situation verweist. Sehr
regelmäßig haben die Frauen Prellungen im Gesicht. Das Auto, meist ein Taxi,
hat sich als Handlungsort schlechthin etabliert, da dafür keine Drehgenehmigung
nötig ist und darin ganz unverdächtig Menschen aufeinandertreffen können.
Neue Dringlichkeit und Schärfe
Um die Jahrtausendwende herum sprach man mit Blick auf Meisterwerke wie „Der Apfel“ (1998) von Samira Makhmalbaf oder „Die Farben des Paradieses“ (1999) von Majid Majidi vom iranischen Neorealismus. Das war ebenso treffend wie der Bezug zur Nouvelle Vague, der etwa Jafar Panahis Straßenfilme kennzeichnet. Der dokumentarische Anstrich dieser Filme begründet einen Teil ihrer Faszination, weil er Einblicke in eine wenig bekannte Lebensrealität lieferte. Die etablierten Markenzeichen der iranischen Filmsprache gelten bis heute. Dazu gehören auch sehr lange Einstellungen, Close-ups von Gesichtern, dokumentarische Elemente, aufgeräumte Bilder oder der reduzierte Einsatz von Filmmusik.
Was sich in Festivalfilmen jüngeren Datums verändert hat, ist der
Umgang mit den Zwängen, die Dringlichkeit und Schärfe der Absagen an das
System. So wird die Todesstrafe auffällig oft thematisiert und angeprangert. „Teheran Connection“ (2019) gipfelt in einer Gruppenhinrichtung; in „Yalda– Nacht der Vergebung“ (2019) nimmt die zum Tode verurteilte Protagonistin
an einer Fernsehshow teil und hofft, dass sie nach dem Recht der Scharia live
im Fernsehen begnadigt wird. Das Sozialdrama „Ballade von der weißen Kuh“
(2020) folgt einer Witwe, deren Mann unschuldig hingerichtet wurde und die den
verantwortlichen Richter dafür vergiftet. In „Doch das Böse gibt es nicht“
(2020), der bei der Berlinale den „Goldenen Bären“ gewann, begegnet man einem
Familienvater, der wie ein Teddybär aussieht und die Nachbarskatze rettet, sich
aber als Henker entpuppt; in der letzten Episode des Films stellt einer die
Frage, die den ganzen Film umtreibt: „Was sind das nur für Kreaturen, die
Menschen hinrichten?“
Unverblümter als zuvor werden auch Klassenunterschiede und prekäre Lebensverhältnisse verhandelt. In „Eine moralische Entscheidung“ (2017) von Vahid Jalilvand kauft der Vater einer mittellosen Familie vergammelte Hühner, in „Sun Children“ (2020) von Majid Majidi kämpfen Straßenkinder ums Überleben.
Auch in „Leere Netze“ (2023) spielen finanzielle Nöte eine Schlüsselrolle. Darin will ein junger Mann mit der harten Arbeit in einem ausbeuterischen Fischereibetrieb das nötige Geld sparen, um seine Freundin heiraten zu können. Doch als nach all den Mühen das Brautgeld immer noch nicht zusammengekommen ist, lässt er sich auf illegale Geschäfte ein. Mit Bildern von Fischen, die nach Luft schnappen, spielt der Regisseur Behrooz Karamizade auf die einschnürende Situation des Liebespaars an, das sich ohne Trauschein nur heimlich treffen darf. Auch der viele Müll, der überall herumliegt, trübt die Stimmung. „Dieses Land besteht nur aus Sackgassen“, klagt eine der Figuren.
Je unterwürfiger, desto unterdrückter
Andere Filme ignorieren die Kleidervorschrift für Frauen, was im
iranischen Kino jahrzehntelang undenkbar war. In „No Bears“
(2022) von Jafar Panahi oder „Critical Zone“ (2023) von Ali
Ahmadzadeh weht offenes Haar. Dass auch die ältere Generation mit den Vorgaben
der Mullahs hadert, zeigt die warmherzige Altersromanze „Ein kleines Stück vom Kuchen“ (2024), in der die 70-jährige Protagonistin zu Hause
kein Kopftuch trägt. „Wir haben uns entschlossen, alle Restriktionen zu
überwinden und die Konsequenzen zu akzeptieren, weil wir ein reales Bild
iranischer Frauen zeichnen wollten“, sagte das Regie-Duo Maryam Moghaddam und
Behtash Sanaeeha. In einer Szene gelingt es der Protagonistin sogar, mit
verbalen Argumenten eine junge Frau aus dem Zugriff der Sittenpolizei zu
befreien. „Je unterwürfiger man ist, desto mehr unterdrücken sie dich“, weiß
die alte Frau aus Erfahrung. Zusammen mit dem Taxifahrer Faramarz bricht Mahin
im Verlauf von „Ein kleines Stück vom Kuchen“ etliche weitere Tabus. Die Alten
trinken Wein, sitzen nebeneinander in der Duschkabine und verlachen das Regime
ganz freiheraus: „Die werden uns zwangsverheiraten!“
Die Dreharbeiten zu „Ein kleines Stück vom Kuchen“ fanden vor den
Protesten statt, die unter dem Motto „Frau, Leben, Freiheit“ gegen die
Ermordung von Mahsa Amini durch die Sittenwächter aufbegehrten. In „The Seed of the Sacred Fig“ (2024) griff zuletzt Mohammad Rasoulof den
Impuls der Straßenproteste auf und verbindet das Porträt einer zerrissenen
Familie mit dokumentarischen Bildern der blutigen Staatsgewalt. Ebenfalls
direkt thematisiert wird der zivile Widerstand im programmatisch betitelten
Dokumentarfilm „The Sun Will Rise“ (2023).
Ästhetischer Niederschlag
Die Abkehr von den Zensurvorgaben manifestiert sich auch in einer rauen
Ästhetik und der Hinwendung zu Genreformen. In „Ein unbestechlicher Mann“
lehnt sich ein Goldfischzüchter gegen ein Provinzkartell auf, was Regisseur Mohammad
Rasoulof wie einen Western inszeniert. Die Korruption der Autoritäten nutzt der
Protagonist zur Gegenoffensive, indem er selbst Schmiergelder verteilt. „Hier
ist man ein Unterdrücker oder man wird unterdrückt“, heißt es in einem Dialog
des Films. In „Untimely“ (2019) entfacht der Regisseur Pouya
Eshtehardi im Grenzgebiet zu Pakistan einen wahren Bilderstrom, der die innere
Unruhe eines jungen Soldaten über die filmische Form vermittelt. Eine
entfesselte, geradezu wütende Ästhetik hat auch „Critical Zone“,
in dem ein Drogendealer die Süchtigen in Teheran mit Stoff versorgt.
„Irdische Verse“ (2023) von Alireza Khatami und Ali Asgari setzt hingegen auf eine große formale Strenge. In neun Episoden protokolliert der satirische Film, wie das Totalitäre ins Private hineinragt. Iranische Bürgerinnen und Bürger erstreiten sich bei Behördengängen, Bewerbungsgesprächen oder dem Kauf neuer Kleidung ein Stück Selbstbestimmung. Die Kamera spart das jeweilige autoritäre Gegenüber aus; die Demaskierung aller Absurditäten und Erniedrigungen erfolgt in spitzen Wortgefechten. In einer Episode wird ein Regisseur im Kulturministerium vorstellig, um eine Drehgenehmigung zu erhalten. „Erzählen Sie eine Geschichte aus dem Koran“, sagt der Zensor, und reißt immer mehr Seiten aus dem Skript.
Ähnlich wäre es wohl vielen Filmschaffenden ergangen, wenn sie ihre Ideen von der Kulturbürokratie absegnen hätten lassen. Haben sie aber nicht. Stattdessen nehmen sie Arbeits- und Ausreiseverbote in Kauf oder fliehen vor Peitschenhieben ins Ausland. Wer Filme als Seismografen einer Gesellschaft versteht, kommt kaum daran vorbei, dass es im Iran gewaltig brodelt. Zumindest signalisiert das der international wahrgenommene Ausschnitt des iranischen Autorenfilms. Hinzu kommen eindeutige Positionierungen. Etwa von Maryam Moghaddam und Behtash Sanaeeha, denen die Teilnahme an der Berlinale-Aufführung von „Ein kleines Stück vom Kuchen“ verwehrt blieb. Sie träumen von dem Tag, an dem sie ihren Film im Iran zeigen dürfen. „Dieser Tag wird zweifellos ein anderer Tag für das iranische Kino und für das iranische Volk sein als der heutige.“